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Magazin „Reportagen“„Lesen statt blättern“

Lange Texte, keine Bilder oder Anzeigen – so überlebt das Magazin „Reportagen“ seit vier Jahren. Ein Gespräch mit dem Gründer Daniel Puntas Bernet.

Natürlich lesen die jungen Leute noch. So sieht das dann zum Beispiel aus. Foto: imago/i Images
Interview von Lara Wiedeking

taz: Herr Puntas Bernet, was ist die beste Reportage, die Sie jemals gelesen haben?

Daniel Puntas Bernet: So ganz spontan: Erwin Koch über Silvia Tolchinsky.

Warum?

Zunächst einmal ist das eine Wahnsinnsgeschichte: Eine argentinische Frau, die von der Militärdiktatur gefoltert wird, weil sie Oppositionelle ist. Nach dem Ende der Diktatur vermag sie zu flüchten, findet in Barcelona zurück ins Leben. Eines Tages verliebt sie sich in einen Landsmann. Die beiden heiraten, stellen aber fest, dass er einer ihrer Folterknechte war. Eine unglaubliche Geschichte – und unglaublich gut aufgeschrieben. 50.000 Zeichen, die ich im Schnelltempo verschlungen habe.

Im Interview: Daniel Puntas Bernet

Daniel Puntas Bernet, Jahrgang 1965, war Devisenhändler und arbeitete im Marketing, bevor er seine Liebe zum Journalismus entdeckte. Er schrieb für die NZZ, bevor er 2011 Reportagen gründete. Das Magazin druckt Geschichten von JournalistInnen und SchriftstellerInnen und erscheint alle zwei Monate mit einer verkauften Auflage von 14.000 Stück.

Was braucht eine Reportage, um gut zu sein?

Klar geht es auch immer um die Einzigartigkeit der Geschichte, wie bei allen anderen auch. Aber sie muss einen Schritt weiter gehen als eine konventionelle Reportage. Ein temperamentvoller Erzähler muss eine Geschichte erzählen wollen.

So wie bei der Reportage in Ihrem Magazin über Engtanzpartys in Stuttgart zur Weihnachtszeit?

Genau. Stuttgarter kommen an Weihnachten nach Hause, sehen sich bei solchen Klassenzusammenkünften wieder und schwelgen für einen Abend in Erinnerung. Wir in der Redaktion waren begeistert von der Geschichte. Außerdem ist der Autor nicht nur ein Journalist, der recherchiert, sondern Beteiligter. Das gibt Tiefe und spannende Aspekte, die man als Außenstehender nicht rausgefunden hätte.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, „Reportagen“ zu starten?

Aus Mangel an Lektüre. Andererseits habe ich gemerkt, dass es immer schwieriger wird, Reportagen zu platzieren, sei es aus Kosten- oder Platzgründen. Aus den beiden Beobachtungen hat sich ergeben: Wieso nicht ein eigenes Magazin machen?

Und wie setzt man das in dieser Medienkrise um?

Ich habe tagsüber weiter gearbeitet und abends einen Businessplan erstellt. Dann habe ich ganz lange Türklinken geputzt und einen Investor gesucht, der die ersten Jahre das Defizit trägt. Einen, der dieses Medien-Start-up unterstützen möchte, weil er es für eine tolle Idee hält.

Wer sind Ihre Leser?

Wir sind ein sehr junges Magazin und haben gerade unsere erste Leserbefragung durchgeführt: Besonders gefreut hat mich, dass ein Drittel um die 30 und jünger ist. Das ist eine hervorragende Nachricht in Zeiten, wo alle von „kurze Texte lesen“ reden. Was alle gemein haben: Sie sind Leser. Es ist lesen statt blättern. Man kann sich nicht berieseln lassen.

In Ihrem Magazin gibt es keine Fotos. Warum haben Sie sich dafür entschieden?

Am Bahnhofsbuchhandel gibt es 5.000 bis 6.000 Titel, davon leben gefühlte 98 Prozent vom noch schöneren, noch größeren Bild. Jetzt möchte ich mit diesem kleinen literarischen Nischenmagazin wahrgenommen werden. Also war mein erster Gedanke: Sicher nicht mit Bild, sondern mit Typografie. Außerdem: Wenn die Geschichten erzählerisch sind und der berühmte Film im Kopf des Leser beginnt, brauche ich gar keine Bilder.

Und worauf kommt es Ihnen bei der Auswahl der Texte für „Reportagen“ an?

Pro Heft sind es nur sechs Geschichten, darum versuchen wir so unterschiedlich wie möglich auszuwählen. Geografisch, thematisch. Außerdem möchten wir bei den Autoren möglichst verschiedene Zugänge: Bei Alter, Geschlecht und Stil. Wir würden gerne mehr Frauen bringen. Und es dürfen nicht nur sechs schwere Themen sein, die runterziehen, sondern eben auch die engtanzenden Stuttgarter.

Wenn Sie sich den Zustand des Medienmarktes anschauen, was glauben Sie: Geht es mit dem Journalismus bergab?

Das sehe ich überhaupt nicht so. Durch diesen aktuellen Wandel, bei dem sich alles ein wenig in Frage stellt und neu positioniert, trennt sich die Spreu vom Weizen. Wer wirklich Journalist ist, der ist auch gut: Entweder er recherchiert gut. Oder er schreibt gut. Oder er erzählt gute Geschichten. Egal ob im Print, Radio oder Fernsehen. Und: Wer den Drang hat, der Welt etwas zu sagen, hat heute wieder bessere Möglichkeiten. Alle, die vorher nur mitschwammen und Durchschnittsware produziert haben, spült es jetzt weg.

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