Luftangriffe auf Libanons Hauptstadt: Wir schrecken zusammen und beten

In der Nacht kommen die israelischen Angriffe der Wohnung unserer Autorin in Südbeirut so nahe, dass die Scheiben klirren. Und bis zum Morgen ist es lange hin.

Ein Feuerball steigt über einer dunklen Stadt auf

Auch in unserem Wohnzimmer sind sie zu hören, die Luftschläge aus Südbeirut Foto: Hussein Malla/ap

Beirut taz | Dass die Nacht schlimm werden könnte, ahnen wir ab dem späten Nachmittag. Das israelische Militär fliegt einen massiven Luftangriff auf das Hauptquartier der Hisbollah in Haret Hreik, einem südlichen Vorort von Beirut. Nach israelischen Angaben könnte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah selbst dabei getötet worden sein.

Wir überlegen: Entweder Israel begnügt sich damit und evaluiert die Nacht hindurch den Erfolg des Angriffs. Oder es ergreift das sich durch den Angriff geöffnete Zeitfenster, in dem die Hisbollah wahrscheinlich besonders verwundbar ist.

Gegen Mitternacht kommt die erste Evakuierungsaufforderung für Teile der zusammenfassend Dahiyeh genannten, südlichen Vorstädte. Sie erscheint auf dem X-Profil des arabischsprachigen Sprechers der israelischen Streitkräfte, Avichai Adraee, und läuft dann durch die vielen Telegram-Gruppen und Medien. Betroffen ist neben dem Herz von Dahiyeh unter anderem Hadath – ein im Gegensatz zu Dahiyeh weniger schiitisch als eher christlich geprägter Vorort.

Schon zuvor, am Abend, versuche ich ein Airbnb in Nordbeirut zu buchen – für den Fall, dass die Angriffe des israelischen Militärs allzu nah an die Wohnung meiner Freunde, in der ich übernachte, heranrücken. Es klappt nicht: Für die Nacht bereits ausgebucht.

Der Krieg scheint erst weit entfernt

Bir Hassan – das Viertel, in dem meine Freunde leben – gehört eigentlich zu Dahiyeh, fühlt sich aber eher an wie ein Teil Beiruts: Die Häuser sind von außen gepflegter, die Straßen weitläufiger, und die Stadtgrenze zu Beirut ist zu Fuß zu erreichen. Auch im letzten Krieg zwischen der Hisbollah und Israel im Jahr 2006, betonen sie, war es hier immer sicher.

Etwa um halb eins beginnen die Luftangriffe auf Südbeirut. Wir hören sie aus der Ferne, sehen sie in den Nachrichten verschiedener TV-Sender, auf Instagram, X und in den vielen Gruppen auf Telegram, die Videos von den Angriffen in ganz Libanon teilen.

Über drei Stunden ist immer mal wieder der dumpfe Knall einer Explosion zu hören. Doch der Krieg scheint uns noch weit weg, der Ventilator und der Stromgenerator im Hinterhof übertönen mit ihrem Brummen auch die Geräusche der Flugzeuge. Trotz dass ich immer wieder zusammenzucke, nicke ich auf dem Sofa eine Weile lang ein.

Ein guter Freund hält Wache, aktualisiert den Feed der Telegram-Gruppen, und das X-Profil Adraees. Gegen drei Uhr wache ich auf, er ist immer noch wach, und nimmt schließlich eine Captagon-Pille, ein Aufputschmittel.

Um kurz vor vier klirren die Scheiben, wackelt das Gebäude

Nach drei Uhr nachts ploppt auf Adraees Profil die nächste Evakuierungsaufforderung auf. Diesmal ist Bourj al Barajneh betroffen – das Viertel neben uns, zu normalen Zeiten mit dem Auto nur Minuten entfernt. Wir schalten das Licht an und den Ventilator ab. Ich richte mich auf, setze meine Kontaktlinsen ein. Dann warten wir.

Nach etwa einer halben Stunde beginnen die Angriffe erneut. Der Einschlagsort des ersten Geschosses ist so nah, dass die Scheiben der Balkontür klirren und das Gebäude vibriert. Wir atmen miteinander ein und aus, versuchen uns zu beruhigen. Und wiederholen zusammen, weil wir daran glauben müssen, um die Angst nicht überhand gewinnen zu lassen: Das israelische Militär weist bisher im Libanon vor größeren Luftschlägen Zivilistinnen und Zivilisten an, zu evakuieren. Wir aktualisieren das X-Profil von Adraee. Nichts neues.

Und sagen uns wieder: Das israelische Militär weist vor größeren Luftschlägen Zivilistinnen und Zivilisten an, zu evakuieren. Welchen Sinn würde es machen, die einen zur Evakuierung aufzurufen, und die anderen nicht, fragen wir. Keinen. Und sagen uns nochmal: Das israelische Militär weist vor größeren Luftschlägen Zivilistinnen und Zivilisten an, zu evakuieren. Darauf vertrauen wir.

