Maja Göpel zur Ökonomie der KI : Attacke auf unsere Menschlichkeit
Die Tech-Bros haben die gemeinsamen Wohnzimmer der Gesellschaft geleert und dafür gesorgt, dass jeder unberührt und einsam in seinem digitalen Kabuff lebt. Was machen wir?
taz FUTURZWEI | Jetzt kommt die Jahreszeit der Wohnzimmer-Talks. Gemütlich könnte es sein, der Tee dampft auf dem Tisch, Wollsocken an und rauf aufs Sofa – es steht ja auch das Fest der Liebe an.
Hören wir uns aber um in der Republik, dann wird es in vielen Wohnzimmern immer schwieriger, entspannt Zeit zu verbringen. Zumindest, wenn es um Gespräche mit den versammelten Personen geht. Kekse und Netflix als geteilte Kompensationsroutine bieten da einen möglichen Ausweg.
Oder natürlich die je eigene digitale Welt auf diversen Endgeräten – kuschelige Ko-Existenz, warm und ohne Reibungen, denn dann bleibt auch die Suche um das gemeinsame Programm erspart.
Und das Beste am Feste: Immer weniger Gäste versprechen die digitalen Anbieter uns zu diesem Weihnachten. Denn nun gibt es ganz neue Türsteher, unsere jeweils persönlichen Co-Piloten und Assistenten, 24/7 stehen sie für uns bereit und lesen uns die Wünsche aus den vorherigen Anfragen ab.
Ich muss jetzt auch gar nicht mehr über mein KI-Interface hinaus in irgendeine Suche auf den zig Webseiten eintreten. Dieses ganze Rumgeklicke war ja auch ein daumenreibender Aufwand! Jetzt spreche ich einmal mit meinem KI-Concierge, bestelle eine Reise und – schwups – holt er sie für mich aus den Untiefen des Netzes – maßgeschneidert natürlich.
Das Gleiche gilt auch für meine Informationszusammenschau: Die Zeit der Argumente, Untertöne und Perspektivwechsel weicht einer für mich kuratierten Zusammenfassung der weltweiten Webwirklichkeit in ein paar Absätzen.
Technik im Dienst des Zusammenhalts?
Auch für die Medienberichterstattung kann ich das bestellen. Das ganze Recherchieren und Diskutieren ist uns ja auch echt nicht so gut bekommen, war irgendwie nicht unser Ding, denn die Social-Media-Wohnzimmer sind ja noch weniger auszuhalten als die mit den Keksen. Dabei sollten wir es dort ja leichter haben, bedeutende soziale Verbindungen einzugehen. So hat doch der Zuckerberg das erst um Covid rum noch gesagt. Und in der Pandemie haben wir dann ja auch alle den Umzug gemacht: raus aus den persönlichen Begegnungsräumen und rein in die digital vermittelten.
Das tat uns zunächst auch richtig gut, Informationen, Orientierung, in Verbindung bleiben, aufeinander aufmerksam machen, sich digital vermittelt helfen. Technik im Dienst des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
taz FUTURZWEI, das Magazin für Zukunft – Ausgabe N°35: Wohnzimmer der Gesellschaft
Demokratie braucht Orte des Gemeinsamen, Wohnzimmer der Gesellschaft. Die damit verbundenen positiven Gefühle konstituieren Heimat. Mit jeder geschlossenen Kneipe, leerstehenden Schule, verödenden Ortsmitte geht das Gefühl des Gemeinsamen, geht Heimat verloren. Das ist ein zentraler Zusammenhang mit dem Aufstieg des Rechtspopulismus.
Mit: Aladin El-Mafaalani, Melika Foroutan, Arno Frank, Ruth Fuentes, Maja Göpel, Stephan Grünewald, Wolf Lotter, Luisa Neubauer, Jana Sophia Nolle, Paulina Unfried, Nora Zabel und Harald Welzer.
Nur haben wir dann nicht mehr so richtig in die echten Wohnzimmer zurückgefunden, auch in den öffentlichen Verkehrsmitteln nehmen wir uns eigentlich nicht mehr als Mitreisende wahr. Dummerweise ist die Stimmung in den Wohnzimmer-Endgeräten sogar noch mehr gekippt.
Da ist die Zündschnur einfach besonders kurz, mit den Spinnern bin ich ja nicht einmal verwandt und eigentlich möchte ich auch immer weniger, dass sie mitreden sollen bei der Frage, was hier wer in unserem Land darf.
Social Media und Autokratisierung
Irgendwie erstaunt es dann auch nicht wirklich, wenn viele Analysen darauf hinweisen, dass seit 2020 nicht nur Onlinezeiten und auf Social Media rasant angestiegen sind, sondern zum ersten Mal seit zwanzig Jahren auch die Autokratisierung auf dem Vormarsch ist.
Wichtige Voraussetzungen für Demokratien geraten immer weiter unter Druck, also so Dinge wie ein grundlegendes Vertrauen in die Medien und gesellschaftlichen Institutionen, eine gut informierte Öffentlichkeit und eine aktive Zivilgesellschaft.
Im Report zu den größten globalen Risiken des World Economic Forum stand 2025 zum ersten Mal das Ausmaß von Misinformation ganz oben und was sich online so abspielt, haut in die Vollen bei den Faktoren, die politikwissenschaftliche Forschung als bedrohlich für das Funktionieren von Demokratien auflistet: offene Diskriminierung, politische Polarisierung, Verbreitung extremer und populistischer Inhalte und die Aufteilung in homogene Netzwerke.
