piwik no script img

Machtentscheid in LiberiaDer Prinz und die Nobelpreisträgerin

Prince Johnson war einer der brutalsten Warlords Liberias. Jetzt hängt es von ihm ab, ob Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf im Amt bleiben kann.

Prince Johnson - vom Warlord zum Anwärter um die Präsidentenmacher. Bild: reuters

MONROVIA taz | Ungefähr auf halbem Weg wird die Straße, die aus Monrovia in Liberias Nordosten führt, zu einer fürchterlichen Schlaglochpiste, die sich durch einen beeindruckenden Wald aus riesigen Kautschukbäumen schlängelt. Nach dem letzten Regenschauer glänzen die Blätter sattgrün. Kautschuk ist das Einzige, was es hier oben in Nimba gibt, der nordöstlichsten Region Liberias an der Grenze zu Guinea. Doch seit Mitte Oktober ist ein zweites Gut hinzugekommen: Macht.

Denn die Entscheidung, ob Liberias Präsidentin und designierte Friedensnobelpreisträgerin Ellen Johnson-Sirleaf mit ihrer Unity Party (UP) weitere sechs Jahre regiert oder ob Oppositionsführer Winston Tubman vom Congress for Democratic Change (CDC) künftig Staatschef wird, könnte in Nimba fallen - ausgerechnet, weil sich die Menschen hier beim ersten Wahlgang am 11. Oktober herzlich wenig für die beiden interessiert haben.

Stattdessen gaben 67,7 Prozent der Wähler in Nimba Prince Johnson von der National Union for Democratic Progress (NUDP) ihre Stimme. Landesweit hat der einstige Kriegsherr zwar nur 11,6 Prozent der Stimmen erhalten, dennoch landete er auf dem dritten Platz und gilt somit als Königsmacher.

Die Stichwahl

Die Wahl: Am 8. November findet im früheren Bürgerkriegsland Liberia die Stichwahl um die Präsidentschaft statt. Amtsinhaberin Ellen Johnson-Sirleaf hat im ersten Wahlgang am 11. Oktober 43,9 Prozent der Stimmen erhalten, 32,7 Prozent bekam Oppositionsführer Winston Tubman - obwohl Johnson-Sirleaf kurz zuvor als einer von drei Preisträgerinnen der Friedensnobelpreis zuerkannt worden war.

***

Der Königsmacher: Wem der drittplatzierte Prince Johnson seine Stimmen gibt, könnte entscheidend sein. Ob die Stichwahl überhaupt stattfindet, war zunächst unklar, da die Opposition der Wahlkommission vorwarf, die Partei der Präsidentin zu bevorzugen. Am letzten Wochenende trat der Wahlkommissionsleiter zurück und ebnete so den Weg für eine Teilnahme Tubmans.

Ein Wort wird zelebriert

Ein ganzes Wochenende lang hat er dieses Wort zelebriert und geliebt. "Ich bin der Königsmacher. Mal sehen, welche Karte ich am Ende spiele", sagt er in seinem Haus in Paynesville, einem Stadtteil von Monrovia. Dabei reibt er sich seine großen Hände und kichert heiser. Seine Anhänger, die er in einem Pavillon im Garten empfängt, nicken andächtig. Manchmal tauscht er das Ich gegen ein Wir aus. Er als Königsmacher wolle erst seine Wähler und somit die "großartigen Menschen von Nimba" befragen. Sie sollen entscheiden.

An der mittlerweile 73-jährigen Präsidentin lässt Prince Johnson kein gutes Haar. Sie habe den langen Krieg in Liberia finanziert und hätte niemals mit dem Friedensnobelpreis geschmückt werden dürfen, wettert er. "Wenn sie ihn bekommt, dann muss ich ihn auch bekommen", ruft Prince Johnson, und seine Anhänger lachen.

Dann aber wird er ernst. "Ma Ellen hat sich die Auszeichnung doch für 22 Millionen US-Dollar erkauft", behauptet er. Der Königsmacher wirkt so überzeugt, als ob er die letzte Wahrheit verkünde. Niemand wagt zu widersprechen. Vom einstigen Warlord geht noch acht Jahre nach dem Ende des Bürgerkrieges viel Autorität aus - auch wenn sein Thron nur noch ein schäbiger weißer Plastikstuhl ist.

Ohnehin sind Johnson-Sirleaf und Prince Johnson alte Konkurrenten. Dabei hatten sie Ende der achtziger Jahre alle einen gemeinsamen Feind: Samuel Doe, der zehn Jahre lang Präsident Liberias war. Doe, nach dem noch heute das Fußballstadion von Monrovia benannt ist, galt als brutal und antidemokratisch.

Seine Gegner sammelten sich im Exil, darunter Charles Taylor, ehemaliger hoher Mitarbeiter der staatlichen Beschaffungsbehörde, und Prince Johnson, ehemaliger Assistent des Generalstabs der Armee. Zu Weihnachten 1989 marschierte Charles Taylor mit seiner Rebellenarmee aus der Elfenbeinküste in Liberias Nimba-Provinz ein. In seinen Reihen: Prince Johnson, der aus Nimba kam.

Johnson gründete kurz darauf eine eigene Armee, und ein Dreivierteljahr nach Ausbruch des Bürgerkrieges waren es seine Truppen, die Monrovia eroberten. Johnson schnappte sich Präsident Doe und schnitt ihm vor laufender Kamera die Ohren ab. Das Video war lange begehrte Schwarzmarktware in den Straßen Monrovias.

All das ist Geschichte. Nach Does Sturz erlitt Liberia nacheinander zwei Bürgerkriege, in denen Charles Taylor die Macht erst per Wahl gewann und sie dann per Krieg wieder verlor. Er landete vor Gericht in Den Haag. Prince Johnson landete in Liberias Senat. Heute gibt er sich als guter Demokrat. "Ein neuer Krieg? Der wäre fatal." Als er das laut und deutlich seinen Anhängern sagt, nickt er seinem Sohn zu, der unter den Zuhörern ist. Der Sohn, sagt Johnson, besuche die Universität und solle eine gute Ausbildung erhalten. Dafür sei Frieden notwendig.

Die "großartigen Menschen von Nimba"

Der alte Kriegsherr sagt es zwar nicht, doch er lässt durchblicken, dass CDC-Kandidat Tubman nie in den Krieg verwickelt war, während Johnson-Sirleaf zeitweise Taylor half. Als in Liberia Blut floss, mehr als eine Viertelmillion Menschen starben und angeblich 70 Prozent aller Frauen vergewaltigt wurden, arbeitete Tubman unter anderem für die Vereinten Nationen in Somalia.

Dennoch hat sich Prince Johnson nicht mehr weiter für Tubman aus dem Fenster lehnen wollen. Denn vor sechs Jahren trat dieser noch für die alte Partei von Samuel Doe an, die National Democratic Party of Liberia (NDPL). Seitdem gilt der 70-jährige Tubman als munterer Parteiwechsler. Er hat eine Oppositionskoalition für die Stichwahl gebildet, ohne Prince Johnsons NUDP. Und plötzlich gibt der einstige Warlord bekannt, er werde in der Stichwahl nun doch die Präsidentin unterstützen. Die Nachricht verbreitet sich in Monrovia wie ein Lauffeuer.

Kurze Zeit später schiebt Prince Johnson seine Bedingungen hinterher. Nein, um Geld sei es ihm bei der Entscheidung für "Mama Ellen" nie gegangen - wohl aber um die Macht. 30 Prozent aller politischen Ämter möchte er für seine Partei.

Doch viel wichtiger ist ein anderes Kalkül: Die Präsidentin möge die Empfehlungen der Wahrheitskommission, die nach dem Bürgerkrieg gegründet wurde, nicht so ernst nehmen. 2009 veröffentlichte diese Kommission eine Liste mit allen Liberianern, die während des Krieges Schlüsselpositionen innehatten und dreißig Jahre lang von politischen Ämtern ausgeschlossen bleiben sollten - Ellen Johnson-Sirleaf und Prince Johnson gehören dazu.

Die "großartigen Menschen von Nimba" hat der Königsmacher über seine Entscheidung nicht informiert oder gar befragt, wie er es angekündigt hatte. Dennoch sollen sie nun den Sieg für "Ma Ellen" bringen.

