Mangelnde Barrierefreiheit: Kein Blind Date in der Bar

Berlins Cafés, Kneipen und Restaurants sind oftmals nicht barrierefrei. Grund dafür ist das fehlende gesellschaftliche Bewusstsein.

Innenraum einer Bar

Ausgehen ist für viele BerlinerInnen nicht so einfach Foto: picture alliance/dpa | Carsten Koall

BERLIN taz | Die engen, teilweise urigen Berliner Kneipen oder die Vielzahl an kleinen Restaurants in den angesagten Stadtteilen sind gemütlich. In den häufig in Altbauten ansässigen Gastronomiebetrieben Berlins sitzen die Leute in verwinkelten Ecken zusammen oder gruppieren sich um Stehtische. Wenn nicht gleich die ganze Kneipe im Keller ist, sind es zumindest häufig die Toi­letten. In den meisten ist nicht viel Platz. Eine Benutzung für eine Person im Rollstuhl beispielsweise, wenn sie überhaupt durch die häufig engen Kneipeneingänge hineingekommen ist, ist somit unmöglich.

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Kathrin Geyer ist die Vorsitzende des Landesbeirats für Menschen mit Behinderung. Sie erzählt, dass es ihr oftmals unangenehm sei, eine Sonderbehandlung in der Gastronomie bekommen zu müssen, nur weil sie im Rollstuhl sitzt. Die wenigsten gastronomischen Betriebe in Berlin wären darauf ausgelegt, dass Menschen mit Behinderung problemlos Zugang haben.

Besonders anstrengend: Der Mangel an barrierefreien Toiletten. Dabei ist die Gesetzeslage im Bereich Barrierefreiheit auf den ersten Blick eindeutig: Allen Menschen soll Zugang zu Restaurants, Cafés, Kneipen etc. gewährleistet werden. Gleichzeitig bieten sich den GastronomInnen allerdings einige Ausweichmöglichkeiten: Ist ein Gebäude oder dessen Umbau vor 2002 geschehen und/oder ist die Umsetzung zur Barrierefreiheit zu teuer – dann entfällt die gesetzliche Verpflichtung zur Umsetzung. Laut Kathrin Geyer ist der primäre und entscheidende Faktor für mangelnde Barrierefreiheit aber nicht die Gesetzeslage, sondern die Frage der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung.

Barrierefreiheit bedeutet mehr als eine Rollstuhlrampe

Die 22-jährige Studentin Marie Lampe ist seit ihrer frühen Kindheit blind und engagiert sich beim Berliner Verein SozialheldInnen für Inklusion. Für sie ist wichtig zu betonen, dass unterschiedliche Behinderungen auch unterschiedliche Anforderungen an eine barrierefreie Welt stellen: „Die meisten Menschen denken bei dem Wort Barrierefreiheit automatisch nur an Rollstuhlgerechtigkeit. Andere Einschränkungen werden dabei oft vergessen.“

Im Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung ist Barrierefreiheit im Grunde so definiert, dass diese mit gegebenenfalls „notwendigen Hilfsmitteln“ die Welt genauso erleben können wie Menschen ohne Behinderung. Das erfordert in der Gastronomie etwas mehr als eine Rollstuhlrampe. „Auf mich wirkt es so, als seien Menschen mit Behinderung meistens gar nicht als potenzielle KundInnen vorgesehen. Für Blinde gibt es zum Beispiel so gut wie nie ein Blindenleitsystem oder barrierefrei zugängliche Speisekarten. Auch der Assistenzhund darf oftmals nicht mit rein und wenn doch, dann habe ich das Gefühl, dass er nicht erwünscht sei“, erzählt Marie Lampe.

Das Selbstbild Berlins in Sachen Barrierefreiheit ist auf der stadteigenen Website berlin.de nachzulesen. Da heißt es, dass sich die Hauptstadt „auf dem Weg zu einer barrierefreien Stadt“ befinde. Außerdem ist die Rede davon, dass es in den letzten 15 bis 20 Jahren „enorme Fortschritte“ gegeben habe. Dazu ist ein Bild abgebildet, auf dem eine Person im Rollstuhl an einem Bahngleis vor einem Zug zu sehen ist. Der ÖPNV liegt allerdings in öffentlicher Hand.

