Malis Präsident und seine Herausforderer: Die Wahl der Qual
Anschläge im Norden, Kämpfe im Zentrum und Verdruss, was die Bilanz von Ibrahim Boubacar Keita angeht – dennoch stellt der sich zur Wiederwahl.
Die Anhänger des 66-jährigen ehemaligen Marsforschers, der 2012 kurz Premierminister einer Übergangsregierung in Mali war, haben unterhalb des 1880 erbauten Festungsturms zwei Zelte und eine Bühne aufgebaut. Als sein Konvoi an Händlern, Käufern und Schaulustigen vorbeifährt, ist ihm maximale Aufmerksamkeit sicher.
Die braucht in Mali aktuell jeder Präsidentschaftskandidat. Die Wahl am Sonntag ist entscheidend. Präsident Ibrahim Boubacar Keïta, der 2013 die Wahlen gewann, nachdem Frankreichs Militär massiv in Mali eingegriffen und den Norden des Landes von Islamisten zurückerobert hatte, stellt sich zur Wiederwahl – in einer Zeit, wo auch solche Landesteile unsicher sind, die vor fünf Jahren noch stabil erschienen.
Cheick Modibo Diarra lächelt, begrüßt, schüttelt Hände, wirkt freundlich und entspannt. Der studierte Astrophysiker hat bessere Bildung und eine Modernisierung der Landwirtschaft versprochen. In der fruchtbaren Agrarregion Sikasso kommt das gut an, zum Beispiel bei dem 40-jährigen Chaka Diallo: „Er kann dem Land neue Ideen bringen. Und er ist auch Amerikaner, und die können arbeiten.“ Tatsächlich hat Cheick Modibo Diarra, der einst für die Nasa arbeitete, zwei Staatsbürgerschaften, was ihn für manche unwählbar macht – für seine Anhänger aber international.
„Er kann neue Ideen bringen“
Sein Auftritt verläuft schnell und reibungslos. Diarra redet in der Landessprache Bambara und kann noch vor Einbruch der Dunkelheit das Schaulaufen in Sikasso abhaken. Hier wie auch in Bamako munkelt man: Sikasso, Malis zweitgrößte Stadt, ist für die Wahl entscheidend. Hier im Süden leben die meisten der 18 Millionen Malier – nicht im fernen Norden, wo Krieg herrscht.
Dafür spricht, dass Soumaïla Cissé in Sikasso sogar seinen Wahlkampf eröffnete. Cissé gilt als ewiger Zweiter der malischen Politik, da er schon zwei Stichwahlen um die Präsidentschaft verlor, zuletzt eben 2013. Er präsentiert sich als Wirtschaftsfachmann, der Korruption und Unsicherheit bekämpfen will, und zwar im Dialog.
„Wir brauchen Lösungen, an denen alle beteiligt sind“, sagt Cissé, der als stärkster Herausforderer von Amtsinhaber Ibrahim Boubacar Keïta gilt. IBK, wie der Präsident in Mali genannt wird, hat umgekehrt planen lassen. Er kommt gegen Ende des Wahlkampfs nach Sikasso. Fünf Tage vor der Wahl füllt er nicht nur das Plätzchen unterhalb des Turms. Er nimmt das ganze Stadion und unterstreicht seine Rolle als Amtsinhaber.
Kalfa Sanogo kann aus seinem Wahlkampfbüro, in frischem Grün gestrichen, alle Delegationen und Konvois beobachten. Er ist Bürgermeister von Sikasso, früher leitete er Malis staatliche Baumwollgesellschaft. „Sie sollen ruhig alle kommen. Ich habe kein Problem damit. Es zeigt, wie wichtig Sikasso ist.“ Auch Sanogos Name steht am Sonntag auf dem Stimmzettel. „Ich habe mich aufstellen lassen, weil ich darum gebeten worden bin“, erklärt er und versucht, bescheiden zu wirken.
Blauhelme schützen den Präsidenten
Sanogos Kandidatur wird von IBK-Gegnern unterstützt – er soll dem Präsidenten im Süden Stimmen abjagen. Der große Mann im hellblauen Anzug, der ein wenig nach vorne gebeugt auf seinem schweren Sofa sitzt, setzt ganz auf seine Region. Deren Wählerschaft hält er für so bedeutend, dass er sie in der letzten Woche vor der Wahl gar nicht mehr verlassen will. Und er nennt noch einen anderen Grund: „Die Linie verschiebt sich immer mehr nach Süden“, sagt Sanogo.
