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Mädchenfußball in den USA„Soccer-Moms“ bei der Arbeit

Ann Germain war in den achtziger Jahren eine Pionierin des US-Frauenfußballs. Bis heute steht sie jeden Tag auf dem Feld und trainiert ihre Mannschaft. Ein Besuch.

Kimberley Germain beim Training der Mädchenmannschaft des Annandale Boys and Girls Teams Bild: Dorothea Hahn

WASHINGTON taz | „Fußball war meine erste Liebe“, sagt Ann Germain. Auf dem Beifahrersitz neben ihr liegen eine schwarze Hose und eine Business-Bluse. Bis fünf Uhr an diesem Nachmittag war sie Ingenieurin, Vollzeitjob in einem voll klimatisierten Büro für Stadtplanung am Rand von Washington. Nach Dienstende ist sie in den Geländewagen gestiegen, mit dem sie schon 480.000 Kilometer gefahren ist. Für neue Aufgabe zurecht gemacht hat sie sich auf dem Parkplatz vor dem Büro.

Eine Stunde später springt sie in T-Shirt, kurzer Turnhose und Sportschuhen aus dem Wagen in die schwüle Hitze dieses Juni-Abends. So frisch, als finge der Tag gerade erst an, läuft sie zu dem im Wald gelegenen Fußballplatz in Annandale, Virginia. Schnurstracks zu auf zwei junge Frauen und 13 kleine Mädchen. Alle haben Bälle vor den Füßen. Und alle haben Schleifen im Haar. Ann Germain trägt ihr graues Haar kurz. Sie wird diese Woche 50. Ihr Körper wirkt drahtig wie der einer jungen Frau.

„Hi Mom“, ruft Kimberley schon von Weitem. „Hi Mom“, sagt ihre jüngere Schwester Kelly, als Ann Germain auf dem Kunstrasen ankommt. Dann klatscht die ältere Schwester in die Hände und ruft den Mädchen, von denen die größten ihr bis zur Taille reichen, zu: „Los. Wir dribbeln jetzt!“ Die 24-jährige Kimberley läuft einen großen Bogen. 13 junge Mädchen setzen sich mit dem Ball am Fuß in Bewegung. Ihre 21-jährige Schwester Kelly gibt von hinten Anweisungen. Und ihre Mutter steht in der Mitte des Platzes und beobachtet die dribbelnde Schlange.

Ann German steht an mindestens fünf Tagen die Woche auf einem Fußballplatz. An ihren freien Tagen manchmal sogar zweimal. Am letzten Sonntag hat sie morgens ein Team in dem 220 Meilen nördlich gelegenen Philadelphia und abends ein zweites in der Nähe von Annandale trainiert. Fast immer trainiert sie Mädchen. Nur gelegentlich sind es auch gemischte Gruppen. Aber dies hier ist besonders: Ihre älteste Tochter ist dabei, in ihre Fußstapfen zu treten. Seit Kimberley im vergangenen Jahr ihren Plan, Profifußballerin zu werden, endgültig aufgegeben hat, ist sie hauptberufliche Trainerin.

Die Pionierin

Ann Germain ist eine Fußballpionierin. Eine von jenen, die den Weg zum Erfolg des „Soccer“ bereitet haben. Mitte der achtziger Jahr hat sie selbst in der ersten Nationalmannschaft ihres Landes gespielt.

Als sie 1985 ihr erstes Spiel spielt, interessiert sich in den USA kaum jemand für Fußball, erst recht nicht für den der Frauen. Der Spielbetrieb in der ersten Männerliga ist im Jahr zuvor eingestellt worden, die Frauen spielen vor leeren Tribünen, und talentierte Mädchen bekommen im günstigsten Fall eine Aufwandsentschädigung von 10 Dollar pro Tag.

Ann, die damals noch ihren Mädchennamen Orrington trägt, entdeckt den Fußball im Alter von zwölf Jahren, als sie englische Frauen beim Spiel sieht. Seither ist sie am Ball und lässt sich von nichts abschrecken.

USA bei der WM

Das Nationalteam: hat zwei Weltmeisterschaften und drei Olympia-Turniere gewonnen. Ist die Nummer eins der Weltrangliste. 40 Prozent der Mitglieder des US-Verbandes sind Frauen: fast zwei Millionen, viel mehr als in Deutschland.

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Die Liga: Die erste Frauen-Profiliga der Welt startete 2001 in den USA. Doch die Womens United Soccer Association musste nach nur drei Spielzeiten und Verlusten in dreistelliger Millionenhöhe den Betrieb einstellen. Unter dem Namen Womens Professional Soccer läuft seit 2009 der zweite Versuch, mit derzeit sechs Teams und ähnlichen Problemen. Bereits vier Teams schieden wegen Finanzproblemen aus der Liga aus.

