Lucky Looser Robert Habeck: Sieger in der Nachspielzeit
Robert Habeck hat zwar die Urwahl zum Grünen-Spitzenkandidaten auf Bundesebene verloren, dafür aber Chancen, Bundesvorsitzender zu werden.
Denn sein Angebot an die Partei sei gewesen, „das, was die Grünen in Schleswig-Holstein bereits aufgebaut haben, auch in Berlin aufzubauen – nämlich innerparteilich solidarisch zu sein und auf Flügel- und Grüppchenbildung zu verzichten“, sagt Habeck. Eine Aussage, die nicht alle in der grünen Partei mit Vergnügen hören. Aber eine, die den schleswig-holsteinischen Landesminister in eine bundesweite Spitzenposition geradezu hineinzwingt.
Denn nach der Bundestagswahl am 24. September wird, wenn der nun gekürte Spitzenkandidat Cem Özdemir in die Bundestagsfraktion oder gar das Bundeskabinett wechselt, dessen Posten in der Parteiführung frei. Und nicht von ungefähr hatte er nach seinem hauchdünnen Sieg Habecks Ergebnis bereits zum Zeichen erklärt, „dass Robert Habeck in der Partei benötigt wird und eine wichtige Rolle spielen wird“.
Zwar nennt Habeck das jetzt noch „Gelaber“, klar aber ist: Wenn ihm sein Anliegen ernst ist, die Partei zu erneuern, wird er, der aus dem Stand fast über das grüne Establishment triumphiert hätte, und den dritten Kandidaten, Fraktionschef Anton Hofreiter, locker deklassiert hat, sich einer Führungsposition nicht verweigern können. Wer, wenn nicht der promovierte Philosoph, der in Kiel seit Jahren beweist, dass man über das pragmatische Tagesschäft den Blick über grüne Tellerränder nicht verlieren muss, sollte für eine strategische Neuausrichtung der Grünen in neue Wählerschichten und Milieus infrage kommen.
Seit 2012 regiert in Schleswig-Holstein eine Koalition aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband (SSW). Die Opposition bilden CDU, FDP und Piraten.
Eine Infas-Umfrage für den NDR im Dezember deutet Wechselstimmung an. Die SPD sackt auf 26 Prozent ab, die Grünen erreichen 15 Prozent und der SSW drei Prozent: Mit insgesamt 44 Prozent wäre das zu wenig für eine erneute Regierungsbildung.
Die gesammelte Opposition aus CDU mit 34 Prozent, FDP mit neun Prozent, AfD mit sechs Prozent und Linke mit fünf Prozent kommt auf 54 Prozent. Die Piraten fallen mit ein bis zwei Prozent aus dem Landtag.
Ohne AfD und Linke könnte die Koalition in einem Fünf-Fraktionen-Landtag wahrscheinlich weiterregieren.
Ähnlich sieht das auch Monika Heinold, grüne Spitzenkandidatin für die Landtagswahl am 7. Mai, wenngleich sie es vorsichtiger formuliert. Sie freue sich, dass Habeck als Minister und Wahlkämpfer jetzt seine Kraft „zu 120 Prozent Schleswig-Holstein widmen“ wolle. „Er hat mir zugesagt, Teil des Wahlkampf-Teams zu sein“, sagt Heinold. Und auch sie erwartet, „dass wir Grünen aus Schleswig-Holstein jetzt stärkeres Gewicht in der Bundespartei haben werden“.
Der kleine grüne Verein aus dem Norden wird bislang von den mitgliederstarken Landesverbänden, vor allem Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen, nicht so richtig ernst genommen. „Jetzt“, sagt Heinold, „werden wir mehr gehört werden.“ Durch Habeck.
Zu den Gewinnern zählt aber auch Konstantin von Notz, grüner Bundestagsabgeordneter aus Schleswig-Holstein, Fraktions-Vize im Bundestag und profilierter Innen- und Justizpolitiker. Er wäre Habeck, mit dem ihn eine persönliche Freundschaft verbindet, politisch fast zum Opfer gefallen.
Seinen sicheren zweiten Platz auf der Landesliste zur Bundestagswahl hätte er an einen Spitzenkandidaten Habeck verloren, der nächste Männerplatz vier – die ungeraden Plätze sind Frauen vorbehalten – indes hätte kaum Aussicht auf einen Einzug in den Bundestag. Jetzt aber wird Notz bei der Listenaufstellung im Februar erneut für den zweiten Platz kandidieren und ihn wohl bekommen.
Für die kommende Landtagswahl in Schleswig-Holstein haben sich die Grünen ein zweistelliges Ergebnis vorgenommen. Die Koalition mit SPD und SSW wollten sie fortführen, versichern Habeck, Heinold und die grüne Landesvorsitzende Ruth Kastner einstimmig. Jedoch gebe es keine „Ausschließeritis“ – ob mit der Linken, der FDP oder der CDU. Nur mit der rechtspopulistischen AfD komme keine Zusammenarbeit infrage.
Sollten die Grünen nach der Landtagswahl jedoch nicht mehr regieren, stünde Habeck ohne Mandat mit leeren Händen da. Darüber aber habe er sich „keine ernsthaften Gedanken gemacht, ich habe auch keine Angst davor“. Demokratische Ämter würden immer auf Zeit vergeben: „Ich bin da easy“, versichert Habeck.
Und wartet im Herbst auf den Ruf aus Berlin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“