Macht Wie weiter in Österreich? Der Kolumnist Günter Traxler über den erstaunlichen Erfolg der rechten FPÖ: „Berlusconismus? Haben wir schon“
Interview Ralf Leonhard
Günter Traxler, 76, war stellvertretender Chefredakteur und Herausgeber der „Arbeiter-Zeitung“. Nach dem Unt ergang des Zentralorgans der SPÖ wechselte er als Kolumnist zum „Standard“. In einem Wiener Kaffeehaus versucht er zu erklären, wie es passieren konnte, dass Norbert Hofer, Bewerber der rechten FPÖ um das Bundespräsidentenamt, bei der Wahl 35 Prozent schaffte und die Kandidaten der ÖVP und der SPÖ abschmierten.
taz.am wochenende: Herr Traxler, waren Sie am Wahlabend schockiert, oder haben Sie ohnehin Van der Bellen gewählt?
Günter Traxler: Ich habe Van der Bellen gewählt und war nicht erschüttert, da ich mit den beiden Personen in der Stichwahl gerechnet habe, nicht aber damit, dass der Abstand so groß ist. Wenn wenigstens noch eine kleine Hoffnung glimmt, dass eine Peinlichkeit in der Hofburg dem Land erspart bleibt, so ist das jenen SPÖ-Sympathisanten zu danken, die am Sonntag nicht auf ihre Partei gehört, sondern Van der Bellen gewählt haben. Ihre Stimmen hätten nicht ausgereicht, den SPÖ-Kandidaten Rudolf Hundstorfer in die Stichwahl zu bringen. Sie haben klarer gesehen als die Verantwortlichen für diesen Wahlkampf.
Wie erklärt man das Phänomen Norbert Hofer? Ein Nobody, der aus dem Stand die besten Ergebnisse der FPÖ übertrifft.
Man erklärt es damit, dass das nicht so sehr der Person des Herrn Hofer gilt, sondern erstens der FPÖ und zweitens der Regierung im negativen Sinn. Hofer hat Zusätzliches geleistet durch sein Auftreten, das für die FPÖ bemerkenswert war: seine äußerliche Sanftheit und Gelassenheit, verbunden mit relativ harten Botschaften.
Ist Österreich reif für einen FPÖ-Präsidenten?
Die Frage ist: Erträgt Österreich einen FPÖ-Bundespräsidenten? Rein formal natürlich ja. Außenpolitisch ist es sicher sehr unangenehm und wird Österreich in ein ungünstiges Licht rücken. Das hatten wir schon einmal. Innenpolitisch ist es schwer abzuschätzen. Die FPÖ hat keinen Grund, über den Bundespräsidenten Dinge in die Wege zu leiten, die sich über eine weitere Schwächung der Koalition ohnehin in ihrem Sinne erledigen.
Wird er mit seiner sanften Art auch auf Staatsbesuchen für Beruhigung sorgen?
Na, seine Glock wird er dort ja nicht offen tragen.
Die Pistole, die er sich zugelegt hat …
… um sein Sicherheitsempfinden zu erhöhen. Ich frage mich auch, woher Einladungen kommen werden. Wohl eher von Leuten, die für Österreichs Image nicht so grandios wären.
So wie Jörg Haider …
… und seine Privatvisiten bei Saddam Hussein und Gaddafi. Aber Haider war nur Landeshauptmann. Ein erster Staatsbesuch in Ungarn wäre schon so ein Signal.
Sigmar Gabriel hat anders als die SPÖ aufgerufen, Van der Bellen zu wählen. Ist das hilfreich?
Sicher nicht. Da gab es ja schon Aussagen von der FPÖ, die Österreicher regeln ihre Sachen selber.
Wie erklären Sie den Zustand ihrer ehemaligen Partei, der SPÖ?
