: Machtwechsel durch Bomben?
Berliner Iraner blicken mit Sorge und Angst auf den Krieg Israels gegen ihr Land. Die Meinungen über die Gründe des Angriffs und seine möglichen Auswirkungen gehen indes weit auseinander
Protokolle Lilly Schröder
Resa Memarnia, 49 Jahre, Politikwissenschaftler
Es ist merkwürdig, aber es hat doch Freude überwogen, als ich vom Angriff Israels auf Iran erfahren habe. Denn für uns herrscht seit 46 Jahren faktisch Krieg: Hunderttausende Iraner wurden gefoltert, ermordet und Frauen vergewaltigt. Der erste Gedanke war deshalb: Dann ist es jetzt ein Ende mit Schrecken – aber mit der Perspektive, dass wir wieder ein freies Iran erleben können
Natürlich kamen dann auch schnell die Sorgen und Ängste um Freunde, Familie und die Zivilbevölkerung. Doch laut der offiziellen Angaben der Regierung wurden bislang vor allem die Islamisten getroffen: Von rund 1.600 Verletzten und Toten sollen „nur“ 200 Zivilisten sein, der Rest Militärs, Funktionäre und Wissenschaftler mit Verbindungen zum Atomprogramm. Ich halte diese Zahlen für glaubwürdig, denn das Regime hätte eher ein Interesse, die Zahl ziviler Opfer nach oben hin zu beschönigen.
Natürlich verstehe ich auch, dass sich Iraner gegen den Krieg aussprechen. Über die Notwendigkeit von Krieg kann man sich in einem philosophischen Salon gut austauschen, aber wir stehen nun mal vor dieser realen Situation: Israel greift führende Köpfe Irans an. Diese Gelegenheit muss das iranische Volk jetzt nutzen. Denn im Alleingang kommen sie gegen diese bewaffneten Mörder nicht an. Israel hingegen hat in wenigen Tagen bereits das System zum Erliegen gebracht hat: Chamenei ist seit Tagen in einem Erdloch versteckt, von den obersten Vertretern des Regimes fehlt jede Spur. Die sind weg, weil sie Angst haben.
Meine Hoffnung ist, dass in den nächsten Tagen der komplette Sturz der iranischen Republik besiegelt wird, es eine Übergangsregierung gibt, die Islamische Republik Geschichte ist und wir ein freies Iran erleben werden.
Wenn dieses Regime die Militärschläge überlebt, wird es nur noch schlimmer für Andersdenkende. Niemand, der das Verhalten dieses Regimes in den letzten Jahrzehnten erlebt hat, kann ernsthaft glauben, dass Verhandlungen eine Option sind. Die Mullahs haben in den letzten 46 Jahren bewiesen, dass ihnen nicht zu trauen ist und sie sich mit Gewalt an der Macht halten werden.
Israel zu unterstellen, dass es Iran aus wirtschaftlichen oder anderweitigen Interessen angegriffen hat, halte ich für zutiefst antisemitisch. Die Leute müssen begreifen, dass Israel sich zu diesem sehr mutigen Schritt entschlossen hat, weil sie Sicherheit wollen in ihrem eigenen Land. Iran hat diesen Krieg seit 46 Jahren herbeigeführt, indem sie offen Vernichtungswünsche Israels äußern und die Hamas und die Hisbollah aufrüsten. Ohne die Unterstützung Irans wäre der 7. Oktober nie denkbar gewesen. Ich bin kein Fan der ultrarechten Netanjahu-Regierung und sie haben Iran auch sicher nicht aus Mitleid mit dem armen iranischen Volk angegriffen. Aber ihre Sicherheitsinteressen decken sich gerade zufällig mit den Freiheitsinteressen der Iraner.
Es ist schwer auszuhalten, dass jetzt in Berlin Menschen gegen den Krieg demonstrieren, die noch vor einem Jahr unter dem Banner von „Jin, Jiyan, Azadi“ gegen das frauenverachtende System in Iran protestiert haben. In vielen dieser Bewegungen herrscht ein sehr vorgefestigtes Weltbild, in dem immer Israel und die USA schuld sind.
