Luftverschmutzungs-Hotspot Sarajevo: Bosnier gegen Dreckluft
Die schmutzigste Luft der Welt atmeten in den vergangenen Wochen die BewohnerInnen Sarajevos. Aufregung darüber gab es kaum – bis jetzt.
Der Witz, „wir sind immerhin darin Spitze“, zeigt zwar den Humor der Stadtbevölkerung, doch manche konnten darüber nicht mehr lachen. Denn solche Werte bedeuten ein hohes Risiko nicht nur für alte und kranke Menschen, sondern auch für Kinder und Erwachsene. Das Immunsystems wird beschädigt, Kopfschmerzen, Übelkeit und Müdigkeit sind direkte Folgen dieser Luftverschmutzung.
Ist es die Unkenntnis, die Leidensfähigkeit einer Bevölkerung, die eine jahrelange Belagerung und eine Million Artilleriegranaten überlebt hat, oder ist es das Fehlen einer Prostestkultur, die zu dieser Passivität führt? Dass erst am Montagmittag einige hundert Menschen vor dem Rathaus zu protestieren begannen, ist für Mitteleuropäer kaum zu begreifen. Alte Stadtbürger behaupten, das liege auch daran, dass die traditionelle städtische Bevölkerung ausgedünnt ist und nun ungebildete Leute aus den Dörfern den Ton angeben.
Nach wie vor zünden sich Männer inmitten dieser Suppe Zigaretten an und blicken verwundert und fragend auf diejenigen, die sich eine Schutzmaske besorgt haben. Die Stadtverwaltung denkt gar nicht daran, Fahrverbote für die Blechlawine aus zumeist alten Autos zu fordern, die von morgens bis abends die Straßen verstopfen. Ein doppeltes Ärgernis sind Autofahrer, die beim Parken den Motor laufen lassen.
Schelte für Politik und Medien
Als der Bürgermeister der Stadt, ein Mitglied der muslimischen Nationalpartei SDA, vorschlug, die Bürger könnten zu reduzierten Preisen die Seilbahn zum Berg Trebevic nutzen und dort frische Luft schnappen, wurde er nicht ausgelacht, sondern von vielen für seine „Wohltat“ gelobt. Von ihm zu fordern, endlich die alten Kohleöfen durch Gasheizungen zu ersetzen – die Pläne dafür liegen in den Schubladen –, kommt vielen Menschen gar nicht in den Sinn.
Doch immerhin forderten am Montag nun endlich einige hundert Demonstrierende mehr Aktivität von der Verwaltung. Auch die Medien würden darin versagen, die Bevölkerung aufzuklären, sagt Faruk, einer der jungen Demonstranten vor dem Rathaus. Der Präsident des Kantons, Edin Forto von der nichtnationalistischen Reformpartei Naša stranka, forderte bei der Kundgebung zwar Fahrverbote, Produktionsstopp in manchen Betrieben und die Lösung des Heizungsproblems. „Doch warum hat auch seine Partei bisher nur wenig unternommen, diese Forderungen durchzusetzen?“ fragt Faruk.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Habeck wirbt um Fachkräfte in Kenia
Gute Jobs, schlechtes Wetter
Gesetzentwurf aus dem Justizministerium
Fußfessel für prügelnde Männer
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style