Männer-Bundesliga: So verlieren wie heute
Die Lilienfans pfeifen auf RB, das Team von RB Leipzig pfeift auf die Pfiffe. Und gewinnt pflichtgemäß bei erstaunlich mutigen Darmstädtern mit 3:1.
Nach dem doch ziemlich glanzlosen Leipziger Sieg in Darmstadt am Samstagnachmittag verspürte mancher Stadionbesucher ein leichtes Fiepen im Ohr. Das dürfte an den Hintergrundgeräuschen der ereignisreichen Partie gelegen haben, denn nicht nur die Fankurve des Aufsteigers, sondern auch große Teile der anderen drei Tribünenseiten hatten in den 90 Minuten lustvoll den Gegner ausgepfiffen.
Unter dem Motto „Wir pfeifen auf RB!“ bedachten die Fans der Lilien eine Viertelstunde lang jeden Ballkontakt eines Leipzigers mit einem Pfeifkonzert. Als die Viertelstunde vorüber war, wurde selektiver gepfiffen, aber nicht weniger laut. Man wolle dokumentieren, dass man selbst „aus wenig viel“ mache und nicht nur deshalb ein „perfektes Gegenbeispiel zu diesem Marketingfurz“ sei, hieß es in einem Flugblatt der Lilien-Fans. So vehement wie an diesem Samstag in Darmstadt werden die Proteste im achten Jahr der Bundesligazugehörigkeit von RB Leipzig nur noch selten artikuliert.
Das Blöde an David-gegen-Goliath-Inszenierungen ist, dass es meist Goliath ist, der gewinnt. So auch diesmal, als sich Leipzig nach einem freudlos-pragmatischen Vortrag mit 3:1 durchsetzte: Nach 45 Sekunden stand es 0:1 durch Lois Openda. Mitte der ersten Halbzeit 0:2 (24.) nach einem freundlich passierten Freistoß von Emil Forsberg. Nach dem Elfmeter von Tobias Kempe zum 1:2 (52.) traf erneut Openda (75.), jubelte provokativ vor dem Heim-Bereich, das war’s.
Damit war alles angerichtet für zerknirschte David- und triumphierende Goliath-Zitate. Doch das Gegenteil passierte. David ärgerte sich über die verlorene Auseinandersetzung, war ansonsten aber mit sich, der Steinschleuder und der Welt zufrieden. Und das hatte nichts mit Realitätsverlust zu tun: Darmstadt 98 hatte ein so gutes Spiel gemacht, dass RB-Sportdirektor Rouven Schröder fast ehrfürchtig lobte: „Die waren sehr mutig. Hier werden sich noch viele Gegner schwertun.“
RB wie begabter, aber fauler Schüler
Dass die RB-Spieler fußballerisch in anderen Sphären unterwegs sind als ihre Darmstädter Kollegen, war dabei durchweg zu erkennen. Dass der ein oder andere schneller zu Fuß ist als sein Gegenspieler ebenfalls. Aber insgesamt spielte RB zu oft wie ein begabter, aber fauler Schüler, der mit Talent wettzumachen versucht, was sich andere hart erarbeiten müssen. Dass da noch Luft nach oben ist, gab Trainer Marco Rose nach dem Spiel auch zu. Man habe sich das Darmstädter Spiel aufzwingen lassen und werde daraus lernen.
„Wir wollen mehr Kontrolle haben und mehr Schärfe in den Zweikämpfen.“ Rose fand dann selbst irgendwann, dass bei all dem Lob für Darmstadt und all der Selbstkritik die Kirche im Dorf bleiben müsse: „Ich saß schon vorher in sieben Pressekonferenzen, wo der gegnerische Trainer gesagt hat, sein Team habe gerade das beste Saisonspiel gemacht.“ Dafür sei man ganz ordentlich unterwegs in dieser noch jungen Spielzeit, mit 17 Punkten nach acht Spielen.
Beeindruckende Darmstädter
Trotzdem war es die Darmstädter Leistung, die von diesem Spiel in Erinnerung bleiben wird: Die Mannschaft kämpfte sich trotz des frühen Zwei-Tore-Rückstands auf ziemlich beeindruckende Weise in die Partie hinein. Allein das war schon bemerkenswert, denn welcher Aufsteiger würde bei einem 0:2-Rückstand nach knapp über 20 Minuten nicht Angst vor einer Klatsche bekommen und dementsprechend vorsichtiger agieren? Anders die Lilien, die geradezu lustvoll die Zweikämpfe suchten und das Spiel fast ausschließlich in der Hälfte der Leipziger stattfinden ließen. Mehr als ein Tor kam für sie über 90 Minuten aber nicht herum, doch die Fülle der Torgelegenheiten und die Tatsache, dass ein Gegner wie Leipzig ganz gut beschäftigt war, das eigene Tor zu sichern, macht Mut für das mittelfristige Ziel.
Für gute Laune bei den Fans, die auch Leipzigs Rose trotz der fast durchgehenden Pfiffe gegen sein Team „toll“ nannte, sorgt der Darmstädter Offensivfußball sowieso. Als die Leipziger Spieler längst unter der Dusche waren, wurden ihre hessischen Kollegen draußen immer noch gefeiert. Und wer danach hörte, wie Keeper Schuhen oder Fabian Holland über das Spiel redeten, begriff, was dahintersteckte. So wie Darmstadt spielt eine Mannschaft, die daran glaubt, am Ende der Saison nicht zu den zwei oder drei Absteigern gehören zu müssen.
Dass, wie Schuhen mit viel Trotz in der Stimme sagte, „niemand einen Pfennig auf uns gibt“, motiviert da offenbar zusätzlich. Denn so wie am Samstag gedenken die Hessen auch die restlichen 26 Spiele zu bestreiten: „Wenn wir verlieren, wollen wir so verlieren wie heute“, sagte Trainer Torsten Lieberknecht.
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