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MDR-Doku zu Chemnitz vorgestelltZwischen Dialog und Spaltung

Der Streit blieb aus: Bei der Vorpremiere der MDR-Doku „Chemnitz – Ein Jahr danach“ deutete sich vielmehr eine zarte Chance auf Verständigung an.

Ganz schöne Schieflage beim MDR: Hoffentlich rutscht da niemand ab Foto: dpa

Chemnitz epd | Am Ende waren doch fast alle gekommen: Margarete Rödel von der Grünen Jugend, Professorin Olfa Kanoun von der TU Chemnitz, und auch AfD-Mitglied und „Pro Chemnitz“-Ordner Arthur Österle. Sie alle saßen bei der Vorpremiere der MDR-Dokumentation „Chemnitz – Ein Jahr danach“ am Donnerstagabend im Saal eines Chemnitzer Kinos und debattierten im Anschluss miteinander.

Auf dem Podium aber saßen sie, anders als ursprünglich geplant, nicht. Dessen Zusammensetzung – auch die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) war geladen – war nach der ersten Ankündigung des MDR vor allem wegen AfD-Mann Österle auf derart harsche Kritik gestoßen, dass nach Rödel auch Ludwig ihre Teilnahme abgesagt hatte – woraufhin der MDR die Debatte abblies. Stattdessen stellten sich nun drei Verantwortliche des MDR den Fragen des Publikums. Und als erster meldet sich: Österle.

Der wettert aber nicht etwa über einseitige Berichterstattung oder „Lügenpresse“. Österle sagt, er wolle dem Team des MDR seinen Respekt entgegenbringen für den Film. Der sei seit Jahren der erste Versuch, einen Dialog zwischen verschiedenen Gruppen anzustoßen. „Mit dem Ergebnis bin ich sehr zufrieden“, sagt Österle: „Wir sind auf einem guten Weg.“

Das kommt nicht gut an. Der erste Gegenredner kritisiert, er finde es nicht richtig, „solchen Leuten so viel Spielraum in den Medien zu geben“: Kurze Unruhe im Saal, doch die MDR-Verantwortlichen auf dem Podium wehren sich. Der Film sei nun mal ein Spiegel der Realität, sagt Redakteurin Anja Riediger: „Wir finden, man muss es einfach zeigen.“

Was fehlt

MDR-Programmdirektor Wolf-Dieter Jacobi ergänzt, es sei wichtig, die Lebenswirklichkeit abzubilden. Im Übrigen sei die Frage, ob denn nun mit Rechten zu reden sei oder nicht, noch nicht ausdiskutiert und so leicht auch nicht zu beantworten. Dies führe zu Problemen und Konflikten, „und denen müssen wir uns auch stellen“.

Der Zündstoff ist damit erst mal dahin. Es folgen Redner, die den Film nicht rundum loben, sondern nüchtern-sachlich kritisieren. Manchen kam der Auslöser der Ausschreitungen vor einem Jahr, der gewaltsame Tod des Chemnitzers Daniel H. am 26. August 2018, zu kurz. Andere kritisieren das Fehlen von Positionen der „bürgerlichen Mitte“ oder von Hintergründen zu rechtsextremen Strukturen in der Region und der rasanten Mobilisierung der Szene in den Tagen nach der Tat.

Andere halten dem Film zugute, ein Schritt hin zu mehr Dialog in der Stadt zu sein, der verschiedene Stimmen und Sichtweisen wiedergebe, bedanken sich für die differenzierte Darstellung. Einer sagt, die Stadt sei im Wandel begriffen, und zwar zum Positiven. So dass MDR-Redakteur Jörg Wildermuth schon zur Halbzeit resümiert, ihm gefalle die Bereitschaft zum Dialog, die aus den Beiträgen hervorgehe: „Das Aufeinanderzugehen finde ich aus diesem Abend eine gute Erkenntnis.“

Doch immer wieder gibt es auch Redner, die auf die festgefahrene Lage in der Stadt hinweisen, auf die Spaltung, die die gewaltsamen Ausschreitungen vor einem Jahr ausgelöst haben. Gegen Ende fasst sich Professorin Kanoun ein Herz.

Die gebürtige Tunesierin lebt seit mehr als zehn Jahren in Chemnitz. Sie habe festgestellt, sagt Kanoun, „dass wir immer noch über dasselbe reden und vergessen, was Chemnitz ist“. Es gebe so viele wunderbare und offene Menschen in der Stadt. Doch zum Diskutieren gehöre auch, „die andere Perspektive aufzunehmen und nicht abzulehnen“. Und mit Blick auf Zugewanderte betont die Professorin: „Wir müssen die Leute integrieren und nicht sagen, die müssen sich integrieren.“ Dafür erntet sie Applaus.

Am Ende ist es noch einmal Österle, der sich meldet. Dem Stadtrat Lars Faßmann (Vosi/Piraten) bietet er an, sich zusammenzusetzen, Missverständnisse aufzuarbeiten. Doch Faßmann übergeht anscheinend das Angebot der rechten Umarmung, antwortet stattdessen, er wolle eine Frage in den Raum stellen – und die lässt Zweifel aufkommen, wie viel Dialog wohl möglich ist und ob ein Film daran etwas ändern kann. Faßmann fragt: „Wem nützt die Spaltung?“.

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1 Kommentar

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  • Zitat: „Wem nützt die Spaltung?“

    Das ist eine gute Frage, die Lars Faßmann da gestellt hat. Eine Frage, die er im Anschluss zum Beispiel mit: „Mir!“ hätte beantworten können. Wenn er nicht Angst hätte haben müssen, dass ihm das auf die Füße fällt, meine ich. Weil es den meisten Leuten schon genügt, wenn einer schuldig ist. Dann sind sie selber nämlich unschuldig. Zumindest gefühlt.

    Wie viel Dialog möglich ist, hängt in aller erster Linie davon ab, ob Menschen bereit sind, ihre eventuelle Macht mit anderen zu teilen. Das wiederum ist davon abhängig, ob die Machthaber frei sind in ihren Entscheidungen, oder ob sie sich vor irgend etwas sehr stark fürchten. Im Augenblick sehe ich fast nirgendwo die Bereitschaft, Macht zu riskieren. Nicht einmal ansatzweise. Der alte Affe Angst hindert den Primaten in uns offenbar mit aller Gewalt daran, die Hand zu öffnen, in der wir die Banane halten. So werden wir der Falle nie entkommen, in die man uns gelockt hat mit dem, das wir ganz dringend haben wollten.

    Ob ein Film daran etwas ändern kann? Ich weiß es nicht. Kommt vielleicht darauf an, ob ihn ein Affe anschaut oder ein Mensch. Nur zweierlei steht ziemlich fest für mich: Wenn das Primaten-Verhalten gar nicht angesprochen wird im Film, kann es auch nicht reflektiert werden vom Zuschauer. Und wenn es zu stark kritisiert wird, ohne dass Auswege gezeigt werden, wird der Film auch nicht helfen.

    Nicht nur Handlungskompetenzen sind erlernbar. Auch Hilflosigkeit kann und muss erlernt werden. Angst, Hass oder Scham bremsen uns aus. Sie machen den alten Affen in uns nicht vernünftiger. Sie lassen ihn höchstens noch panischer werden. Macht macht etwas mit uns. Und zwar meistens nichts Gutes. Wenn Arbeit uns zu Menschen gemacht hat, machen Angst, Hass und Scham uns arbeitslos – und damit wieder zu Affen. Wem das dann nützt? Das kann sich jeder selber überlegen. Wir alle kennen unsere Zoodirektoren.