Marginalisierte Stimmen aus Thüringen: „Wir stehen vor Trümmern“
Dass FDP und CDU mit der AfD kooperieren, sei fatal – aber nicht unerwartet. Das sagen Schwarze, migrantische und jüdische Menschen.
Thomas Kemmerich war am Mittwoch im Erfurter Landtag im dritten Wahlgang mit den Stimmen seiner FDP, der CDU und der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Der Vorsitzende einer Partei, die mit gerade mal 5 Prozent in den Landtag eingezogen ist, siegte mit einer Stimme Mehrheit über den bisherigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke). Nach bundesweiten Protesten, auch aus CDU und FDP, erklärte Kemmerich am Donnerstagnachmittag, ein Rücktritt sei „unumgänglich“.
„Wir haben es hier zwar mit einer akuten Problematik zu tun – aber eben auch mit einer chronischen“, sagt Erben. Es gebe in Thüringen eine „rechte und rassistische Mehrheit“. Diese reiche von der AfD bis hin zu Konservativen und Liberalen, „die lieber mit rechten Kräften zusammenarbeiten als mit demokratischen Linken“, sagt Erben.
„Die rassistische Gewalt, die Schwarze und andere von Rassismus betroffene Menschen erfahren, wird von einer politischen und gesellschaftlichen Grundstimmung getragen. Und genau die wird von solchen Ereignissen wie dem im Erfurt Landtag befeuert. Das besorgt mich“, sagt Erben. Gleiches gelte für Projekte gegen Diskriminierung und Rechtsextremismus, deren Finanzierung auf der Kippe stehe. „Da verfolgen AfD, FDP und CDU teils ähnliche Linien.“
„Politische Ansagen sind nichtig“
Was ihn erleichtert habe, seien die Proteste, die es bundesweit spontan am Mittwoch gab. „Aber der historische Schaden ist da.“ Es sei der AfD gelungen, sich noch weiter zu normalisieren und „eine Brücke zu den scheinbar demokratischen Parteien zu schlagen“.
Er habe auch Respekt vor denen, die in ihren eigenen Parteien für eine „klare Abgrenzung nach rechts kämpfen“, sagt Erben. „Ich beobachte aber mit Sorge, dass diese Kämpfe überhaupt geführt werden müssen.“ Das Verhältnis mancher Parteien zur AfD sei „völlig ungeklärt – und Thüringen hat gezeigt, dass es jederzeit kippen kann“, sagt Erben.
„Wir haben es immer geahnt: Wenn es hart auf hart kommt, dann sind alle politischen Ansagten nichtig“, sagt auch Mamad Mohamad. Er ist Vorstandsmitglied des Dachverbands Migrantenorganisationen in Ostdeutschland (DaMOst) und Geschäftsführer der Migrantenorganisationen in Sachsen-Anhalt.
Die Wahl Kemmerichs mithilfe der AfD habe erneut gezeigt, „dass wir keine politische Lobby haben, dass unsere Sorgen nicht zählen“, sagt Mohamad. „Das verunsichert uns als Menschen, die wir hier in Ostdeutschland leben.“
Menschen mit Migrationshintergrund hätten „täglich mit Diskrimierungserfahrungen und Alltagsrassismus zu tun, in allen Schichten und Lebensbereichen, sei es nun Kita, Schule, der Arbeitsmarkt oder der Sport“, sagt Mohamad. Für die Menschen, die wir vertreten, ist eins wichtig: Sie müssen sich darauf verlassen können, dass die demokratischen Kräfte Verantwortung übernehmen. Das haben FDP und CDU hier nicht getan.“
Auch Reinhard Schramm, Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, ist bestürzt. „Hier hat die AfD tatsächlich den Ministerpräsidenten bestimmt“, sagt er. Was in Erfurt geschehen ist, sei „schlimm für die demokratischen Parteien und ein weiterer Schritt hin zur Salonfähigkeit der AfD“.
Dass dies gerade in Thüringen geschehe, mit Björn Höcke als AfD-Spitze, sei „fast unglaublich“, sagt Schramm. „Der Rückzug der Demokraten und der Vormarsch der AfD – das verstärkt die Angst, die viele Mitglieder der jüdischen Gemeinde ohnehin haben.“
„Auch die CDU hat versagt“
Nicht nur in Deutschland, auch in Europa und den USA nehme der Nationalismus zu. „Ob bewusst oder unbewusst – unsere Mitglieder wissen, dass eine Zunahme des Nationalismus immer mit Problemen für die Minderheiten verbunden ist.“ Besonders die jungen Leute überlegten nun, ob es nicht besser sei, nach Israel zu gehen, statt in Deutschland einen Studien- oder Arbeitsplatz zu suchen. Gerade nach dem antisemitischen Anschlag in Halle treffe die Wahl auf eine reale Situation der Angst in den Gemeinden.
Eine AfD mit Höcke an der Spitze relativiere außerdem die Verbrechen des Nationalsozialismus. Sie sei keine „Partei der Mitte, sondern ein Schritt in die Vergangenheit“, sagt Schramm. „Formal mag die Wahl dieses Politikers einer Fünf-Prozent-Partei ja ordentlich abgelaufen sein“, sagt er. Aus moralischen Gründen aber hätte Kemmerich die Wahl gar nicht erst annehmen dürfen. „Aber auch die CDU hat versagt. Sie hätte diese Wahl verhindern können. Dann wäre das alles nicht nötig gewesen.“
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