piwik no script img

Mahnwache vor Synagogen in Berlin„Never again is now“

Am Freitagabend kommen hunderte Menschen an die Berliner Synagogen. Es geht um Solidarität, Schutz und ein Signal gegen Gewalt.

Gedenken an die Verschleppten der Hamas am Fraenkelufer Berlin am Freitagabend Foto: dpa

Berlin taz | Raz Mizrahi, Shahaf Bergstein, Yossi und Margit Silberman, Yuval Solomon, Kfir. Dies sind nur einige Namen von Menschen, die seit rund einer Woche Geiseln der Terrorgruppe Hamas oder verschwunden sind. Rund 40 Plakate wurden an die Eingangssäulen und an den Zaun der Synagoge am Fraenkelufer in Berlin-Kreuzberg gepinnt. Darauf stehen die Namen und Fotos der Verschleppten und der Aufruf, die Bilder zu verbreiten: „Wir müssen alle sicher nach Hause bringen“, steht dort geschrieben. Aus den abstrakten Zahlen zu den Geiseln der Hamas, zu den Verschwundenen, sollen konkrete Menschen werden. Mütter, Väter, junge Leute, Kinder: Kfir ist nur sechs Monate alt und wurde von der Hamas entführt.

An diesem Freitag Abend stehen rund zwei Dutzend Mitglieder der jüdischen Gemeinde im Vorhof der Syngoge. Sie haben sich im Kreis versammelt, manche haben die Arme miteinander verschränkt. Auf einem Tisch in der Mitte brennen Kerzen. Es gibt viele Umarmungen, es wird gesungen und gebetet. An diesem Freitag ist der Schabat ein besonderer und soll mehr denn je den Zusammenhalt in der Gemeinde zeigen.

Nach dem brutalen Angriff der Hamas auf Israel am vergangenen Samstag, hatte die Terrorgruppe für den Freitag international zu Gewalt gegen Juden und Jüdinnen aufgerufen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte am Freitag Vormittag die Synagoge besucht. „Der heutige Tag ist ein Tag der Angst für Juden weltweit und hier in Deutschland“, sagte Steinmeier. Sicherheitsvorkehrungen wurden bundesweit verstärkt.

Entsprechend mehr Polizeiaufgebot ist rund um die Synagoge zu sehen, um das Fraenkelufer und den Kottbusser Damm. Jüdische Gemeinden, Organisationen und Privatpersonen hatten nichtjüdische Menschen dazu aufgerufen, am Freitag Abend an die Synagogen zu kommen und diese symbolisch zu schützen. Viele haben sich an diesem Abend zum Fraenkelufer aufgemacht, laut Polizei sind es rund 350 Menschen. Es ist ein stilles Gedenken, eine Mahnwache. Manche bringen Kerzen mit, manche Blumen und hängen sie an den Zaun, an die Plakate der Verschleppten.

Hunderte sind gekommen

„Never again ist Now“, hat eine junge Frau auf ein Plakat geschrieben. Sie steht direkt vor dem Eingang zur Synagoge. Viele Teil­neh­me­r:in­nen der Mahnwache kommen auf sie zu, machen Fotos. „Mehr gibt es eigentlich nicht zu sagen“, sagt eine ältere Frau, die eine Kerze vor einem der Plakate mit den Verschwundenen anzündet. Und dann: „Ich bin froh, dass so viele gekommen sind – und nicht nur wir Alten.“

Familien mit kleinen Kindern sind am Freitag Abend da, etliche junge Leute. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) war anwesend, Volker Beck – Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Etliche Berliner Po­li­ti­ke­r:in­nen sind dabei, auch Ver­tre­te­r:in­nen der VVN-BDA sind gekommen. Einige Menschen haben sich in die Flagge Israels gehüllt, halten Kerzen in der Hand.

Wenn der Wind aufkommt, durch die Blätter der Bäume am Ufer fährt, weht er das Skandieren von Demo-Teilnehmer:innen auf der nahegelegenen Kottbusser Brücke rüber zu Mahnwache. Hamas-Symphatisant:innen, die sich, wie in den vergangenen Tagen im Berliner Bezirk Neukölln, nun auch unweit der Synagoge versammeln? In diesem Fall sind es aber Rojava-Aktivist:innen, die lautstark gegen die türkischen Angriffe auf Nordsyrien protestieren. Doch die Frage zeigt, wie groß die Sorge vor antisemitischen Attacken auch in der Hauptstadt ist. Tatsächlich kam es auch am Freitagabend in Neukölln wieder zu Ansammlungen von Hamas-Symphatisant:innen und Tumulten. Laut Polizei gab es Festnahmen, rund 400 Einsatzkräfte waren auf der Neuköllner Sonnenallee unterwegs.