Die Katze bekommt Panik, steht wie versteinert mit lang ausgestrecktem Schweif im Flur. Haben wir eine Tasche, in die wir sie stecken und im Notfall mitnehmen können? Wir beginnen zu suchen. Wir überprüfen wieder das Profil von Adraee, und versuchen zu scherzen: „Wie geht’s eigentlich Avichai?“

Die Nacht scheint kaum zu vergehen

Im Badezimmer übergibt sich meine Freundin vor Angst

Die Explosionen sind so nah, dass wir Menschen schreien hören. Vielleicht sind es die Betroffenen, vielleicht Verängstigte in der Nachbarschaft. Wir überlegen: Geht das israelische Militär, wie auch in Gaza, in Quadranten vor? Werden wir als nächstes zur Evakuierung angewiesen? Vorsichtshalber packe ich Laptop, ein paar Klamotten, und eine Powerbank in meine kleine Reisetasche, und wechsele von der Jogginghose in Rock und T-Shirt.

Wir aktualisieren wieder das Profil von Adraee. Die letzte Anordnung steht immer noch ganz oben. Und doch scheint die Nacht kaum zu vergehen. Immer wieder schrecken wir zusammen, halten uns an den Händen, beten. Wir sagen das Vater Unser, ich auf Deutsch, mein guter Freund auf Arabisch. Wir beginnen, über die Geräusche zu fachsimpeln: Könnte das Artillerie sein? Oder eine Bombe? Warum macht die Rakete so ein langes, pfeifendes Geräusch? Und ist das leise Rauschen über uns ein Kampfflugzeug? Im Badezimmer übergibt sich meine Freundin vor Angst.

Wir halten fest: Weder der libanesische Staat noch die sich gerne wie die Macht im Land aufspielende Hisbollah, haben irgendeinen Plan zum Schutz der Menschen vor Ort. Eine warnende SMS, oder gar ein Evakuierungsplan? Als ob.

Ich erzähle, wie ich Luftangriffe aus Israel kenne: Eine Sirene ertönt, man erhält eine Warnung aufs Handy. Irgendwo in der Nähe gibt es mit großer Wahrscheinlichkeit einen Schutzraum. Und die Verteidigungssysteme Iron Dome, David’s Sling und Arrow, schaffen ein grundsätzliches Gefühl von Sicherheit, zumindest in großen Teilen des Landes. Das täuschen kann: Auch in Israel sterben durch Raketenbeschuss seit dem 7. Oktober Menschen. Doch in Nordisrael hatte ich vor den Angriffen der Hisbollah meist weniger Sorge. Nun, in Südbeirut, durchfeuchtet der Angstschweiß mein T-Shirt.

Wir scrollen durch die Sozialen Medien und sehen Videos aus dem Norden der Stadt: Auf den Plätzen in Downtown, oder dem Pflaster der Strandpromenade harren die Menschen aus. Auf dem Gehsteig an der Autobahn Richtung Beirut zieht sich eine Kolonne entlang – wer kein Auto hat, flüchtet zu Fuß. Und wer ein Auto hat, steht im Stau.

„Sie lernen einfach nichts“

Immer wieder sagen wir: Jetzt ist es vorbei. Dann geht es wieder los. Irgendwann ist es halb sechs Uhr morgens. Wir kochen Kaffee, trinken und lauschen. Die Explosionen sind endlich abgeklungen. Auch der Generator im Hinterhof – der die mangelnde Stromversorgung des maroden libanesischen Staates ausgleicht – ist endlich verstummt. Ein leises Brummen ertönt. Es könnte ein Generator weiter weg sein, oder eine Drohne. „Sie überprüfen ihr Werk“, sagt der Freund.

Draußen bricht die Dämmerung an. Die Geräusche der Angriffe sind endgültig verstummt. Die Nacht ist vorüber. Wir danken Gott.

Auf dem Balkon riecht es unerträglich stark nach den Explosionen. Trotzdem steigen wir die Treppe hinauf, auf das Dach des Hauses. Beirut ist in sanftes, rötliches Licht getaucht. In den letzten Tagen war es schwierig, auf der Straße vor dem Gebäude einen Parkplatz zu finden, teils sind aus dem Süden Geflohene hier bei Verwandten untergekommen. Vom Dach blicken wir nun herunter. Die meisten Autos sind im Laufe der Nacht verschwunden. In der Ferne steigt dunkler Rauch auf.

Die Sonne geht auf. Die Katze hat sich beruhigt, genauso wie wir. Die Hisbollah schieße in diesem Moment wieder Raketen auf Nordisrael, sagt mein guter Freund. „Sie lernen einfach nichts.“

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