Manche männliche Spitzensportler in Disziplinen wie Baseball und American Football verdienen bereits damals viel Geld. Jungen aus armen Vorstädten, die zu Geld und Ruhm aufsteigen wollen, können so auf gut bezahlte Engagements in den Mannschaften von Hochschulen hoffen. Denn eine Hochschule in den USA braucht Erfolge in diesen Sportarten. Als Markenzeichen.

Aber für Frauenfußball gibt es Mitte der achtziger Jahre keinen Markt. Frauen können spielen. Aber um ein Auskommen zu finden, müssen sie zusätzlich eine Ausbildung machen. Das Resultat sind Frauen wie Ann Germain: fußballbegeistert und zugleich gebildet und beruflich erfolgreich.

Manche Spielerin aus jener Anfangszeit wurde Akademikerin, andere engagieren sich in Frauenförderprogrammen oder arbeiten in Hilfsorganisationen gegen Aids. Die Ingenieurin Ann Germain coacht. Und sagt, dass sie das tut, weil junge Mädchen, „wenn sie 15 oder 16 sind und Athletinnen sind, einfach viel mehr Selbstvertrauen haben“. Und dass sie gelernt haben „verantwortungsbewusst und kooperativ zu sein.“

Ihr eigenes Ingenieurstudium vor mehr als einem Viertel Jahrhundert hat Ann Germain mit einem Stipendium für einen Sport finanziert, der eigentlich ihre zweite Wahl war: Hockey. Dafür gab es Geld.

Gründerin einer Dynastie

Eine Generation danach ist sie die Begründerin einer Dynastie. Ihre beiden Töchter und der dazwischen geborene Sohn Brian haben sich von der Mutter und dem ebenfalls fußballbegeisterten Vater anstecken lassen. Alle drei haben von klein an Fußball gespielt. An der Hochschule bekommen alle drei Fußballstipendien, die ihnen ihre Ausbildungen finanzieren. Kimberley studiert Sportmanagement. Kelly Sonderpädagogik.

In der Zeit zwischen Mutter und Töchtern hat eine von Feministinnen erstrittene Gleichstellungsregel den Stellenwert des Fußballs in den USA verändert: „Title IX“ verpflichtet Schulen und Hochschulen genauso viel Geld für die Erziehung von Mädchen wie von Jungen auszugeben. Die 1972 beschlossene und in den achtziger Jahren allmählich in die Tat umgesetzte Regel macht Fußball für Mädchen attraktiv. Statt ein paar zehntausend, wie in den siebziger Jahren, spielen in den USA jetzt Millionen junger Mädchen Fußball.

Am größten ist der Zulauf zum Frauenfußball bei der weißen Mittelschicht – und immer mehr auch bei Töchtern aus lateinamerikanischen Einwandererfamilien. Jeder Erfolg der US-Frauenfußballteams bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften lockt neue Mädchen.

Als die US-Frauen bei den Olympischen Spielen 1996 die Fußball-Goldmedaille gewinnen, ist die ehemalige Nationalspielerin Ann Germain in Atlanta zur Party eingeladen. Dass ihre neunjährige Tochter Kimberley damals die Goldmedaille anfassen darf, hält die Mutter heute für einen wichtigen Meilenstein auf deren Weg zum Fußball. „Es gab eine Begeisterung“, sagt sie: „und Vorbilder für kleine Mädchen.“

Die sechsjährige Nicole ist das kleinste Mädchen, das an diesem späten Nachmittag über den Kunstrasen rennt. Als Kimberley ruft: „Ball an den linken Fuß“, muss Nicole erst bei den anderen Mädchen nachschauen, wo rechts und links ist. Dann tritt sie umso entschlossener auf ihren Ball ein. Wie alle anderen Mädchen auf dem Spielfeld schwärmt sie für die brasilianische Spielerin Marta. Und sagt von sich selbst, dass sie Profifußballerin werden will, wenn sie groß ist.

Der stolze Papa, der sie zum Training kutschiert hat, sitzt in einem Trikot am Spielfeldrand. Beim Training ruft er seiner Nicole gelegentlich Aufmunterungen zu. Als wäre er der Trainer. Erst mal fahren wir im Sommer zur Oma nach Bolivien“, sagt er, „danach sehen wir weiter“.

Neben ihm sitzt eine „Soccer-Mom“ aus Annandale in einem Klappstuhl. In den Spielpausen bringt die Mutter der achtjährigen Stephanie Wasser auf das Spielfeld. Die Mutter hat selbst nie Fußball gespielt. Jetzt ist sie Fahrerin und Support-Team für ihre Tochter geworden, die jedes Spiel der WM anschauen will, an denen die USA teilnehmen. „Heute kommt es Mädchen überhaupt nicht in den Sinn, dass sie nicht Fußball spielen könnten“, sagt Ann Germain.

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