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MILLIMETERWEISE RUTSCHT DIE ARBEITSLOSENPOLITIK NACH RECHTSSozialklempner Scharping

Vom Komiker Karl Valentin soll der Spruch stammen: „Es ist zwar schon alles gesagt, aber noch nicht von jedem.“ Genauso ist es in der Sozialpolitik. Alles ist schon gesagt, jede Maßnahme durchgespielt worden – wichtig dabei ist nur die aktuelle Sprechrollenbesetzung. Jetzt war Rudolf Scharping dran, im Hauptberuf Verteidungsminister, im Nebenberuf Chef der SPD-Grundsatzkommission und damit berufen, auch mal etwas Grundsätzliches zu sagen zum Stand der Sozialpolitik. Scharping schlug vor, jungen Arbeitslosen unter anderem Tätigkeiten in der Alten- und Krankenpflege anzubieten und ihnen im Falle der Ablehnung die Unterstützung zu streichen.

Arbeitslose in die Altenpflege! Die Idee hatte weiland schon Sozialminister Norbert Blüm (CDU), weil es doch einerseits so viele Alte und andererseits so viele Arbeitslose gibt. Da rechnet man eben mal eins und eins zusammen. Ob sich die alten Menschen freuen, wenn ihnen von zwangsverpflichteten jungen Menschen künftig der Hintern abgewischt werden soll, ist eine andere Frage. Um Würde geht es nicht. Der Zweck dieser Diskussionen ist ein anderer: Er besteht in einer allmählichen Neujustierung des öffentlichen sozialen Empfindens. Man dreht Millimeter für Millimeter immer ein bisschen mehr nach rechts, also zu. Auch Scharping hat jetzt Sozialklempner gespielt.

Pflichtgemäß protestierten zwar Gewerkschaften und Teile der SPD. Aber Scharping wird nicht der Letzte sein, der nach Kanzler Schröder und dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) mehr oder weniger direkt für mehr Druck auf Arbeitslose votiert. Die Tatsache, dass die Zahl der Sozialhilfeempfänger insgesamt sinkt, spielt dabei keine Rolle. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass die Städte schon recht streng mit den Sozialhilfeempfängern umgehen. Es geht um die Symbolik: Arbeitslose sind auch Projektionsschirm für die Mehrheit. Sie müssen der Mittelschicht das heimelige Gefühl geben, mit all der täglichen Plackerei doch in der besseren Lage zu sein – und schon deswegen dürfen sich Arbeitslose niemals einrichten in ihrer Situation.

Die Punks in den Metropolen greifen übrigens schon zur Selbsthilfe. Wie aus Berliner Suppenküchen zu hören ist, tauchen die Punks beim Sozialamt oft gar nicht mehr auf, weil sie dort sogleich in eine Maßnahme gesteckt würden. Stattdessen gehen sie schnorren und putzen die Scheibenfenster wartender Autos an Kreuzungen. Vielleicht kommt Scharping ja mal vorbei mit einer neuen Geschäftsidee. Das wär doch schon was.

BARBARA DRIBBUSCH

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