Am Fraenkelufer ist es stiller, es wird leise diskutiert. Die Gräueltaten der Hamas, die Flucht der Zivilbevölkerung innerhalb des Gazastreifens, wann und wie hört das Morden auf? Wie geht es jetzt weiter? „Gegen jeden Antisemitismus“ – heißt es auf einem Schild. „Mehr Licht!“ auf einem anderen. Mehr Antworten gibt es derzeit nicht.

Gegen 19 Uhr verlässt eine Ver­tre­te­r:in der jüdischen Gemeinde den Vorhof zur Synagoge und kommt nach draußen. Sofort wird sie von vielen Menschen umringt. „Schabat Shalom“, ruft sie. Und stimmt dann ein Lied an: „Hevenu Shalom Alechem – Wir wollen Frieden für alle“. Die Menge stimmt ein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Es ist gut, dass sich der Zentralrat für Muslime in Deutschland gegen die Gewalt der Hamas ausspricht, aber wird das in den Gemeinden gelebt und wie ist mit dem Antisemitismus vieler Muslime? Wird der aktiv mit Bildungskursen in den Gemeinden bekämpft? Es reicht nicht, wenn der Zentralrat der Muslime eine Ansage gegen die Hamas macht!



    Bekanntermaßen wird die islamische Gemeinschaft Milli Görüs aus der Türkei gelenkt. Sollte es von dort aus der Politik zu Direktiven gegen Israel kommen, muss diese Gemeinschaft ihr Vereinsrecht sofort verlieren.



    Es braucht eine Verdoppelung des Geschichtsunterrichts, vor allem an Schulen mit hohen Anteil an Muslimen und in Einrichtungen für Geflüchtete aus dem Nahen Osten. All das eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber Politik hat hier in der Vergangenheit so gut wie nichts getan.



    Vor allem: Wie sind Hunderttausende von Flüchtlinge aus dem Irak, Afghanistan, Syrien und dem Iran in Deutschland zu erreichen, die einer Studie zufolge oftmals die antisemitische Stereotype ihrer Heimatländer verinnerlicht haben, was anschlußfähig für gewaltsame Propagnda gegen Juden (besonders aus dem Internet) machen könnte? X, Tiktok und Facebook etc. nehmen Propaganda und Haß gegen Juden und Israel nicht schnell genug aus dem Netz, weil der Profit am wichtigsten ist.



    Politik vesagt lange schon bei der Kontrolle dieser Netzwerke - auch bei anderen Formen des Extremismus in Netz.

    Studie zum Antisemitismus unter Geflüchteten aus dem Irak und Syrien in Deutschland

    isca.indiana.edu/p...tiven-Erhebung.pdf

    • @Lindenberg:

      Unser Bildungssystem schafft es aktuell anscheinend nicht mal mehr,, Schülern ordentlich lesen, schreiben und rechnen beizubringen, wir haben Lehrermangel, und da kommen Sie mit einer Verdopplung des Geschichtsunterrichts.

  • Hier sieht man den gravierenden Unterschied.

    Treffen von Jüdinnen und Juden und vielen anderen friedlichen Menschen vor Synagogen müssen vor gewaltbereiten Antisemiten und Israelhassern von der Polizei beschützt werden.

    Auf der anderen Seite werden „pro-palästinensische“ Versammlungen von der Polizei begleitet, damit diese nicht hetzen und gewalttätig werden.

    Jüdinnen und Juden müssen in Deutschland jederzeit aufpassen und geschützt werden. Das ist kein Land in dem man gut und gerne leben kann.

    • @DocSnyder:

      "Jüdinnen und Juden müssen in Deutschland jederzeit aufpassen und geschützt werden. Das ist kein Land in dem man gut und gerne leben kann."

      Es macht den in der europäischen Diaspora lebenden Jüdinnen und Juden klar, dass sie hier keine Zukunft haben und wie wichtig Israel für alle Juden auf der Welt ist.