„Männerphantasien“ auf Französisch: Obsessive Angst vor dem Flutenden
Klaus Theweleits Grundlagenwerk gibt es endlich auf Französisch: „Fantasmâlgories“. Jonathan Littell stellte in Paris die Übersetzung vor.
Fast vier Jahrzehnte mussten vergehen, bis die „Männerphantasien“ nun endlich auch in dem auf originelle Theorien spezialisierten Nachbarland Frankreich angekommen sind. Zum Ausgleich für diese lange Verzögerung hat der Übersetzer sich für die französische Ausgabe den sehr ingeniösen Titel „Fantasmâlgories“ einfallen lassen.
Auf der Veranstaltung zur Vorstellung des Buches im Pariser Goethe-Institut kommentierte der über die Wirkungsgeschichte längst ergraute Theweleit das neuerliche Interesse an seinem Werk als Beleg der „universellen Struktur“ des „faschistischen Körpers“: Die IS-Terroristen von heute oder der Skandinavier Anders Breivik würden genauso in einem „Körperpanzer“ stecken wie einst die deutschen Freikorps-Killer, deren Autobiografien er in seinem Werk ausgewertet hatte.
Theweleits Verbindung von Faschismusforschung und Gender-Theorie war in den Siebzigern revolutionär. Statt den Faschismus noch einmal aus einer Kapitalismusanalyse abzuleiten, hatte er sich dem Mann als unbekanntem Wesen zugewandt. In faschistischen Tätern entdeckte er eine obsessive Angst vor allem „Flutenden“ und die mörderische Disposition, durch orgienhafte Massaker die als bedroht empfundene virile Körperidentität zu stabilisieren.
Die Präsentation der französischen Ausgabe am Montag war so etwas wie das Gipfeltreffen zweier Spezialisten faschistischer Täterpsychologie: Die Moderation hatte Jonathan Littell übernommen. Dessen preisgekrönter Roman „Die Wohlgesinnten“ (2006), der mit fast pornografischer Enthüllungslust in die Innenperspektive von nationalsozialistischen Mördern eintaucht, ist offenkundig von Theweleit beeinflusst.
Wie passt „Männerphantasien“ zu Marine Le Pen?
Im Pariser Kontext konnte es naheliegenderweise nicht ausbleiben, dass Theweleit über aktuelle französische Männerphantasien nachdenken musste: Wie passt seine Theorie von der Angst der rechtsradikalen Männer vor dem Flutenden und dem damit assoziierten Weiblichen mit der Präsidentschaft von Marine Le Pen im Front National zusammen?
Theweleit erinnert daran, dass Faschisten gespaltene Persönlichkeiten haben und trotz ihrer Misogynie auch positive Frauenbilder kennen: zum Beispiel die „entlebendigte“ Frau, die sich ihnen im Typ der asexuellen Krankenschwester materialisiert. Aber die prall ihre Präsenz einbringende Marine Le Pen fügt sich offenkundigerweise kaum in dieses Muster. Theweleit gibt zu, dass das Phänomen Le Pen nur möglich ist, weil sogar das rechtsradikale Milieu sich vom Feminismus der letzten Jahrzehnte hat beeinflussen lassen.
Außerdem sei der Front National zwar rechtsradikal, aber die heutigen „Körperpanzer“ formierten sich einigermaßen lustoffen in individualistischen Muckibuden statt in den einstigen männerbündlerischen Armeen. Auch wenn Theweleit daher nicht die Gefahren für gering erachtet, gibt er zu, dass in Frankreich Männerphantasien von Rechtsradikalen aktuell „softer“ geworden sind.
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