„Lügenpresse“ trifft besorgte Bürger: Was ist Wahrheit?
Der Evangelische Medienverband Sachsen diskutiert mit besorgten Bürgern über Vertrauen. Viel guter Willen begegnet reichlich Unkenntnis.
Eingeladen hatte der Evangelische Medienverband Sachsen, der in Leipzig bereits ein ähnliches Gesprächsformat erprobt hatte. Die Überschrift „Wo bleibt die Wahrheit?“ erinnert an die berühmte Pilatus-Frage bei der Verurteilung Jesu „Was ist Wahrheit?“. Oberlandeskirchenrat Dietrich Bauer, im Landeskirchenamt auch für Medien zuständig, bezog sich in seiner Begrüßung auf diese Stelle im Neuen Testament. Zugleich warb er um Vertrauen, dass der andere tatsächlich auf der Suche nach der Wahrheit sei.
Dieses Vertrauen schien bei den etwa 50 Teilnehmern nicht sonderlich ausgeprägt. Ihre Zusammensetzung seitens der Medienrezipienten weckte Vergleiche mit Pegida-nahen Gesprächsrunden. Überwiegend Männer waren erschienen, nach Alter mindestens in die zweite Lebenshälfte vorgerückt.
Ihre zunächst spürbare Skepsis erhielt auch noch Nahrung vom Direktor der Sächsischen Landesmedienanstalt Michael Sagurna, Kooperationspartner der Veranstaltung. „Der Journalismus hat sich fraglos zum Schlechteren verändert“, stieg der frühere Regierungssprecher Kurt Biedenkopfs in Sachsen ein. Den „Einbruch im Qualitätsjournalismus“ führte Sagurna dann auf den hohen Kostendruck vorwiegend im Printbereich zurück.
Selbstkritik von Journalisten
An den Tischen entstand keine eindeutige Frontlinie zwischen besorgten Bürgern und Journalisten, unter ihnen auch leitende Redakteure und Korrespondenten überregionaler Medien. Die Unterstellung, Journalisten dienten sich den Regierenden im Interesse der eigenen Karriere an, ließen sich nicht lange halten.
An einem Tisch wurde leidenschaftlich darüber diskutiert, ob Medien eben gerade nicht belehrend und einseitig meinungsbildend wirkten, sonder vielmehr den angenommenen Erwartungen der Leser und Zuschauer hinterherliefen. Beispielsweise bei sprichwörtlichen „Säuen, die durchs Dorf getrieben werden“. Hier war auch Selbstkritik von Journalisten zu vernehmen, wobei das Konkurrenzverhalten gar nicht zulasse, aktuelle Großlagen zu ignorieren. Auf Schlüsselbegriffe wie Maß und Ausgewogenheit konnte man sich aber verständigen.
Hartnäckig hält sich bei den Medienkritikern die Unkenntnis über tatsächliche Redaktionsabläufe. Auch die Unterstellung, alle etablierten Medien unterstützten die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel, zeugt von mangelndem Überblick. Hier ließ sich mit Fakten einiges geraderücken. Dass die erschienenen Gäste durchweg zuhören, auf Argumente eingehen und Lernbereitschaft zeigen konnten, trug zu einer wohltuend fairen und unpolemischen Atmosphäre bei.
Von „Lügenpresse“-Rufen war man hier weit entfernt. Der kirchliche Rahmen, bekräftigt durch einen Schlusssegen von Kirchenrat Bauer, tat ein Übriges.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen