Mahnwache für getötete Fußgängerin: Vom Auto aus gedacht
Schon vier FußgängerInnen wurden seit Jahresanfang totgefahren. AktivistInnen fordern die Politik auf, endlich zu handeln.
Es ist klapperkalt am Donnerstagabend, an der Ecke Turmstraße/Stromstraße in Moabit bläst ein schneidender Wind. Vielleicht sollte man das den PassantInnen zugutehalten, die allesamt vorbeihasten und der kleinen Mahnwache vor der Apotheke nur irritierte Blicke schenken.
Rund 20 VerkehrsaktivistInnen sind gekommen, mit Schildern, Grablichtern und einem kleinen, aus weißem Kunststoff geschnittenem menschlichen Umriss. Er steht für die 83-Jährige, die hier am 1. Februar beim Überqueren der Ampel von einem Lkw angefahren wurde, schwer stürzte und später im Krankenhaus starb. Ein neuer Fall in der nicht enden wollenden Kette tödlicher Zusammenstöße von motorisierten und ungeschützten VerkehrsteilnehmerInnen.
„Es war die vierte getötete Fußgängerin in diesem jungen Jahr“, sagt Stefan Gammelien vom Verein Changing Cities ins Mikrofon, „und es ist nicht erkennbar, dass sie irgendetwas falsch gemacht hätte.“ Tatsächlich hatte die Frau die Straße bei Grün überquert – und Grün hatte auch der Lkw-Fahrer, der ihr beim Rechtsabbiegen entgegenkam und sie offenbar übersah. „Grün ist Grün, denken viele“, sagt Gammelien, „aber so einfach ist es eben nicht.“
FußgängerInnen hätten immer Vorrang – im Übrigen auch während der sogenannten Räumzeit, in der sie die Überquerung der Straße beenden könnten, auch wenn die Ampel schon auf Rot gesprungen sei. Viele FahrerInnen respektierten das nicht, drängelten, hupten. „Menschenverachtend“, findet Gammelien dieses Verhalten.
Er verweist auf das neue Gutachten, laut dem der Senat auch im Alleingang den Einbau von Abbiegeassistenten in Lkws zur Pflicht machen kann. Auch müssten die Grünphasen für Motorisierte und andere endlich getrennt werden. „Für mich ist nicht erkennbar, dass die Politik Konsequenzen zieht. Bitte tun Sie das, Frau Günther, Frau Weißler!“
„Das ist im Grunde uferlos“
Im Gegensatz zu Verkehrssenatorin Regine Günther ist Sabine Weißler, die für Straßen zuständige grüne Stadträtin von Mitte, gekommen. Fühlt sie sich angesprochen? „Wir versuchen schon, Gefahrenstellen im Bezirk sicherer zu gestalten, aber im Grunde ist das uferlos, weil das Thema Mobilität so lange nur vom Auto aus gedacht wurde“, sagt sie. „Das Problem ist eigentlich nur auf Landesebene zu bekämpfen.“ Die Fahrzeuge müssten mit entsprechender Sicherheitstechnik ausgestattet werden.
Eingemummelt in Mantel und Mütze sieht sie zu, wie sich die AktivistInnen zuerst schweigend auf den Asphalt der Fußgängerfurt setzen und dann die weiße Silhouette zur Mahnung an einem Mast befestigen. Der Wind bläst die Grablichter schnell wieder aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus