Lockdown in der Vorweihnachtszeit: Die Scheune des Weihnachtsmanns
Es ist die Zeit von Glaube, Liebe, Hoffnung. Dieses Jahr sogar noch mehr als an anderen Weihnachten. Rituale verändern sich mit Entwicklungspotenzial.
S o. Da sind wir also wieder. Im nächsten Shutdown. Diesmal nicht hyperventilierend wie im März. Nein, diesmal schicksalsergeben, gedämpft verzweifelt, vielleicht sogar leicht lustvoll sediert, wissend um die Unaufhaltsamkeit verrinnender Zeit. Was sind schon dreieinhalb, fünf, zehn Wochen. Windhauch, Windhauch.
Wir vertrauen jetzt auf die funktionierende Logistik des Lebensmittelhandels. Winken beim Thema Klopapier ab. Ist doch eh genug da. Haben den Rest professionell erledigt. Waren noch im Baumarkt, um Fugensilikon und Rotband zu besorgen, damit das, was im Frühjahr im Bad nicht geschafft wurde, diesmal Vollendung finde.
Haben einen Weihnachtsbaum gekauft, bevor noch alle in der Stadt gestrandeten Familien mit Nicht-Berlin-Hintergrund schnallen, dass die Kinder in diesem Jahr nicht auf den Baum bei Oma und Opa vertröstet werden können. Haben am Dienstag einen letzten aushäusigen Glühwein getrunken und uns gedacht: Jo, reicht dann auch, sieben Wochen mit dem Heißen Hirschen sind enough, diese Autosuggestion von Sozialleben mit Wegwerf-Pappbecher kann abgewickelt werden.
Rückzug, auf geht's, renovieren, regredieren, meditieren.
Der Weihnachtsmann ist ein vorausschauender Typ
Die Kinder werden mehr zu tun haben. Sie haben am Dienstag sämtliche Schulbücher und -hefte nach Hause geschleppt, dazu dicke Stapel kopierter Wochenpläne und Aufgabenblätter. Digital ist an unserer Schule nicht besser, Distanzunterricht ist gleich Zettelwirtschaft. Angesichts dieses meterhohen Turm Papiers scheint niemand an Normalbetrieb ab dem 10. Januar zu glauben. Wir aber schon. Ist schließlich die Zeit von Glaube, Liebe, Hoffnung.
Die Kinder glauben zum Beispiel, dass der Weihnachtsmann ein vorausschauender Typ ist und in Brandenburg riesenhafte Scheunen gemietet hat, in denen er längst den gesamten Spielwarenkatalog von Smyth Toys hortet. Er kann ja jetzt wegen Shutdown nicht mehr wunschzettelgemäß einkaufen, weil doch die Wunschzettel aufgrund ständiger Überarbeitung nicht mal abgeschickt sind. Also glauben und hoffen sie an und auf die Scheunen, die längst überquellen mit vom Weihnachtsmann prophylaktisch geshopptem Plastikquatsch.
Das große Kind, das auf keinen Fall an Gott glaubt, glaubt allerdings, dass Beten helfen könnte, um an Heiligabend einen Platz in der Kirche zu ergattern. Denn in die Kirche müssen wir, wann soll der Weihnachtsmann sonst alles unter den Baum legen. Aber als Nur-an-Heiligabend-Kirchgänger*innen haben wir bestimmt keine Pole Position bei der schriftlichen Bewerbung für den Corona-Silent-Night-Gottesdienst.
Kreuzberg-Mashup-Style beim Beten
Also beten. Das Kind rollt die Yogamatte aus, setzt den Buddha vom Fensterbrett drauf und stellt sich vor ihn hin. Dann Handflächen nach oben, vorbeugen, hinknien, Stirn zum Boden, Hände vors Gesicht. Es hat während der Ferienbetreuung in der Schule die Erzieher-Praktikanten Taha und Hamoudi beim Beten beobachtet. Wir glauben alle, dass uns dieser Kreuzberg-Mashup-Style zum Krippenspiel bringen wird.
Das Kneipenkollektiv Meuterei e. V. auf der Reichenberger Straße, das geräumt werden soll, erhofft anderes: dass es bleiben darf, dass „die Repressionsbehörden“ durch die Pandemiemaßnahmen nicht weiter Solidarität und Freiräume zerstören. 25 schwarz Gekleidete stehen am Sonntag in der Dämmerung vor der Szenekneipe herum, sechs Wannen voller Mitarbeiter*innen der oben genannten Behörden sind auch da.
Ich frage eine schwarz Gekleidete, worum es denn genau gehe. Sie zieht bedeutsam die Augenbrauen hoch: „Na, heute ist doch der 13. 12.“ Ich: „Ja. Und?“ – „Na, weißte, 1-3-1-2.“ Ich: „Hä?“ – „1-3-1-2, A-C-A-B.“ Ich: „Ach so.“ – „War ’ne Demo gegen Polizeigewalt.“ Ich: „Und, gab’s welche?“ – „Nein, alles coronakonform und peacig.“
So. Was soll da jetzt noch kommen? Das Jahr ist fast geschafft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!