Die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, Christine Braunert-Rümenapf, sieht die Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Bereich als Problem: „Die relativ gute Gesetzgebung zur Barrierefreiheit, die wir in Deutschland haben, gilt nur für den öffentlich zu verantwortenden Bereich. Bei den öffentlich zugänglichen Orten, die aber in privater Hand liegen, wie beispielsweise Kneipen und Restaurants, mangelt es immer noch an einer systematischen Regelung.“

Viele Gesetze, schlechte Umsetzung

Die angesprochene „relativ gute Gesetzgebung“ setzt sich aus Verschiedenem zusammen: Es gibt die UN-Behindertenrechtskonvention, zu deren Umsetzung sich Deutschland verpflichtet hat, auf Bundesebene das Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung (BGG) und auf Landesebene das Landesgleichstellungsgesetz. Hinzu kommt, speziell für die Gastronomie, das Gaststättengesetz. In all diesen Gesetzestexten ist die Verpflichtung zur Umsetzung von Barrierefreiheit im gastronomischen Bereich enthalten. So heißt es zum Beispiel im Gaststättengesetz unter Paragraf 4, dass Gaststätten grundsätzlich zur Barrierefreiheit verpflichtet seien.

Aber keine Regel ohne Ausnahmen: Allgemein sind jene Betriebe davon befreit, die in Gebäuden ansässig sind, die vor dem 1. Mai 2002 erbaut oder maßgeblich umgebaut wurden. Außerdem entfällt die Verpflichtung zur Barrierefreiheit, wenn „eine barrierefreie Gestaltung der Räume nicht möglich ist oder nur mit unzumutbaren Aufwendungen erreicht werden kann“.

In der Gaststättenverordnung für Berlin steht unter Paragraf 4, dass „ab einer Schank- und Speiseraumgrundfläche von 50 Quadratmeter mindestens eine barrierefrei gestaltete Toi­lette für mobilitätsbehinderte Gäste benutzbar sein muss“. Der darauf folgende Paragraf befreit aber auch hier die Gaststätten von dieser Umsetzung, wenn der Aufwand zur Barrierefreiheit „unverhältnismäßig“ sei. Besagte Verhältnismäßigkeit ist im Gesetz definiert: „Wenn die zur Herstellung von Barrierefreiheit notwendigen Umbaumaßnahmen die dreifache Miete übersteigen, so sind Gastronomie-BetreiberInnen nicht zur Umsetzung von Barrierefreiheit verpflichtet“, erklärt der Hauptgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbands Berlin, Thomas Lengfelder. Zur besseren Einschätzung verrät er, dass die Miete für gastronomische Betriebe in Berlin schon oft im fünfstelligen Bereich liegen. Die hohen Mieten würden also eigentlich dafür sprechen, dass Kneipen barrierefrei gestaltet sind.

Noch massiver Verbesserungsbedarf

Lengfelder bestätigt, dass Gastronomiebetriebe oft in älteren Gebäuden ansässig sind: „Wenige EigentümerInnen wollen eine Kneipe in ihrem Neubau haben“, meint er. „Gleichzeitig ist nach meiner Erfahrung zumindest in den meisten eine Rollstuhlrampe vorhanden, auch wenn man die nicht immer sofort sieht.“ Lengfelder räumt ein, dass ihm bewusst sei, dass man als nicht-betroffene Person weniger auf Barrierefreiheit achte.

Kathrin Geyer sitzt seit 2004 im Rollstuhl und kann das Vorhandensein von Rollstuhlrampen nicht bestätigen: „Es ist eher die Ausnahme als die Norm. Da habe ich im Ausland, zum Beispiel in Spanien, schon bessere Erfahrungen gemacht.“

Auch für die Landesbeauftragte Braunert-Rümenapf ist die Sache klar: Es gibt noch massiven Verbesserungsbedarf. Sie sagt, es sei eine zu einfache Ausrede zu behaupten, dass der Aufwand schlichtweg zu hoch sei, um ein Café, eine Kneipe oder ein Restaurant barrierefrei zu gestalten: „Einerseits können manche Dinge, wie beispielsweise ein Blindenleitsystem, schnell umgesetzt werden. Für andere Situationen muss der Aufwand dann eben aufgebracht werden.“

Allgemein fehlt es laut Christine Braunert-Rümenapf an politischem und persönlichem Willen, um Gastronomiebetriebe inklusiv zu machen: „Es gibt einfach noch keine flächendeckende Bereitschaft und teilweise auch nicht das Bewusstsein, dass einfach alles barrierefrei gestaltet werden soll. Alles meint damit alles.“

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