Manipulation bei Versicherungen: Der Trick mit dem späten Tod
Die Deutschen werden immer älter. Doch amtliche Zahlen und Kalkulationen der Versicherer klaffen weit auseinander – zulasten der Kunden.
Im Bundesdurchschnitt beträgt die Lebenserwartung laut der neuen „Sterbetafel 2013–2015“ des Statistikamtes in Wiesbaden nun 78 Jahre und zwei Monate (Jungen) oder 83 Jahre und ein Monat (Mädchen). Damit ist die Lebenserwartung im Vergleich zur Sterbetafel in den 1990er Jahren um rund fünf Jahre gestiegen.
In der Versicherungswirtschaft kalkuliert man allerdings mit ganz anderen Zahlen. Beispielsweise wird ein heute 40-jähriger Mann laut Versicherer mehr als vier Jahre älter werden als Destatis zufolge. Noch mehr Jahre beträgt die mathematische Kluft bei Frauen: Der Jahrgang 1976 wird durchschnittlich 88,1 Jahre alt (Versicherer) oder nur 83,8 (Amt).
Die großen Unterschiede bei der Lebenserwartung schlagen sich in der Kalkulation der Produkte in Euro und Cent nieder. Dafür zuständig ist die Deutsche Aktuarvereinigung der Versicherungs- und Finanzmathematiker, kurz DAV. Der DAV baue „Sicherheitszuschläge“ ein, heißt es in einer ausführlichen Stellungnahme, die der tazvorliegt. Verträge für Rentenzahlungen könnten über 50 Jahre und länger laufen. „Wer solche langfristigen Garantien ausspricht, muss in jedem Fall Vorsicht walten lassen“, so ein DAV-Sprecher in Köln.
Besteht das Risiko – wie bei einem Lebensversicherungsvertrag – im Tod des Versicherten, so werde die Sterbewahrscheinlichkeit erhöht. Besteht das Risiko im Überleben, etwa bei Rentenversicherungen, so werde die Sterbewahrscheinlichkeit gesenkt. Man sei damit „der Realität näher als Destatis“, versprechen die Versicherungsmathematiker.
Solche Abweichungen von der amtlichen Statistik sind durchaus rechtens. Der Gesetzgeber verpflichtet die Branche im Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG), seine Tarife vorsichtig zu kalkulieren. Was das konkret bedeutet, entscheiden jedoch die privaten Unternehmen. Verbraucherschützer befürchten daher, dass Versicherte aufgrund dieser Kalkulation eigentlich „steinalt“ werden müssten, um etwa bei einer heutigen Riester-Rente später positive Renditen zu erzielen. Unterm Strich dürften Versicherer bei Lebens-, Berufsunfähigkeits- oder privaten Krankenversicherungen höhere Beiträge als eigentlich nötig kassieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid