Machtkampf Iran: Warten auf die Wächter
Nur noch wenige Journalisten können aus Teheran berichten. Eine aktuelle Einschätzung unserer Korrespondenten.
Auch Irans Kulturschaffende hatten sich vor den Präsidentschaftswahlen in großer Zahl für die Reformer Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi ausgesprochen. Die gegenwärtige Legitimitätskrise politischer Macht erleben sie als eine Phase tiefgreifender Verunsicherung, aber auch als Chance. Viele halten es aber auch für verfrüht, sich zu äußern. Zu unübersichtlich und labil sei die Lage. Vor allem aber zu gefährlich.
Eine Woche nach den Präsidentschaftswahlen vom letzten Freitag zeichnet sich in Teheran täglich deutlicher ab, dass die epochalen Schweigemärsche, mit denen Millionen von Iranern landesweit gegen Wahlergebnisse demonstriert haben, die ihnen als zynische Verhöhnung des Volkswillens erscheinen, eine Zäsur in der Geschichte der Islamischen Republik darstellen.
Dies nicht nur, weil die zusammenströmenden Menschenmassen bei den zumeist friedlichen Demonstrationen durch die Innenstadt Teherans bei weitem die Beteiligung an den landesweiten Studentenunruhen von 1999 übertreffen; sondern vor allem auch deshalb, weil die Dynamik der Ereignisse nunmehr alle Gesellschaftsbereiche erfasst hat. Während der amtierende Präsident Ahmadinedschad sich bei Pressekonferenzen und einer Auslandsreise um die Verkörperung alltäglicher Souveränität bemüht, erklingen nach den stummen Demonstrationen die Rufe "Allah-o-Akbar" von den Dächern. Es wird auch weniger gearbeitet, in Banken und Basaren ist es deutlich stiller und die Börse geht auf Talfahrt.
Sogar sieben der elf iranischen Kicker, die am Mittwoch mit einem 1:1 gegen Südkorea die WM-Qualifikation verpasst haben, trugen in Seoul grüne Bändchen am Handgelenk. Und seit Dienstag druckt mit Ettelaat eine Tageszeitung mit landesweiter Verbreitung Bilder und Slogans von den Demonstrationen. Das ist höchst bedeutsam, denn das Fernsehen hatte bislang nur über Krawallmacher berichtet, die Steuergelder in Rauch und die Ruhe des Bürgers in Chaos transformieren. So wissen nun die Provinzen, was in der Kapitale geschieht.
Der Iran wartet auf die Prüfung der Wahlergebnisse, mit der Revolutionsführer Ali Chamenei zu Wochenbeginn überraschend den Wächterrat beauftragt hat. Ein defensiver Zug, der im Kontext einer politischen Logik, die oft nach der Maxime "Angriff ist die beste Verteidigung" handelt, symptomatisch für eine subtile Änderung der Kräfteverhältnisse im Machtzentren der Islamischen Republik sein könnte. Aber nicht nur im Klerus gärt es, den Ahmadinedschad zuletzt bei seiner Siegesrede am Sonntag auf dem Wali-Asr-Platz erneut beleidigte; auch im Parlament, dessen Präsident Ali Laridschni am Dienstag eine Kommission zur Untersuchung der - wohl landesweiten - Übergriffe auf Studentenwohnheime eingesetzt hat, regt sich seit Monaten Widerstand gegen eine Regierung, die wenig Respekt vor Gesetzen und Gesetzgebern hat.
Doch während täglich neue Szenarien - bis hin zu einer einer großen Koalition zu Ungunsten des Revolutionsführers aus moderaten Militärs, Prinzipientreuen, Klerikern und Reformern - kursieren, meinen viele Iraner, dass die Machthaber an einem entscheidenden Punkt Recht haben: die Spaltung der iranischen Gesellschaft gefährde das nationale Interesse und die nationale Sicherheit, die Unabhängigkeit, die viele als historische Leistung der Revolution ansehen. Insofern ist die nachdrückliche Stille, mit der die Anhänger Mussawis Neuwahlen fordern, derzeit das beste Mittel.
Es gibt derzeit keinen schärferen Kontrast in der Inszenierung des Politischen als diesen: einerseits die Hände Ahmadinedschads, die - das Gelenk mechanisch kippend - mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger immer wieder gegen "die Feinde" (Doshmanan) sich richtet und pocht; andererseits die Öffnung des Victory-Zeichens, mit der die Demonstranten sich begrüßen und durch die Straßen ziehen.
Mehr noch mit Selbstverständlichkeit als mit Selbstbewusstsein scheint dies zu sagen: Wir haben die Mittel, das zu tun, von dem die Regierung immer nur spricht: wir können mit Experten in der gesamten Welt kommunizieren, Reichtümer erwirtschaften, eine bessere und gerechtere Gesellschaft errichten und dem Iran zu jenem Status verhelfen, der ihm aktuell und historisch zukommen mag.
