Lula-Besuch in Berlin: Werben fürs Handelsabkommen
Brasiliens Präsident ist zu Gast im Kanzleramt. Ziel ist, die Beziehungen zu vertiefen und das EU-Freihandelsabkommen mit Lateinamerika zu retten.
Und das nicht zu knapp: Neben Scholz nahmen neun deutsche Minister und Ministerinnen teil. Die hatten im Vorfeld mit ihren brasilianischen Kolleg*innen um die 20 Vereinbarungen vorbereitet, die am Montag unterzeichnet werden sollten. Unter anderem zu Biodiversität und Meeresschutz, zur Wiederaufforstung von Regenwäldern, zu erneuerbaren Energien und grünem Wasserstoff und der Gewinnung von Rohstoffen sowie zum Schutz der Indigenen.
Die bilateralen Vereinbarungen flankieren ein umstrittenes Handelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay. Sie sind ein weiterer Versuch, das Freihandelsabkommen mit Regenwaldschutz und Klimapolitik zu vereinen sowie Investitionen in den Mercosur-Staaten in Aussicht zu stellen – ein Versuch, das Abkommen zu retten.
Erst Ende November hatte der Grünen-Parteitag gegen den Willen des Bundesvorstands Nachverhandlungen des Handelsabkommens verlangt und rechtlich verbindliche Verpflichtungen im Bereich des Umwelt-, Sozial-, und Klimaschutzes gefordert. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte zuvor seine Zustimmung zum Abkommen an eine Zusatzerklärung gekoppelt, die dem Vertragstext angehängt werden sollte. In ihr sollten sanktionsbewehrte Verpflichtungen zum Regenwaldschutz und den Zielen des Pariser Klimaabkommens festgelegt werden.
Akteure aus der Zivilgesellschaft kritisieren diese als unzureichend. Auch die Mercosur-Staaten lehnen die zusätzlichen Verpflichtungen bislang vehement ab, einzig Lula lenkte in den letzten Wochen ein und zeigte sich nun aufgeschlossen gegenüber der Erklärung.
Agrarlobby blockiert
Doch die Grünen sind das kleinere Problem der Freihandelsverfechter: In der EU blockieren Frankreich und Österreich. Neben Umweltbedenken geht es ihnen vor allem um die eigene Agrarlobby, die sich von vergünstigten Rindfleischimporten gefährdet sieht. Die EU-Kommission verweist hingegen darauf, dass der Vertrag Schutzzölle beinhaltet, es also starke Begrenzungen der Mengen gebe, die mit Zollbegünstigungen importiert werden könnten.
Seit Längerem geht das Gerücht um, die Kommission wolle zur Not den Handelsteil vom politischen Teil des Abkommens abkoppeln. Der könnte einfach ratifiziert werden, denn er benötigt keine Zustimmung der Parlamente der Mitgliedstaaten. Auch die Abstimmung im Rat wäre vereinfacht.
Aber es bleiben Widerstände in Lateinamerika. Mit der Wahl von Javier Milei als Präsident Argentiniens gibt es im Mercosur-Bündnis einen neuen Kritiker des Abkommens. Und auch Paraguay hatte zuletzt ein Ultimatum gestellt: Sollte das Abkommen bis zum Ende des brasilianischen Mercosur-Vorsitzes nicht beschlossen werden, werde Paraguays Präsident Santiago Peña die Verhandlungen abbrechen. Der übernimmt am Donnerstag den Vorsitz.
Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Mercosur wird seit über 20 Jahren verhandelt. Es soll die größte Freihandelszone der Welt schaffen. Profiteure wären die großen Exporteure, Pestizid- und Autohersteller in Europa etwa und Fleisch-, Soja- und Rohstoffproduzenten in den Mercosur-Staaten. Die EU erhofft sich günstige Rohstoffe, um die batteriegetriebene Energiewende zu finanzieren. Gleichzeitig will sie den Einfluss Chinas am lateinamerikanischen Markt bremsen und die eigene Rohstoffabhängigkeit eindämmen durch Diversifizierung der Lieferländer.
BDI-Präsident Siegfried Russwurm drängte am Montag in Berlin die Politik zu „Flexibilität und Kompromissbereitschaft“, um das EU-Mercosur-Abkommen zu verabschieden. Auch die Mercosur-Staaten können wirtschaftlich profitieren, neue Absatzmärkte erschließen, Investitionen locken und vielleicht auch Schutzgelder für den Regenwald erwirken, wie es Lula vorschwebt.
Ob die Zusatzerklärung und weitere bilaterale Vereinbarungen die sozialen und ökologischen Auswirkungen des exportfördernden Handelsabkommens dämpfen können, ist umstritten. Ob Lula und Scholz das Handelsabkommen „retten“ können auch.
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