Machtkampf im Fußball: One Love für das große Geschäft
Das gute Europa gegen die böse Fifa? Es tobt eine moralische Schlacht. Doch die eigentliche Kampflinie verläuft woanders. Es geht ums Geld.
Von Deutschland aus betrachtet, ist das Urteil leicht zu fällen. Die Fifa ist auf der dunklen Seite des Mondes zu Hause, die Guten kommen aus Europa. Im internationalen Fußballverband wird das anders gesehen. Dessen Präsident Gianni Infantino sieht eine gute Portion Rassismus bei der Verachtung aus vielen Länder Europas für den WM-Gastgeber Katar mitschwingen. Als wäre er in Identitätspolitik bestens geübt, hat er zu Beginn des Turniers gesagt: „Ich denke, was wir Europäer in den vergangenen 3000 Jahren weltweit gemacht haben, da sollten wir uns die nächsten 3000 Jahre entschuldigen.“
Was ist da los? Geht es im Fußball nun wirklich um die finale Schlacht zwischen Gut und Böse? Führen moralische Fragen zum Auseinanderfallen des Weltverbands? Immerhin hat der Präsident des dänischen Fußballverbands Jesper Møller öffentlich gemacht, dass unter nordeuropäischen Verbänden darüber diskutiert wurde, die Fifa zu verlassen. Dänemark gehört zu den sieben Verbänden, die ihre Kapitäne in Katar mit der berühmt gewordenen „One Love“-Spielführerbinde auflaufen lassen wollten, was ihnen dann untersagt wurde.
Zuvor hatte die Fifa den Dänen schon verboten, Aufwärmtrikots mit der Aufschrift „Menschenrechte für alle“ zu tragen. Genauso wie der Deutsche Fußball-Bund versagen die Dänen Infantino die Unterstützung bei der nächsten Wahl zum Fifa-Präsidenten im März 2013. Das hell scheinende Europa vereint im Kampf gegen die finstere Fifa? So einfach ist das nicht.
Gutes Europa – schlechtes Europa
In moralischen Fragen sind die Mitgliedsnationen der Europäischen Fußballunion (Uefa) alles andere als einig. Die WM-Teilnehmer Polen, Frankreich, Spanien, Portugal, Serbien und Kroatien gehörten nicht zu denen, die mit den bunten Herzchen auf der Binde für die Rechte von Minderheiten welcher Art auch immer ein Zeichen setzen wollten. Gehören sie zu den Bösen? Haben nur England, Wales, Belgien, die Schweiz, Deutschland, Dänemark und die Niederlande das Herz am rechten Fleck? Und hat eigentlich die Uefa als europäischer Dachverband sich mal zu dem Konflikt geäußert?
Wer sich daranmacht, das Verhältnis der Uefa zum Weltverband Fifa unter die Lupe zu nehmen, wird schnell merken, dass es da keineswegs um die Verbesserung der Welt geht. Es geht um den Markt. Zwischen den beiden Verbänden tobt ein Kampf um die marktbeherrschende Stellung in der Fußballindustrie. Diese Auseinandersetzung könnte wirklich dazu führen, dass sich die Fußballwelt dereinst spalten wird. Denn der Kampf wird schon jetzt mit härtesten Bandagen geführt. Die Europäer haben dabei bereits mit der schärfsten Waffe gedroht, die sie zur Verfügung haben – mit einem WM-Boykott.
Als Gianni Infantino in vergangenen Jahr die Pläne für eine WM im Zweijahresrhythmus vorangetrieben hat, um die Welt mit noch mehr Weltmeisterschaftsfußball zu beglücken, ist Uefa-Präsident Alexander Čeferin dagegen auf die Barrikaden gegangen. Ein „No-Go“ sei das für seinen Verband, meinte er und holte sich die Unterstützung des südamerikanischen Kontinentalverbands Conmebol. Beide sahen die Geschäfte ihrer profitabelsten Wettbewerbe gefährdet, die der Nationenturniere EM und Copa America sowie der Klubwettbewerbe Champions League und Copa Libertadores.
Finalissima ums Geld
Ergebnis der gemeinsamen und letztlich erfolgreichen Opposition war die Vereinbarung, den Europameister gegen den Südamerikameister in einem Spiel mit dem Namen Finalissima um einen neu geschaffenen Pokal spielen zu lassen. Den hat Argentinien im Spiel gegen Italien gewonnen. Und auch die Uefa hatte wieder einen Punkt gemacht im Kampf gegen die Fifa. Sie hatte zusammen mit der Conmebol ein weiteres Event zur weltweiten Vermarktung aufgesetzt.