Im Sinne einer solchen Stimmung verwundert es nicht, dass auch viele iranische KünstlerInnen vor den Wahlen Partei für Mir Hossein Mussawi ergriffen haben. In einer achtseitigen Beilage der Zeitung Yass-e no hatten sich drei Tage vor der Wahl achthundert Kreative zu einer "Grünen Welle der Kunst" vereint.
Nicht nur Musiker wie der Setar-Meister Hossein Alizadeh oder Intellektuelle wie der Regisseur Majid Majidi, der den offiziellen Werbefilm für Mussawi gedreht hat, sondern auch populäre Gesichter aus Fernsehen und Kino wie etwa Mahnaz Afshar oder die große Charakterdarstellerin Fatemeh Motamed-Aria.
Diese schreibt recht paradigmatisch auf einer Seite der Beilage, die persönlichen Statements vorbehalten ist: "Ich wähle Mussawi, weil ich denke, dass das iranische Volk einen intellektuellen Präsidenten verdient, weil ich an eine bessere Zukunft meiner Kinder denke und weil ich in einer Gesellschaft leben möchte, die Frauen jene Stellung zuspricht, die ihnen in der Kultur unserer Ahnen zukommt."
Manipulation mit größter Offensichtlichkeit
Der Musikproduzent K., der wie die meisten unserer Gesprächspartner nicht namentlich genannt werden möchte, betont den tiefsitzenden Schock, den die Entwicklung seit letztem Samstag verursacht hat: "Wir sind es gewohnt, mit Manipulationen zu rechnen", sagt er am Telefon.
"Aber diesmal gab es keine Manipulation. Man hat alles mit einer solchen Offensichtlichkeit getan, dass die Geste unantastbarer Dominanz über das Volk das ist, was uns am meisten erschüttert hat."
In seinen Kreisen habe man schon vielmehr begonnen, sich Sorgen zu machen, wie nach der Wahl Mussawis die Schwierigkeiten mit Extremisten zu händeln seien.
"Auf das, was nun eingetreten ist, waren wir in keiner Weise gefasst." Mussawi, so reflektiert K. weiter, sei seitens der Kunstschaffenden vor allem aus "Idealismus" und als "Projektionsfläche von Veränderungswünschen" gewählt worden.
Denn obwohl im Iran noch immer Musik produziert, Bücher geschrieben und Filme gedreht würden, sei die Situation "miserabel". Nicht nur wegen der Zensur, die unter Ahmadinedschad in allen Bereichen wesentlich verschärft worden ist, sondern vor allem auch wegen eines Mangels an Optimismus bei den Kulturschaffenden. "Die Frustration in unserer Gesellschaft", sagt K., "ist offenkundig so fortgeschritten, dass die Motivation zum künstlerischen Schaffen in den letzten zwei bis drei Jahren stetig zurückgegangen ist."
Die berühmte Galeristin und Übersetzerin Lilli Golestan sieht die Lage nicht weniger düster, betont allerdings die Chancen, die diese in sich birgt. "Die Ereignisse der letzten Tage sind trotz all der Gewalt und Toten auch Ausdruck einer nationalen Einheit, zu der unser Volk momentan hinstrebt."
Nach zahlreichen Übersetzungen ausländischer Literatur ins Persische und als eine der ersten Galeristinnen Teherans hat sie umfangreiche Erfahrungen mit Zensur und Zensoren gesammelt. Es sei sinnlos, beim Kulturministerium vorzusprechen, wenn etwas auf Widerstand stoße. "Nicht etwa deshalb, weil die Zensoren systematisch in böser Absicht handelten."
Dies, so sagt die Grande Dame der Teheraner Kunstszene, die sich von keinem den Mund verbieten lässt, sei eine ganz falsche Wahrnehmung der Zensurmechanismen. "In Wahrheit haben die Zensoren furchtbare Angst vor Dingen, die ihnen vollkommen fremd sind. Es sind das Unverständnis und die Dummheit, auf die man bei der Zensur stößt, die mir jeglichen Dialog als pure Zeitverschwendung erscheinen lassen."
Bezeichnenderweise sind es in diesen Tagen jedoch nicht nur Künstler, die seit jeher Schwierigkeiten mit der Zensur hatten, die beginnen, sich kritisch zu äußern. Erst am Mittwoch veröffentlichte mit Shajerian der gegenwärtig bedeutendste Komponist iranischer Musik einen offenen Brief an den Direktor des staatlichen Rundfunks IRIB, Ezatollah Zarghami, in dem er diesen auffordert, keine von ihm gesungenen und komponierten patriotischen Hymnen aus den ersten Jahren der Revolution zu senden, "da diese zu einer anderen Epoche gehören".
Das vom Rundfunk derzeit meistgespielte Lied Shajerians trägt den Titel "Oh Iran - Haus meiner Hoffnung".
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