Er meint die Konflikte in Nord- und Zentralmali, die sich immer weiter ausbreiten. In den Norden, etwa nach Kidal, Gao oder Timbuktu, sei er gar nicht erst gefahren, obwohl die UN-Mission den Kandidaten den Transport anbietet. „Trotz internationaler Streitkräfte hat sich die Lage dort verschlechtert.“ Sanogo sagt es nicht direkt, umschreibt es aber: Wahlkampf mit großen Sicherheitsauflagen, das fühlt sich für ihn fremd und falsch an. IBK und Cissé haben es dennoch getan – und waren auf den Bildern des Staatsfernsehens stets von Blauhelmsoldaten umringt.
Das ist das Erbe der Wirren von 2012 bis 2013, als Mali einen Staatsstreich und anschließend die Besatzung des Nordens durch islamistische Gruppierungen erlebte, bis Frankreichs Armee ab Januar 2013 die Terroristen zurückdrängte. Damals begann die UN-Stationierung, gekoppelt mit dem Druck auf Mali, so schnell wie möglich Wahlen auszurichten und zurück zur Normalität zu finden. IBK schien dafür der geeignete Mann zu sein.
Doch bis heute kommt es im Norden manchmal mehrmals pro Woche zu Anschlägen. Auch im Zentrum des Landes rund um die Stadt Mopti ist ein Konflikt ausgebrochen. Der Zugang zu Land und somit zu Macht ist ein Grund, weshalb es zwischen den Völkern der Dogon und den Fulani zu Kämpfen kommt. Beide haben Milizen gegründet. Dazu gehört die Befreiungsfront von Macina (FLM) von Amadou Koufa, der auch gute Verbindungen zu Islamisten im Norden unterhält. In Bamako heißt es, dass die Regierung diesen Konflikt mit Hunderten Toten viel zu lange ignoriert hat.
Wahlorganisation im Verzug
In der Hochglanzbroschüre, die im Sheraton-Hotel der Hauptstadt ausliegt, ist davon nichts zu lesen. Die neue Luxusherberge in Bamako ist mit Soldaten umstellt. Hier findet einer der wenigen gediegenen Auftritte von IBK für geladene Gäste statt. Seine Straßenkämpfer tanzen draußen vor einem Auto mit riesigen Boxen, aus denen der IBK-Song plärrt. Drinnen tritt der Präsident nach einstündiger Verspätung vor das Mikro und präsentiert 25 Minuten lang seine Erfolge.
Auf seinen Wahlplakaten wirkt IBK wie ein Felsbrocken. In Wirklichkeit ist er kleiner. Er spricht langsam und gedehnt und erwähnt gerne seine Wahlkampftour durch den Norden. „Die Situation heute hat nichts mehr mit der von früher zu tun. Sie ist überwunden.“ Die Gäste reagieren verhalten. Manchmal gibt es dünnen Szenenapplaus – nicht aber beim Thema Sicherheit. IBK mag in Stadien Zustimmung erhalten. Doch andere einflussreiche Unterstützer hat er verloren. Dazu gehören auch die Imame. 2013 warben sie noch als religiöse Meinungsführer für IBK, diesmal nicht mehr.
Wird es am Sonntag überhaupt gelingen, die Wahllokale im Norden Malis zu öffnen? Das ist für die Glaubwürdigkeit der Wahl von Bedeutung. Im neuen Bürogebäude der Wahlkommission (Ceni) lässt sich Vizepräsident Dajié Sogoba nicht auf Spekulationen ein, zieht aber einen ernüchternden Vergleich zu den Wahlen von 2013. „Damals war nur der Norden betroffen. Heute ist aber auch Zentralmali sehr viel unsicherer. Die Situation hat sich verschlechtert.“
Dazu kommen organisatorische Schwierigkeiten. Die Regierung schreibt auf ihrer Homepage von 8,4 Millionen registrierten Wählern. Eine Prüfung kam im April jedoch nur auf gut 8 Millionen. Cissés Anhänger sprechen von manipulierten Wählerlisten. Mittlerweile hat Premierminister Soumeylou Boubèye Maïga reagiert: Es gebe nur ein einziges Wählerverzeichnis, und zwar das vom April. Schwierig bleibt auch die Verteilung der Wählerkarten. Sie müssen am Sonntag im Wahllokal vorgezeigt werden, damit man wählen kann. Aktuell sollen 69 Prozent verteilt sein – fast ein Drittel der Wahlberechtigten hat also noch keine.
In Sikasso heißt es, dass sich die Politik zu sehr um den Norden drehe. Dabei fehle es auch hier an vielem: funktionierenden Schulen und Krankenhäusern, erschwinglichen Lebensmitteln. „Der Norden ist wichtig“, sagt Chaka Diallo, als Cheick Modibo Diarras Konvoi abgereist und die Bühne abgebaut ist. Doch seien die Kontakte in die Grenzregionen zu Burkina Faso und der Elfenbeinküste hier im Süden viel bedeutender. „Aber wenn es im Norden keinen Frieden gibt, dann können wir auch nicht in Ruhe leben. Wenn es dort brennt, dann spüren auch wir die Hitze.“
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