Die „genialen“ Tech-Bros
Zum Glück haben die genialen Tech-Bros also mal wieder beherzt gehandelt und stellen diesem Schlamassel die nächste Stufe der Evolution entgegen.
Mit ihren superintelligenten Zugangsassistenten wird das World Wide im Web endlich wieder abgeschafft beziehungsweise für uns personalisiert zum Verstummen gebracht. Die Algorithmen geben sich ja schon alle Mühe, nur das für mich Relevante überhaupt noch durchzulassen, aber jetzt wird ein echtes virtuelles Wohnzimmer draus und da müssen wir auch gar nicht mehr raus. Ich bestelle mein Essen mit drei zackigen Sätzen, Einkäufe macht mein Kühlschrank, und zum Glück ist bald noch die VR-Brille am Start, dann reist mein Wohnzimmer als augmentierte Realität mit.
Je mehr wir mit unseren Assistent:innen sprechen, umso besser wissen die, was wir wirklich brauchen und welche Meinungen echt nicht dazugehören.
Fakten stellt meine KI mir zusammen, die ist ja wenigstens objektiv, das legt mir Elon Musk schließlich den ganzen Tag nahe: „Grok, stimmt das?“ ist ein gut trainierter Habitus auf X geworden. Und ja, wir wissen aus weiteren Studien, dass Menschen sich gerade bei aufgeladenen politischen Themen lieber von einer objektiven Maschine informieren oder umstimmen lassen als von Onkel Hanno im Wohnzimmer mit Teegeruch.
Kein gemeinsames Verständnis von Wirklichkeit mehr
Dafür sind die KIs schließlich gemacht, Wissen bestmöglich für uns auszuwerten! Und dabei kann ich bestimmen, wie lange ich Informationen hören will, sie funktionieren rund um die Uhr, demnächst gibt es die erotischen Varianten.
Gefügigkeit im Wohnzimmer, diesen Wunsch haben die menschenfreundlichen Tech-Gründer endlich zur Chefsache gemacht. Ob nun Copilot, Siri, ChatGPT, Gemini – endlich Ruhe vor den anderen, für die Empathie zu empfinden die größte Schwäche der Menschen ist (Elon Musk) und deren seltsame Auffassungen dazu führen, dass Demokratie eben nicht mehr mit Freiheit vereinbar ist (Peter Thiel).
Deshalb spielt bei diesen Chefs auch eine kognitive Elite oder auch ein Mega-CEO mit Diktator-Allüren die zentrale Rolle in ihrem Blick auf zukünftige Gesellschaften und wer sie wie gestalten sollte.
Für den Rest der Menschen ist so lange ein Platz vorgesehen, so lange sie noch als Datenlieferantinnen, Dienstleister oder Konsumentinnen gebraucht werden und das produktiver hinbekommen als die Roboter, an denen sie parallel feilen. Dabei sollten sie mental ferngesteuert in ihren Ko-Wohnzimmern verweilen, damit gar kein gemeinsames Verständnis von Wirklichkeit mehr erarbeitet wird.
Mündig bleiben wird sowieso immer weniger verbreitet sein, da es ja als produktiver gilt, nicht mehr selbst nachzudenken, sondern Chatty zu fragen. Und wenn das omnipräsente Onlinebestellen die letzten Begegnungsorte zwischen individualisierten Wohnzimmerexistenzen in die Insolvenz treibt, wird auch das Verständnis für die Lebensrealität der anderen immer weniger störend bei der Empathielosigkeit und dem autokratischen Durchregieren der allmächtigen Coder.
Befreiung durch Einsamkeit?
Was also, wenn die Versprechen der kuschelig-bequemen Ko-Existenz eine frontale Attacke auf unsere Menschlichkeit sind? Auf unsere Weltaneignungskompetenzen und die Bereitwilligkeit, durch konstruktive Reibung und Herausforderung wieder Sinn und Wachstum zu erfahren? Dass die Tech-Bros erst unsere sozialen Begegnungsräume in algorithmisch befeuerte Kampfarenen verwandelt haben, um dann Befreiung durch Einsamkeit versprechen zu können?
Was also, wenn unser Gefühl, die Wohnzimmer-Talks nicht mehr auszuhalten, ein schrillendes Warnzeichen ist, dass wir ihnen und ihrem milliardenschweren Storytelling über die nächste evolutionäre Stufe der Menschheit auf den Leim gehen?
Vielleicht ist genau das die Frage, die zum dampfenden Tee auf das Sofa gehört, die wieder verbindet. Denn warum sollen ein paar wenige superreiche Egomanen für uns entscheiden, was die nächste evolutionäre Stufe der Menschheit ist?
Ging es da nicht bisher immer um ein möglichst gesundes und zufriedenes realweltliches Dasein, die Faszination am Lernen und rücksichtsvolle Umgangsformen? Ja, klar, es gab auch immer wieder herbe Rückschläge und die vielen gleichzeitigen Krisen heute machen Angst. Über die können wir aber sprechen.
Denn die größte Angst hinter allem ist ja die, dass die anderen mich in ihrer Krisenbewältigung übersehen. Und diese Angst löst sich nicht in vermeintlich bequemen digitalen Ko-Existenzen auf. Dafür müssen wir uns schon begegnen. For real. Vielleicht beim Fest der Liebe?
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