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Londoner Urteil zu Julian AssangeKein Fanal für freie Presse

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Die Nicht-Auslieferung von Assange wird mit der Lebensgefahr begründet, die ihm droht. Der Schutz von Whistleblowern ist dem Gericht kein Anliegen.

Julian Assange im Gericht Foto: Gerichtszeichnung Elizabeth Cook via ap

W ikileaks-Gründer Julian Assange wird zunächst nicht an die USA ausgeliefert. Die Entscheidung, die die zuständige Londoner Richterin Vanessa Baraitser am Montag verkündete, klingt besser, als sie ist. Denn mit einer Verteidigung der Pressefreiheit oder gar einer Präzedenzentscheidung zum Schutz unbequemer Whistleblower hat das Urteil nichts zu tun.

Im Gegenteil: Die Richterin begründete ausführlich, warum weder die von der Verteidigung und zahlreichen Medienorganisationen vorgebrachten Befürchtungen eines unfairen, politisch motivierten Prozesses in den USA noch die Bewertung der Anklage als Angriff auf die Pressefreiheit stichhaltig seien. Lediglich Assanges mentale Gesundheit und die Gefahr, dass er sich in einem US-Gefängnis das Leben nehmen werde, brachte sie zur Entscheidung gegen die Auslieferung.

Und auch diese Entscheidung ist nur vorläufig: Die USA haben bereits Berufung angekündigt, und so könnte das Verfahren noch über zwei weitere Instanzen bis zum britischen Supreme Court gehen.

Mit Sicherheit werden die USA versuchen, über irgendwelche Garantien die Bedenken zu Assanges Sicherheit zu zerstreuen, um doch noch eine Auslieferung zu erreichen. Ob ihnen das angesichts der bekannten Missstände im US-Gefängnissystem gelingen kann, ist fraglich. Insofern ist die so begründete Entscheidung für Julian Assange selbst womöglich sogar besser als eine, die auf die eigentlichen Inhalte des Verfahrens abgezielt hätte.

Perverse Verkehrung aller Vorstellungen von Rechtsstaat

Gleichzeitig aber bedeutet das auch: In zehn Jahren Verfolgung durch US-amerikanische, schwedische und britische Strafverfolgungsbehörden ist Assange psychisch zerstört worden – und nur diese Tatsache rettet ihn womöglich davor, den Rest seines Lebens in US-Gefängnissen zu verbringen. Das ist eine nahezu perverse Verkehrung aller Vorstellungen von Schuld, Sühne und Rechtsstaat.

Assange hat mit Wikileaks dazu beigetragen, US-Kriegsverbrechen in Afghanistan und Irak öffentlich bekannt werden zu lassen. Das und nichts anderes hat ihn zum Geächteten werden lassen, zu einem, an dem ein Exempel statuiert werden muss.

Ob man ihn persönlich in der Phase der großen Wikileaks-Veröffentlichungen als arroganten und unangenehmen Selbstdarsteller mit zweifelhaften politischen Überzeugungen empfand, ob ihm die Linksliberalen seinen zumindest indirekten Wahlkampf für Donald Trump 2016 übelnehmen oder nicht, spielt dabei überhaupt keine Rolle.

Julian Assange, Chelsea Manning, Edward Snowden – keine*r von ihnen durfte aus Sicht der angegriffenen staatlichen Strukturen einfach ein normales Leben weiterführen. Die staatlichen Bemühungen, ihr Handeln zu ahnden, sind ungleich größer als jene, die Verbrechen zu verfolgen, die sie aufgedeckt haben.

Das zu beschreiben und zu geißeln, kann von einem britischen Gericht in einem Auslieferungsverfahren nicht erwartet werden. Wenn es einfach dafür sorgt, dass Assange erst einmal in Ruhe gelassen würde, ist das, bei aller Unzulänglichkeit, schon eine ganze Menge.

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Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. Bluesky: @berndpickert.bsky.social In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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20 Kommentare

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  • Die Richterin hat sicher im Sinne der Person Julian Assange geurteilt, und das sollte man ihr nicht zum Vorwurf machen.



    Die Veröffentlichungen von Assange waren wichtig. Dennoch bin ich nicht bereit, ihn 1:1 mit Journalisten gleichzusetzen, denn die Klardarstellung diverser Namen, hat er - und das unterstelle ich ihm zu seinem Nachteil - nicht vollends und verantwortlich durchdacht, der öffentliche Impact wärekaumgeringer gewesen.



    Journalisten schützen ihre Quellen und deren Umfeld. Dies sehe ich hier nicht gegeben.

    • @Alfonso el Sabio:

      "Journalisten schützen ihre Quellen und deren Umfeld. Dies sehe ich hier nicht gegeben."

      Seine Quellen hat er doch versucht zu schützen. Die Täter der aufgedeckten Verbrechen natürlich nicht.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Die Frage, ob hinter jedem Klarnamen auch ein Täter und - dazu ggf. noch weiter zu differenzieren ! - auch ein Verantwortlicher steht, bleibt für mich dennoch im Raum!

        • @Alfonso el Sabio:

          Seit wann werden in der Presse Nebenpersonen nicht mit Klarnamen genannt? Bei politische Vorgängen und davon sprechen wir doch) ist das nie der Fall.

          PS: Die US Regierung kann nicht belegen, dass tatsächlich jemand ganz konkret durch die Veröffentlichungen in Gefahr geraten ist. Das sind nur Behauptungen, um eine Verfolgung zu rechtfertigen. Die "nationale Sicherheit" dient als Deckmantel für vieles.

  • Das Problem ist, dass die Rechtslage in UK seit 9/11 nicht so viel anders ist als in den USA: Im öffentlichen Interesse geheim und daher auch nicht zu veröffentlichen ist effektiv Alles, wovon die Regierung sagt, dass es das ist.

