Machtwechsel in Guatemala: Gegen die alten Kräfte des Landes
Deutlich verspätet leistete Guatemalas neuer Präsident Bernardo Arévalo in der Nacht seinen Amtseid. Schuld war die Opposition im Parlament.
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Wie knapp es war, daraus machte Arévalo in seiner Antrittsrede keinen Hehl. Haarscharf sei das Land an einem neuen Autoritarismus vorbeigeschrammt, und zu verdanken sei das der Einigkeit, lobte der 65-Jährige vor rund 1.000 geladenen Gästen im Nationaltheater der Hauptstadt.
Der Dank des neuen Präsidenten, dessen Antrittsrede auf dem zentralen Platz der Hauptstadt trotz der späten Stunde von Tausenden bejubelt wurde, ging aber auch an die befreundeten Nationen und die indigenen Autoritäten. Letztere hatten mit massiven Protesten über 105 Tage die Reste der Demokratie in Guatemala genauso verteidigt, wie die internationale Gemeinschaft vehement auf die Vereidigung des gewählten Präsidenten gedrängt hatte. Das wurde auf dem „Platz der Verfassung“, dem zentralen Ort in Guatemalas Hauptstadt, von Tausenden mit vehementem Jubel quittiert.
Dafür war aber auch am Tag der Vereidigung hinter den Kulissen viel Druck nötig gewesen. Die 160 Abgeordneten des Parlaments hatten über Stunden mit mehreren Abstimmungen über die leitenden Gremien des Parlaments für Verzögerung gesorgt. Durchaus kalkuliert, denn eine glatte Amtsübernahme haben viele der oppositionellen Abgeordneten, von denen viele als korrupt gelten, Bernardo Arévalo schlicht nicht gegönnt.
Arévalo hat Institutionen und Justiz gegen sich
Internationaler Druck und ein Urteil des Verfassungsgerichts, das die Parlamentarier verpflichtete, binnen einer Stunde die leitenden Gremien des Parlaments zu wählen, sorgten schließlich für den Durchbruch. Die „Junta Directiva“ mit Parlamentspräsident Samuel Pérez Álvarez von Arévalos Partei Semilla wurden gewählt, und das ist ein beachtlicher Erfolg für die Partei des Präsidenten. Offiziell ist sie suspendiert, ihre 23 Abgeordneten dürfen keine Fraktion bilden, haben aber die nötigen Stimmen für den politischen Neuanfang nach mehreren Anläufen zusammenbekommen.
Ein Achtungserfolg für Präsident und Partei, der mehr als neun Stunden Zeit verschlang. Statt gegen 14 Uhr traf Bernardo Arévalo erst nach 23 Uhr im Nationaltheater ein. Da hatten die ersten internationalen Gäste, darunter OAS-Generalsekretär Luis Almagro, den Ort der Vereidigung bereits entnervt verlassen. Peinlich, denn Almagro hatte Bernardo Arévalo seit seiner Wahl am 20. August wie kaum ein anderer unterstützt.
Das wird ohne Zweifel auch weiter nötig sein, denn der 65-jährige Soziologe und Ex-Diplomat wird gegen eine immens starke Opposition im Land regieren müssen. Nicht nur im 160-köpfigen Parlament stellt die Opposition die Mehrheit, auch nahezu jede staatliche Institution ist von korrupten Funktionär:innen unterwandert. Allen voran die Justiz mit der Generalstaatsanwältin María Consuelo Porrras an der Spitze, die Bernardo Arévalo nun zum Rücktritt auffordern will. Ob das realistisch ist, steht in den Sternen, denn Porras hat noch ein Mandat bis 2026.
Allerdings ist der Druck auf die Juristin immens, und Appelle, einzulenken, gibt es mittlerweile auch vom Kardinal Álvaro Ramazzini. Der las am Sonntag die Messe vor der Generalstaatsanwaltschaft an der Seite der indigenen Autoritäten. „Wir brauchen in den nächsten Monaten und Jahren eine aktive Zivilgesellschaft, die Einheit der indigenen Völker und das diplomatische Geschick von Bernardo Arévalo“, sagte der Kardinal aus dem indigen geprägten Verwaltungsbezirk Huehuetenango, ganz im Norden des Landes. Für die Region und alle anderen ländlich geprägten Regionen wünscht sich Ramazzini mehr Investitionen, dezentrale Strukturen und ein Ende des auf die Hauptstadt fixierten Modells.
Genau das hat Bernardo Arévalo in seiner Antrittsrede als eines von vielen Vorhaben definiert. Doch die Aufgabe des im Exil aufgewachsenen, in Tel Aviv und Utrecht zum Soziologen ausgebildeten Mannes ist gewaltig: Arévalo will das Land grundlegend verändern, strukturelle Reformen einleiten, die auch dazu führen sollen, dass die Leute im eigenen Land wieder mehr Perspektiven sehen und weniger auswandern. Das dürfte auch in Washington gut ankommen. Doch dafür ist deutlich mehr soziale Gerechtigkeit nötig, die sich Arévalo genauso wie den Schutz der Menschen-, aber auch der Frauenrechte auf die Agenda geschrieben hat.
Dafür braucht der ehemalige Diplomat nicht nur Verhandlungsgeschick, sondern auch kontinuierliche internationale Unterstützung – unter anderem gegen eine egoistische und zutiefst korrupte Elite. Die Devise Arévalos heißt: für das Wohl aller und nicht das einiger weniger. Er signalisiert: Der Wandel in Guatemala hat begonnen.
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