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Lukas Wallraff über die kommenden KoalitionsverhandlungenVertrauen geht vor Details

Schon direkt nach der Wahl war klar, dass die SPD im deutschen Machtspiel als einzig mögliche Juniorpartnerin von Friedrich Merz die Arschkarte gezogen hat. Jetzt wird deutlich: Das war untertrieben. Nicht Merz ist das Hauptproblem, sondern Donald Trump. Die nächste Bundesregierung wird wegen des radikalen Kurswechsels der alten Schutzmacht USA tiefgreifende Entscheidungen treffen müssen. Es drohen Aufrüstungszwänge und Verteilungskämpfe, die sich liberale DemokratInnen in ihren schlimmsten Albträumen nicht hätten vorstellen können. Das erfordert ein Umdenken.

Noch nie seit 1949 standen angehende Koalitionsparteien so unter Zeit- und Handlungsdruck wie jetzt Union und SPD. Nach dem Stopp der US-Hilfe für die Ukraine müssen sie dem angegriffenen Land noch mehr beistehen, ohne dabei einen Krieg mit Russland zu riskieren. Als wäre das nicht schwer genug, müssen sie sich auch noch auf einen Zoll- und Handelskrieg einstellen. Allerdings ist völlig unklar, was dessen Auslöser Trump als Nächstes tut. Auf jeden Fall braucht die angehende Koalition viel Geld. Um auch international sofort finanzielle Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, liegt ein Beschluss mit der alten Bundestagsmehrheit näher als lange Verhandlungen mit der neuen. In normalen Zeiten käme ein solcher Verstoß gegen die demokratischen Spielregeln nicht infrage. Aber er ließe sich vielleicht verzeihen, wenn die weltpolitische Notlage zu einer innenpolitischen Läuterung führt.

Union und SPD müssen verstehen, dass sie aufeinander angewiesen sind. Merz darf auch im hintersten Hinterkopf nicht mehr mit der AfD liebäugeln. Und die SPD darf sich nicht mehr durch jeden fiesen Halbsatz der Union provozieren lassen. Wichtiger als der genaue Inhalt des Koalitionsvertrags ist ein Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen. Detaillierte Verabredungen sind in einer unberechenbaren Trump-Welt ohnehin nicht lange haltbar. Das Schweigegelübde der VerhandlerInnen ist ein erster Vertrauenstest. Wird er bestanden, sollten sie möglichst schnell regieren. Und ja, man muss ihnen dabei mangels demokratischer Alternativen viel Glück wünschen.

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