  • Ein gefährlicher Sieg für die Pressefreiheit. Wäre journalistisch gut gewesen, wenn der Autor die Begründung der Richterin den LeserInnen referiert hätte.



    Es war übrigends die "Yes we can" Regierung Obamas, die die Hatz auf Assange eröffnete. Ihr 'staatspolitisches Ziel' hat sie erreicht. Während Putin missliebige Kritiker liquidieren lässt, setzten die USA auf Einschüchterung. Die von Wikileaks aufgedeckten Mordaktionen gehören seit Jahrzehnten zum Repertoire Washingtons. Einst wollte man Fidel Castro mit vergifteten Zigarren ins Jenseits befördern, Contra Rebellen in Nicaragua wurden mit Waffendeals an den Iran finanziert usw usf. Auch unter Präsident Biden wird sich diese Staatsraison nicht ändern - na ja und das Massaker in Kundus zeigt, das man in Deutschland nicht anders handelt - der Zweck heiligt die Mittel.....

  • "Der Schutz von Whistleblowern ist dem Gericht kein Anliegen."



    Nein, natürlich nicht.



    Justitia ist blind, warum wohl?

  • Und den Kriegsverbrechern, Bush, Cheney und Rumsfeld den Prozess zu machen, darauf ist in 10 Jahren noch niemand gekommen, weil sie Den Haag nicht akzeptieren?

    Irgendwie haben die Absurditäten aber auch System und mit jeder Meldung über Assange wird es absurder.

  • Du weißt, dass Du keinen Rechtsstaat hast, wenn selbst der Präsi von Aserbaidschan, von einer BBC-Reporterin kritisiert wegen Menschenrechtsverletzungen, nachfragt, ob man nicht mal über Assange reden sollte. blog.fefe.de/?ts=a1407280

    Und das gilt mindestens für USA, England und Schweden.

    Aus Sicht der USA könnte die Sache erledigt sein: Whistleblower und unterstützende Strukturen in aller Welt sind eingeschüchtert, da wird die nächsten 10 Jahre keiner auch nur den Versuch wagen.

    Aber die USA, unterstützt von ihren Blinddarmstaaten werden mit ihrer Machtdemonstration weitermachen, denn nur darum ging es von Anfang an.

    Kostet ja nix und Whistleblower-Plattformen untergraben Machtzirkel im Kern, weltweit. Das muss aus Sicht der Mächtigen unbedingt und dauerhaft verhindert werden. Es gibt kaum eine größere Gefahr für sie. Deswegen wurde die Vernichtungskampagne auch so in die Länge gezogen, die Botschaft sollte überall ankommen und nachhaltigen Eindruck machen.

    Schweden hat sich vor einer Weile aus der Affäre gezogen "wir haben keine Beweise mehr, echt supersorry" und hofft, dass Gras über ihren widerlichen Anteil an der Vernichtungskampagne wächst.

    Der Wertewesten bei der Arbeit.

  • Es wird allerhöchste Zeit Strassen und Plätze nach diesen Märtyrern zu benennen !

    • @Bolzkopf:

      Man benennt keine Plätze und Straßen nach Lebenden...

  • RS
    Ria Sauter

    Für Menschen, die etwas aufdecken oder verändern möchten, ist dies eine Zeit der Diktatur und Folter.



    Geduldet von allen "demoktatischen"Sprücheklopfern.



    Die Würde des Menschen ist unantastbar, hat nur Gültigkeit für die braven Systemfolger.

    • @Ria Sauter:

      "Die Würde des Menschen ist unantastbar,"



      ... steht übrigens in der deutschen, nicht in der britischen, Verfassung. Aber packen Sie ruhig alles in einen Sack.

      • RS
        Ria Sauter
        @Carl Fischer:

        Ja, steht in der deutschen Verfassung. Gerade darum müsste D helfen.



        Wahrscheinlich sehen Sie den Zusammenhang nicht, wie Ihr Kommentar vermuten lässt.

      • @Carl Fischer:

        "...britischen, Verfassung..."

        GB hat keine Verfassung...

    • @Ria Sauter:

      Definiere "Mensch" einfach wie es passt und gut ist's.

  • "Denn mit einer Verteidigung der Pressefreiheit oder gar einer Präzedenzentscheidung zum Schutz unbequemer Whistleblower hat das Urteil nichts zu tun."

    Ja. Es ist sehr bedenklich, dass die Richterin den Schlag des Duos Obama/Biden gegen die Pressefreiheit für Rechtens erklärt. Ein kleiner Lichtblick ist, dass sie den Strafvollzug in den USA als potentiell lebensbedrohlich einstuft.

  • Ja, nur sei noch ergänzt: Es geht eben nicht nur um "Die staatlichen Bemühungen, ihr Handeln zu ahnden, sind ungleich größer als jene, die Verbrechen zu verfolgen, die sie aufgedeckt haben." ...sondern darum ein für alle potentiellen Whistler klar anzusagen: "Ihr entkommt uns nicht..." Und das betrifft UNS alle.

  • > Julian Assange, Chelsea Manning, Edward Snowden – keine*r von ihnen durfte aus Sicht der angegriffenen staatlichen Strukturen einfach ein normales Leben weiterführen. Die staatlichen Bemühungen, ihr Handeln zu ahnden, sind ungleich größer als jene, die Verbrechen zu verfolgen, die sie aufgedeckt haben.

    Das nenne ich mal auf den Punkt gebracht, Herr Pickert. Dem ist nun wirklich nichts hinzuzufügen - Chapeau dafür!

    • 9G
      91491 (Profil gelöscht)
      @Grenzgänger:

      Dem kann ich mich nur anschließen 👍