"Chelsea ist mein Club"

Auch der junge George Jackson soll deshalb jetzt für die Präsidentin stimmen. Jackson ist Erstwähler und in Nimba groß geworden. In einem T-Shirt, das irgendwann mal braun war, und in grünen Flipflops schlendert er an den Marktständen von Saclepea vorbei. Rechts und links der Straße bieten Verkäufer Tomaten, Orangen, bergeweise Schuhe und Telefonkarten feil.

Immer wieder tauchen große Hinweistafeln von Hilfsorganisationen auf. Denn Saclepea hat sich Anfang des Jahres einen Namen als Flüchtlingsstadt gemacht. Viele tausend Menschen aus der Elfenbeinküste retteten sich hierher und suchten Schutz vor den Kämpfen in ihrer Heimat, als Streit über das Ergebnis von Präsidentschaftswahlen zum Bürgerkrieg führte.

George interessiert all das nicht. Er steuert auf die braune Holztafel zu, auf der die Ergebnisse der englischen Premier League angeschlagen sind. "Chelsea - das ist mein Club", sagt er und schiebt seine Brust etwas vor. Das letzte Spiel haben seine Blauen gewonnen, immerhin ein Sieg für den jungen Mann.

Siegen hätte auch Prince Johnson sollen. "Klar habe ich für ihn gestimmt, wie die meisten hier", sagt George, der sich in Saclepea mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Jetzt fühlt er sich ein wenig als Verlierer. "Johnson ist ja raus." Mit dessen Namensvetterin, der amtierenden Präsidentin, kann er sich bislang nicht anfreunden. "Sieh dir die Gegend an. Sie hat bislang nichts für uns getan. Wird sich das ändern, wenn ich sie jetzt wähle?" George Jackson schüttelt den Kopf. Er ist mit dem Krieg groß geworden, will ihn endlich hinter sich lassen und in die Zukunft blicken. Dass er mit Prince Johnson einen einstigen Warlord gewählt hat, ist ihm egal. Er ist immerhin einer von ihnen, aus Nimba.

"Wer ist Tubman"

Absolut fremd scheint sich hier oben Winston Tubman zu fühlen, den nur knapp 4.600 Menschen unterstützt haben. In Nimba hat er mit Abstand das schlechteste Ergebnis erhalten. Dass Tubman in der zweiten Runde keine Chance hat, davon geht auch eine der Orangenhändlerinnen aus. "Wer ist Tubman? Mama Ellen kennen wir wenigstens."

Im Internet fordert der Exilantenverband "Diaspora Nimba Citizens Against the Reelection of President Sirleaf" Prince Johnson auf, die Präsidentin nicht zu unterstützen, sondern jemanden mit einer weißen Weste zu wählen. Ellen Johnson-Sirleaf habe diese ganz sicher nicht. Aber wer hat hier Internet?

In Kenlay wohl niemand. Es ist das letzte Dorf vor der Grenze, ein paar hundert Meter weiter beginnt die Elfenbeinküste. Die Gegend ist in der Regenzeit ohne Geländewagen unpassierbar und ziemlich trostlos. Hier lebt Eve Smith mit ihren fünf Kindern.

Am Freitagabend hat sie sich in die einzige Kneipe gesetzt und schimpft über die Politik in der Hauptstadt. "Prince Johnson, der hätte vielleicht etwas verändert. Aber die anderen?", fragt sie und knipst fortwährend den Lichtschalter an und aus. Doch keine Birne flammt auf, der Generator läuft noch nicht. "Du siehst, wir haben nichts hier oben, keinen Strom, keine Arbeit, einfach nichts."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • AJ
    Andreas J

    der Typ ist voll krank! Präsident Samuel Doe wurde auf seinem Befehl bestialisch zu tode gefoltert. Das ganze hat er zu seiner belustigung auf Video aufgezeichnet und hat das Video noch 2006 seinen Gästen vorgespielt. 2006 habe ich in Liberia gesehen das UN-Angehörigene mit ihm in Cece Bierchen getrunken haben anstatt ihn zu verhaften. Jeder in Monrovia wuste wer er war. Um wieder an viel Kohle zu kommen hat er eine Kirche geründet um den Armen das letzte Geld aus der Tasche zu ziehen.

    Der Mann gehört wie Taylor nach Den Haag.