Dem Umsatz der Uefa hat das Event einen weiteren Schub versetzt. Die Fifa kann mit den Zuwächsen, die in Europa erwirtschaftet werden, nicht mithalten. Gewiss, die Zahlen, die Gianni Infantino zu Beginn der WM in Katar präsentiert hat, sind eindrucksvoll. Mit einem Umsatz von umgerechnet 7,2 Milliarden Euro schließt der Weltverband Ende 2022 seine Vierjahresbilanz in diesem Jahr wohl ab. Die hierzulande so übel beleumundete WM in Katar ist dabei wesentlich profitabler, als es das Turnier vor vier Jahren in Russland war. Im Vergleich zum vorangegangenen Vierjahreszyklus, der im WM-Jahr 2018 endete und in dem die Fifa einen Umsatz von 6,14 Milliarden Euro Umsatz gemacht hat, ist das eine Steigerung von 17 Prozent.
Die Uefa hat allein im vergangenen Geschäftsjahr 5,72 Milliarden Euro umgesetzt. In den vier Jahren bis 2018 waren es satte 15,4 Milliarden. Kein Wunder, dass die Fifa denken muss, dass da noch viel zu holen ist. Sie versteht sich dabei als Anwalt der Verbände, die zwar jede Menge Mitglieder stellen, aber, was das Geschäft angeht, von Beträgen, wie sie in Europa erwirtschaftet werden, nur träumen können.
So erwartet etwa der Verband Mittel- und Nordamerikas sowie der Karibik Concacaf, dass sich die Fifa nach dem Scheitern der Pläne für eine WM im Zweijahresrhythmus etwas Neues für sie einfallen lässt. Von einer Wiederbelebung des Confederations Cup, der bis 2017 als Testwettbewerb im Jahr vor der WM stattgefunden hat, war schon die Rede oder von einer Weltliga, einer Ausweitung des Nations-League-Wettbewerbs, mit dem die Uefa seit der Einführung 2018 gute Geschäfte in Europa macht.
„Uns ist schon klar, dass die Brotkörbe des Fußballs in Europa sind“, sagt Victor Montagliani, der Concacaf-Präsident, im Wissen, dass die besten Profis der Welt für die höchsten Gehälter in Europa spielen. Und doch müsse man einen Schritt zurücktreten und von einer globalen Perspektive aus auf das Geschäft blicken. Montagliani vertritt 41 Verbände, große wie Mexiko und die USA und kleine und bettelarme wie Haiti. 41 Stimmen bringt er mit, wenn bei einem Fifa-Kongress alle 211 Verbände zusammenkommen. Er kämpft für eine stärkere Umverteilung der Fußballmillionen zugunsten der Kleinen.
Verdienen an den Klubs
Und die Uefa, die mit ihren 55 Stimmen in der Fifa allein wenig ausrichten kann, kämpft für die Beibehaltung des Status quo, um ihre Rolle als finanzielles Herz des Fußballs. Den Kampf muss sie auch innerhalb Fußballeuropas führen. Als sich ein Dutzend Spitzenklubs aus England, Italien und Spanien zusammengeschlossen haben, um gegen die Uefa in einer Super League Geschäfte auf eigene Rechnung machen zu können, musste die Uefa kurz um die herausragende Stellung ihrer Champions League bangen.
Niemand wunderte sich über einen Bericht der New York Times, nach dem die Fifa an den Vorbereitungen zu einer solchen Eliteliga im Hintergrund mitgewirkt haben soll. Die öffentlichen Bekundungen Infantinos, die Fifa sei gegen die Super League, konnten in den Zeiten der Auseinandersetzung der Europäer mit der Fifa das Geraune nicht aufhalten.
Am Geld, das sich mit Spielen der europäischen Großklubs machen lässt, will die Fifa ebenfalls partizipieren. Die Pläne für eine Klub-Weltmeisterschaft, an der statt wie bisher acht Teams 24 Mannschaften teilnehmen sollen, standen gefüttert von Milliarden einer japanischen Bank kurz vor der Realisierung. Die Coronapandemie bremste die Pläne vorerst aus. Werden sie umgesetzt, braucht es die Unterstützung eines der mächtigsten Männer im Weltfußball.
Der heißt Nasser Al-Khelaifi und ist nicht nur Präsident des französischen Spitzenklubs Paris Saint-Germain und Chef der European Club Association, sondern auch Mitglied des Exekutivkomitees der Uefa. Der Katarer kann von der Uefa-Zentrale aus Sportswashing betreiben. Und der Verband bindet ihn ein, weil er von der Gunst der Großklubs abhängig ist. Das sollte gewiss mehr sein als nur ein Nebenaspekt in diesen moralisch so aufgeladenen Tagen.
Ohne den Griff in den Moralbaukasten geht beim Kampf um die Fußballmillionen sowieso fast gar nichts. Als Gianni Infantino im Januar vor den Europarat geladen war, schwärmte er noch von einer WM, die alle zwei Jahre stattfindet. Und wie! „Wir müssen einen Weg finden, die ganze Welt mit einzuschließen, Afrikanern Hoffnung zu geben, so dass sie nicht übers Mittelmeer müssen, um ein besseres Leben zu finden oder – viel wahrscheinlicher – den Tod im Wasser.“
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