Männerfreundschaft im WM-Land: Händchen halten
Die WM findet in einem Klima der Verklemmtheit statt. Männer suchen dennoch die Nähe anderer Männer – in aller Öffentlichkeit.
F reitag ist Ausgehtag. Auch für die Wanderarbeiter. In größeren Gruppen ziehen sie los. Sie haben die gelbe, beige oder graue Arbeitskluft abgelegt und riechen nach Eau de Toilette. Wer das Glück hat, nicht draußen in den Arbeitsquartieren der Industrial City zu hausen, wo es keinen Anschluss ans moderne Transportsystem gibt, nimmt die Metro Richtung Innenstadt, lässt sich von ihr an der Station Msheireb ausspucken.
Weiter geht’s durch den Souk Waqif, an die Corniche. Und da stehen sie dann, die Grüppchen der kleinen Männer, die sehnsüchtig auf die Disco-Shows schauen, diverse Partyboote, auf denen sogar ein paar Frauen tanzen.
An diesen Freitagen muss etwas anders sein als sonst, die Sehnsucht nach Nähe schier ins Unendliche wachsen, nach Intimität, einer Umarmung. Und so sehe ich nicht nur einmal Männer, die Händchen halten. Gar nicht mal versteckt. Das Pärchen, offensichtlich Wanderarbeiter und keine WM-Touristen, spaziert über den Boardwalk.
Auch im Stadtviertel al-Sadd halten Männer, vielleicht Bangladescher oder Inder, Händchen. Sie sind in ein Gespräch vertieft, und als sie sehen, dass ich sie von einem Restaurant aus beobachte, schauen sie keck zurück. Sie bleiben sich nah, schrecken nicht etwa auf. Vielleicht, denke ich, gibt es viele von diesen Männerfreundschaften in den engen Quartieren. Und nur Buddha wird wissen, wie weit sie gehen.
Was Allah nicht weiß…
In Katar herrscht muslimisches Recht. Im Strafgesetzbuch steht unter Absatz 2004 Homosexualität bei Männern und Frauen unter Strafe. Es drohen bis zu sieben Jahre Gefängnis. Würde nach der Scharia geurteilt, wäre sogar die Todesstrafe möglich. Aber was Allah nicht weiß, macht ihn nicht heiß.
Es gibt auch in Katar, so viel ist gewiss, Liebe unter Frauen und Männern, vor allem unter den vielen Männern, die hier schuften, fern der Heimat, fern der Familie. Denn die Natur des Menschen ist nun einmal so, wie sie ist. Sie lehrt, Gebote zu umgehen, im Verborgenen das zu leben, was offiziell nicht erlaubt ist, Nöte erträglicher zu machen.
Die Angst vor einer Verschwulung durch die WM war bei den Katarern anfangs so groß, dass sie 2013 noch über die Einrichtung von Gesundheitszentren nachdachten, in denen sie Schwule „identifizieren“ könnten. Der damalige Gesundheitsminister von Kuwait, Yousuf Mendakar, befeuerte diesen Unsinn. Es kam anders. Und wenn schwule WM-Gäste von den Wanderarbeitern etwas lernen wollen, dann vielleicht dies: Händchenhalten ist möglich in Doha.
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