Wenn mir jemand sagen kann, wie die Islamische Republik ohne Gewalt gestürzt werden kann, höre ich zu. Aber aktuell sehe ich keine Alternative.
Tooka Tajali-Awal, 33 Jahre,
Sängerin
Ich klebe von morgens bis abends am Handy: Checke die Nachrichten, telefoniere mit meiner Familie in Deutschland, meiner Familie in Iran und iranischen Freund*innen in der Diaspora. Ich habe Angst, bin wütend und mache mir Sorgen – vor allem um die Leute, die der Situation schutzlos ausgeliefert sind: marginalisierte Menschen, Arme, Alte, Kranke und die unzähligen Gefangenen.
Ich war nach der Meldung am vergangenen Freitag geschockt und hatte Angst. In der Diaspora, wie auch in Iran habe ich aber verzeichnet, dass sich viele über die Angriffe freuen, weil die Monster, die auch die iranische Bevölkerung hasst, ermordet wurden. Die Stimmung ist jedoch in Angst umgeschlagen, als mit jedem Tag klarer wurde, dass auch die Zivilbevölkerung bombardiert und ermordet wird. Jeder versucht jetzt die eigene Familie vor Ort rauszukriegen. Die Autobahnen sind voll, es gibt kein Benzin mehr, die Flughäfen wurden evakuiert und die Grenzen dichtgemacht.
Man kann in dieser hoffnungslosen Situation nichts machen, außer zu probieren, sich gegenseitig Trost zu spenden. Meine Verwandten vor Ort sagen, dass wir uns keine Sorgen machen sollen, aber das ist schwer, wenn ihre Stadt bombardiert wird.
Viele erhoffen sich durch den Angriff von Israel ein Regimewechsel. Ich glaube vor allem, dass das auch eine Bewältigungsstrategie ist: sich einzureden, dass das Bombardieren und Morden irgendeinen Sinn hat. Aber ich glaube, es ist zu gutgläubig zu denken, dass Netanjahu Frieden und Freude nach Iran bringen möchte. Der Krieg dient nur Netanjahus eigenen machtpolitischen Zwecken, nicht der iranischen Bevölkerung. Am Ende wird es die Diktatur nur verstärken, unzählige Tote und Hinrichtungen geben. Es ist immer so: Wenn Iran außenpolitisch unter Druck gerät, rächt es sich auch innenpolitisch.
Jetzt in Berlin zu sein, fühlt sich an, wie in einem Paralleluniversum zu leben. Bei aller Solidarität von Freund*innen, nehme ich besonders aus Teilen der linken Szene oft nur zögerliche Solidarität wahr. Vor allem wenn es um Kritik an Israel geht, begegnet man in Deutschland oft einer besonderen Skepsis. Ich glaube aber auch, dass verinnerlichter Rassismus eine große Rolle spielt: Bilder von Krieg, Zerstörung und Leid aus dem Nahen Osten sind für viele so alltäglich geworden, dass sie kaum noch ernst genommen werden.
Der Angriff auf die Ukraine zum Beispiel wurde in Deutschland völlig anders bewertet. Ich habe nicht den Eindruck, dass Syrien, Gaza oder Iran denselben Stellenwert haben – weder gesellschaftlich noch politisch. Dieses unsägliche Lied von Deutschland und anderen Staaten, dass Israel sich verteidigen darf, kann ich wirklich nicht mehr hören. Das hat nichts mit Selbstverteidigung zu tun! Diese unhinterfragte Loyalität und einseitige Berichterstattung ist für mich kaum auszuhalten. Alles, was diese Loyalität in Frage stellt, wird mundtot gemacht wird. Das haben wir schon bei den Protesten zu Gaza erlebt.
Ich wünsche mir von der deutschen Gesellschaft mehr Solidarität – auch von Menschen, die nicht unmittelbar betroffen sind. Geht auf die Straße, zeigt Haltung, helft mit, dass nicht noch mehr Unschuldige sterben müssen. Und wenn ihr Menschen kennt, deren Familien in Iran leben: Fragt nach. Denn viele von uns befinden sich gerade in einem Strudel aus Angst, Sorge und Hilflosigkeit.
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