Luftfahrt-Drehkreuz Frankfurt: Cancelled
Leere Terminals, stillgelegte Flugzeuge, verunsicherte Beschäftigte: Corona hat die Luftfahrtbranche in die größte Krise ihrer Geschichte gestürzt.
S onntagmittag in den Abflughallen des Frankfurter Flughafens. An normalen Wochenenden bilden sich um diese Zeit vor den Check-in-Schaltern und Selbstbedienungsautomaten lange Schlangen. Viele Flugreisende starten am Wochenende. Doch seit Tagen ist nichts mehr normal auf dem größten Flughafen Deutschlands. Seit US-Präsident Donald Trump in der Nacht zum Donnerstag einen Einreisestopp gegen Europa verhängt hat, um das „ausländische Virus“ auszusperren, befindet sich Frankfurts Home-Carrier Lufthansa im steilen Sinkflug. Die riesigen Hallen wirken an diesem Tag überdimensioniert.
An den Abfertigungsbrücken der Terminals werden nur einzelne Flugzeuge betankt und beladen. Neben den Start- und Landebahnen, von denen sonst im Minutentakt Jets starten und landen, parken Flugzeuge wie an einer Perlenkette aufgereiht. Sie sind stillgelegt. In der Abflughalle A hat die Fluggesellschaft mit dem Kranich Heimrecht. Nicht einmal ein Dutzend Schalter ist besetzt. Und doch gibt es weder Warteschlangen noch Gedränge. Die im Zickzack gespannten Bänder, die für Ordnung sorgen sollen, stehen heute nur im Weg. Die freundliche Assistentin, die Flugtickets und Pässe kontrolliert, hat es nicht eilig. Es gibt mehr freie Schalter als Kunden. „Gestern war es besser“, sagt sie, „da war mehr los!“
Wie alle LufthanseatInnen hat sie Angst um ihren Job. Fürchtet sie sich persönlich vor dem Coronavirus, das die Luftverkehrswirtschaft in schwere Turbulenzen gebracht hat? „Nein, eher nicht, was will man machen?“, sagt sie ziemlich gelassen. Einen Mundschutz hält sie nicht für nötig. Sie hält Abstand, schüttelt keine Hände, ansonsten macht sie ihren Job.
Auch das Bistro gegenüber ist geöffnet, doch weder ein Kunde noch Personal lässt sich blicken. Auf einem Schild werden Rinds- oder Bratwürste angeboten, „mit Brötchen 4,90 Euro“. Heute wird nichts aus dem Geschäft, obwohl doch Mittagszeit ist. Hunderte Shops, Boutiquen und Restaurants haben auf dem Flughafen geöffnet. Doch auch ihnen fehlen die Kunden. In der weitläufigen Abflughalle A verlieren sich einzelne Passagiere und kleine Grüppchen. Einige studieren die Anzeigetafel der Abflüge.
50 Prozent weniger Flüge? Das war noch zu optimistisch
Dort dominiert das Wort „cancelled“. Gegen 13 Uhr fallen gleich zwölf Lufthansa-Flüge hintereinander aus. In der Vorwoche hatte das Lufthansa-Management verlauten lassen, bis zu 50 Prozent der Starts und Landungen würden in den nächsten Wochen gestrichen werden müssen. Doch inzwischen ist klar: Das war eine eher optimistische Prognose. Es kommt noch schlimmer. Die USA, die Türkei, Tunesien, Polen, Dänemark, Lettland – die Liste der Länder, die ein Einreiseverbot verhängen, wird von Stunde zu Stunde länger.
In der vergangenen Woche hatte die Lufthansa-Gruppe erste Geschäftszahlen für das Vorjahr bekannt gemacht: gut 2 Milliarden Euro Gewinn. Da konnten die Aktionäre noch auf eine Dividende hoffen. Am Freitagabend beschloss der Aufsichtsrat, die Dividende auszusetzen. Man werde mit der Regierung reden, um für mögliche Liquiditätsengpässe gewappnet zu sein, kündigte Vorstandschef Carsten Spohr an. „Lufthansa braucht Staatsknete“, titelte die Bild-Zeitung. Ein Albtraum für die Verantwortlichen des „Premium Carriers“, die bislang gerne selbstbewusst auftreten.
Austrian stoppt Flüge Die zur Lufthansa gehörende Austrian Airlines und die Ryanair-Tochter Laudamotion stellen ihren Flugbetrieb ein. Die letzte Maschine landet am Donnerstag, danach sind alle Flüge bis zum 28. März gestrichen. Europas größter Billigflieger, Ryanair, streicht sein Flugprogramm um bis zu 80 Prozent zusammen.
Deutsche sitzen fest Mehrere tausend Deutsche sitzen wegen Reisebeschränkungen im Ausland fest. Vor allem in der Türkei, in Marokko, Indonesien und den Philippinen haben Bundesbürger nach Angaben des Auswärtigen Amts Schwierigkeiten, nach Deutschland zurückzukehren. Man sei mit Fluggesellschaften und Reiseveranstaltern im Gespräch, „um möglichst pragmatische und möglichst schnelle Lösungen“ zu finden, sagte eine Sprecherin. Das Auswärtige Amt rät derzeit grundsätzlich von Reisen ins Ausland ab.
Stuttgart macht dicht Baden-Württemberg wird in den kommenden Tagen den Flugverkehr an den Flughäfen des Landes einstellen. Für Frachtflüge wird eine Ausnahme geprüft. Passagiere, die jetzt noch im Ausland sind, sollen noch nach Hause zurückfliegen können. (rtr, dpa, taz)
Einen prosperierenden Flughafen mit vielen Passagieren, landenden und startenden Flugzeugen gibt es an diesem Sonntag nur auf den Fotos der großen Werbeflächen, die im Terminal verteilt sind. In der Realität herrscht gähnende Leere. Bereits am Freitag mussten die meisten Flüge der Lufthansa in die USA gestrichen werden. Einen totalen Shutdown konnte das Management immerhin verhindern. Die Gesellschaft bietet weiterhin tägliche Verbindungen nach Newark/New York und Chicago an. Inzwischen starten aus Frankfurt aber vor allem Jets ausländischer Airlines in die USA. Ohnehin dürfen dort nur US-Bürger oder Inhaber besonderer Visa einreisen. Aus diesem bislang lukrativen Geschäft ist Lufthansa weitgehend raus.
Das Unternehmen hat für das Kabinenpersonal Kurzarbeit beantragt, über Kurzarbeit für Piloten und das Bodenpersonal wird noch verhandelt. In diesen Tagen soll es losgehen, wenn die Verabredungen mit der Arbeitsagentur getroffen sind. Inzwischen hat auch der Flughafenbetreiber Fraport Kurzarbeit beantragt. Er folgt seinem größten Kunden.
Verwirrung bei den Ticket-Verkäufern
Die Reisebranche insgesamt ist ins Strudeln geraten. „Ägypten, 5 Sterne Hotel mit Flug – 295 Euro“ steht auf einem selbstgemalten Schild an einem der Counter, die Reisebüros am Flughafen mieten können. Ein Dutzend der Schalter ist besetzt. Doch die Nachfrage bleibt bescheiden. Zudem ändert sich stündlich die Lage. „Kann ich jetzt ein Ticket kaufen, mit dem ich, das richtige Visum vorausgesetzt, in die USA fliegen kann?“ Der junge Mann am Schalter antwortet mit einem klaren „Ja“. Er dreht seinen Computer um und zeigt einen Bildschirm, auf dem allerdings nur ein Fachmann etwas erkennen kann.
Der Ticketverkäufer nebenan versichert dagegen, dass heute und morgen nichts mehr geht. Ihr Glück versucht eine Reisende, die offenbar nicht über das für die USA erforderliche Visum verfügt, am Schalter von Air Canada. Der Umweg über Kanada, eine gute Idee? Ein Ticket nach Toronto sei zu haben, erfährt sie, aber um die Weiterreise in die USA müsse sie sich selbst kümmern. Die Verunsicherung ist groß. Auch bei den Ticketverkäufern, die ein Plakat nach dem anderen einkassieren müssen, weil wieder ein Land seine Grenzen dichtgemacht hat.
In der Nacht zum Montag gibt der Reisekonzern TUI bekannt, dass er einen Großteil seines Reisebetriebs ganz einstellen wird. Wer sich jetzt aufmacht, geht ein hohes Risiko ein. In Terminal 2 steigt eine junge Familie in den Sky-Train ein, der zwischen den beiden Terminals hin- und herpendelt. Ihr neues Ziel: der Regionalbahnhof der Bahn. Ihre Reise ist zu Ende, bevor sie richtig begonnen hat. Am frühen Morgen sind die drei in Berlin mit der Lufthansa nach Frankfurt aufgebrochen, in Vorfreude auf einen Sonnenurlaub in der Dominikanischen Republik. Doch der ab Frankfurt gebuchte Condor-Flug ist gestrichen. Den Heimflug nach Berlin hätten sie selbst bezahlen müssen. Deshalb nehmen sie jetzt die Bahn. Wenn sie Glück haben, sind sie am Abend wieder zu Hause.
Donald Trumps Rede an die Nation in der Nacht zum Donnerstag traf die Lufthansa ins Mark. In den Foren der LufthanseatInnen herrschte Entsetzen pur. „Mir wird ganz anders, ich musste gerade mehrere Seiten aufrufen, bis ich’s geglaubt habe“, postet eine Flugbegleiterin. Ihre Kollegin erinnert sich an frühe Warnzeichen: „Noch vor einer Woche wurde mir in einem Thread geantwortet: ‚Also ich sehe keine Krise!‘ Wer jetzt immer noch an business as usual glaubt, dem kann nur noch eins helfen: ein Blick auf den ab Freitag leeren Dienstplan.“
Ohnehin hatte der Vorstand der Lufthansa bereits in der letzten Woche angekündigt, den Flugplan drastisch zusammenzustreichen. Geschätzt 23.000 Flüge müssten mangels Nachfrage ausfallen. Bis zu 150 Flugzeuge, davon 25 für die Langstrecke, wollte das Management am Boden parken, selbst die Stilllegung der A380-Flotte werde geprüft. In den zahlreichen Mitbestimmungs- und Tarifrunden des Konzerns wurde und wird seitdem für die unterschiedlichen Berufsgruppen über die jeweiligen Bedingungen für Kurzarbeit verhandelt.
Eine Garantie auf Vollbeschäftigung gibt es nur für die MitarbeiterInnen, die die dramatischen Änderungen der Flugpläne und der Verteilung der Crews planen müssen. Die übrigen Beschäftigten können befristet bis zum 30. September unter verschiedenen Teilzeitmodellen wählen oder unbezahlten Urlaub nehmen. „Wer zahlt in dieser Zeit unsere Sozial- und Krankenversicherung?“, fragen MitarbeiterInnen in internen Foren. Präzise Angaben dazu kann das Unternehmen auf taz-Nachfrage nicht machen. Die gebe es erst, wenn die Gespräche mit den Tarifpartnern und der Arbeitsagentur abgeschlossen seien, so ein Sprecher. Die meisten der Fragen der taz ließ die Lufthansa ohnehin unbeantwortet, „was dem dynamischen und gravierenden Geschehen geschuldet ist“, sagt ihr Sprecher.
Die Aktie des Unternehmens war am Freitag auf einen 52-Wochen Tiefststand von 8,55 Euro abgesackt. In den Januar war das Papier noch mit 16,71 Euro gestartet. Am Montagmittag steht das Papier bei 8,46 Euro. Personalchef und Arbeitsdirektor Michael Niggemann hatte schon vor Trumps Rede bekannt, die Lage sei ernst. „Derzeit kann niemand eine Prognose abgeben, wann sich die Situation verbessert oder ob sie sich weiter verschlechtert“, hatte er gesagt er und sollte recht behalten. Sein Appell: „Die damit verbundene Dynamik fördert von uns allen ein hohes Maß an Flexibilität und Einsatz!“ Bis zu 70 Prozent der Flüge würden gestrichen, heißt es jetzt.
Lufthanseat J. H. machte sich in einem der Foren mit einem Zitat von Max Frisch Mut: „Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“ Für Montagnachmittag hat der Koordinator für Luft- und Raumfahrt der Bundesregierung, Thomas Jarzombek, die Spitzenvertreter der Branche zu einer Gesprächsrunde nach Berlin eingeladen. Lufthansa, Fraport und all anderen aus der Luftverkehrswirtschaft sitzen am Tisch. Allein die Lufthansa beschäftigt weltweit mehr als 135.000 MitarbeiterInnen, Flughafenbetreiber Fraport noch einmal 81.000 Menschen. Die erwarten klare Ansagen, vor allem zu den Konditionen der vorgesehenen Kurzarbeit.
ArbeitnehmervertreterInnen und Management loben dabei ausdrücklich die Verbesserungen der Regelungen, die die Große Koalition dazu beschlossen hat. Familienministerin Franziska Giffey (SPD) hat am Wochenende nachgelegt. Der Kinderzuschlag für geringfügig Beschäftigte soll auch an KurzarbeiterInnen ausgezahlt werden können. Nicht nur die Fluggesellschaften, auch die Pilotenvereinigung Cockpit erwarten, dass die zum 1. April beschlossene Erhöhung der Luftverkehrsabgabe ausgesetzt wird.
Mira Neumaier, Leiterin der Verdi-Bundesfachgruppe Luftverkehr, wird ihre Gewerkschaft in der Berliner Runde vertreten. Auch sie fordert einen Rettungsschirm für die Branche. „Aber es muss vor allem auch einen Schutzschirm für die Beschäftigten geben“, sagt sie vor dem Treffen der taz. Viele Beschäftigte der Branche, vor allem bei den Bodendiensten, würden mit Stundenlöhnen unter 12,50 Euro bezahlt, zum Teil bei erzwungener Teilzeit. „Mit dem regulären Kurzarbeitergeld von 60 Prozent können die nicht über die Runden kommen. Wir sprechen da im Einzelfall von einem Betrag von 900 Euro im Monat.“ Engpässe erwartet sie aber auch für das Kabinenpersonal in den unteren Tarifgruppen.
Neumaier fordert die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes nicht nur durch die Bundesagentur, sondern auch durch die Unternehmen. „Auch sie sind in der Verantwortung, nach Jahren des profitablen Wachstums“, sagt sie. Bei Lufthansa und Fraport erkennt sie große Bereitschaft, zu einer Einigung zu kommen. Doch auch andere, nicht tarifgebundene Gesellschaften und solche, in denen es keine Mitbestimmung gebe, wie etwa Ryanair, müssten hier ihren Beitrag leisten, so die Leiterin der Verdi-Bundesfachgruppe.
Ob bei der Strategie gegen das Coronavirus alles richtig gelaufen ist, bezweifelt der ein oder andere. Flugbegleiterin H. B. schreibt in einem Lufthansa-Forum: „Was mich wirklich krank macht, sind die laschen Einreiserestriktionen nach Deutschland. Jeder darf rein, man setzt auf Landekärtchen und Selbstverantwortung und Air China flog und fliegt immer noch hier rein und aus.“
Am Sonntag kommen zwei Männer mittleren Alters am Terminal 2 an. Dort landen immer noch täglich Maschinen aus China. Die beiden Nordhessen waren auf einer Dienstreise in der Türkei und sind froh, heil zurück zu sein. Schließlich hat auch die Türkei die Verbindungen gekappt. Die beiden berichten von ihrem Check-in in Antalya: „Dort hat man uns gründlich gecheckt, mit Kamera und allem und hier war nix, vielleicht geht es uns noch zu gut“, wundert sich einer der beiden. „Fiebermessen an den Flughäfen macht keinen Sinn“, hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im Bundestag zu Protokoll gegeben. Der Streit, ob er da wirklich richtig liegt, hat sich relativiert. Schließlich sind die meisten Flugverbindungen zwischen den vom Coronavirus heimgesuchten Ländern inzwischen eingestellt.
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