Der ist seit Langem schlecht. Er hängt mit vielen Dingen zusammen, mit gesellschaftlichen Veränderungen, denen sich die SPÖ nicht gestellt hat. Dass in den Gemeindebauten …
… den Häusern des sozialen Wohnungsbaus …
… die FPÖ so dominiert, liegt daran, dass die SPÖ nicht mehr die Menschen vertritt, die sie zu vertreten vorgibt. Machtpolitisches Besitzdenken ist ihr wichtiger. Die SPÖ ist in der Koalition die stärkere Partei, aber außer dem Bundeskanzler sind alle wichtigen Ressorts in der Hand der ÖVP: Finanzen, Wirtschaft, Landwirtschaft, Inneres, Äußeres. So kann man keine sozialdemokratische Politik machen. Das kommt von 2006, als Alfred Gusenbauer gedacht hat, man muss Zugeständnisse machen, um die FPÖ draußen zu halten. Aber dadurch, dass die SPÖ den Kanzler stellt, wird sie für viel mehr verantwortlich gemacht, als sie tatsächlich beeinflussen kann.
Die ÖVP steht nicht besser da.
Sie ist nicht stark genug, um Dinge zu verhindern, die ihrer Klientel wehtun. Aber insgesamt steht die ÖVP besser da, weil sie in den Bundesländern diese andere Koalitionsoption mit der FPÖ hat.
Erwarten Sie, dass die SPÖ beim Parteitag im Herbst auf die FPÖ zugeht?
Das würde die SPÖ sprengen. Es würde ihr keinen Zulauf von rechts bringen und viele traditionelle SPÖ-Wähler vertreiben.
Wähler laufen zur FPÖ über weil sie deren Anti-Ausländer-Kurs gut finden. Wenn die SPÖ diesen Kurs nachvollzieht, wird sie auch kritisiert.
In diese schwierige Lage hat sich die SPÖ im letzten halben Jahr selbst manövriert. Sie hatte ja einen wesentlich humaneren Kurs gegenüber den Flüchtlingen. Sie hat es aber verabsäumt, diesen Standpunkt argumentativ den Menschen begreiflich zu machen, was auch für andere Themen gilt. In allen Gemeinden, wo sich Leute finden, die sich um die Flüchtlinge wirklich kümmern, gibt es keine Probleme, keinen Aufstand, keinen starken Rechtsrutsch. Das zeigt: Man muss politisch erklären. Wenn man sich nicht in der Lage sieht, seine Politik zu erklären, und stattdessen auf einen Zug aufspringt, geht das schief. Das ist eine Zwickmühle.
Günter Traxler, 76, ist Kolumnist der österreichischen Zeitung Der Standard. Zuvor war er Herausgeber der sozialdemokratischen Arbeiter-Zeitung.
Spätestens im Herbst 2018 wird gewählt. Sehen Sie ein Österreich mit FPÖ-Bundespräsidenten und FPÖ-ÖVP-Bundesregierung?
Das halte ich für möglich.
Ist eine rot-schwarz-grüne Koalition gegen die FPÖ denkbar?
Rechnerisch ja, aber dass sie uns weiterbringt, glaube ich nicht. Wenn sich Rot und Schwarz jetzt schon nicht verstehen, warum sollten sie sich verstehen, wenn noch die Grünen dabei sind? Es müsste sich das grundsätzliche Verhältnis zwischen SPÖ und ÖVP wieder ändern. Außerdem werden sich die Kräfte in der ÖVP, die eine Koalition mit der FPÖ wollen, durchsetzen.
Würden Sie der SPÖ zur Opposition raten?
Wenn man abgewählt wird, bleibt einem nichts anders übrig. Dieses Risiko besteht. Die SPÖ hat die Möglichkeit, das aus eigenem Antrieb zu beschließen oder sich abwählen zu lassen. Dass die SPÖ durch Parteitagsbeschlüsse im Herbst plötzlich einen spektakulären Wahlsieg einfährt, glaube ich nicht. Und die Strömung in der SPÖ, die meint, man müsse mit der FPÖ eine Koalition machen, ist so neu nicht.
In Italien sind vor 30 Jahren die traditionellen Parteien zerbröselt, es kam der Berlusconismus. Steht das Österreich auch bevor?
Wenn man die FPÖ als Prototyp für Berlusconismus nimmt, dann haben wir das schon. Aber einen Berlusconi, also einen Unternehmer, der mit seinem Geld in die Politik geht, seh ich nicht, Richard Lugner und Frank Stronach sind grandios gescheitert.
Wer gewinnt die Stichwahl am 22. Mai?
Van der Bellen. Ich halte es für möglich. Ob Hofer mit 35 Prozent das rechte Potenzial ausgeschöpft hat, ist die Frage. Das Renommee des Landes sollte eine Rolle spielen, und man sollte das auch zur Sprache bringen.
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