Lobbyexpertin über TTIP: „Eine geschickte PR-Offensive“
Die Verhandlungen über Investorenschutz bei TTIP sind auf Eis gelegt worden. Nun soll die Öffentlichkeit diskutieren. Das genügt nicht allen.
taz: Frau Eberhardt, die Verhandlungen über den Investorenschutz im Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU sind derzeit ausgesetzt. Wie bewerten Sie das?
Pia Eberhardt: Das ist definitiv ein Erfolg des Widerstands gegen das Abkommen. Die Kommission steht unter Druck. Sie musste reagieren. Wir müssen die Atempause nutzen, um die Konzernklagerechte ein für alle Mal aus den Verhandlungen zu kegeln.
Was stört Sie am Investorenschutz?
Es geht dabei um den Schutz der Profitinteressen von Konzernen. US-Unternehmen, die in Europa investiert haben, könnten gegen unliebsame EU-Regulierungen vor internationalen Schiedsgerichten klagen. Viele befürchten, dass so der Umwelt- oder Verbraucherschutz ausgehöhlt wird. Ein Beispiel ist der schwedische Konzern Vattenfall, der von Deutschland wegen des Atomausstiegs Milliarden fordert.
Andere meinen, es sei legitim, Investitionen im Ausland abzusichern.
Der zuständige EU-Kommissar Karel De Gucht hat lediglich angekündigt, das Thema drei Monate auf Eis zu legen, damit darüber öffentlich diskutiert werden kann. Ich gehe davon aus, dass er sich nicht von den Konzernklagerechten verabschieden will, sondern auf deren Reform setzt. Das ist nicht das, was wir wollen.
Sie und andere NGOs haben doch Transparenz und öffentliche Diskussionen gefordert.
Das ist richtig, aber dass lediglich der Investorenschutz diskutiert werden soll, während alle anderen Themen des Freihandelsabkommens hinter verschlossenen Türen weiter verhandelt werden, zeigt, dass die EU-Kommission es nicht ernst meint mit der Transparenz. Deswegen halte ich De Guchts Ankündigung eher für eine geschickte PR-Offensive.
arbeitet für die Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory (CEO), die die Rolle des Lobbyings innerhalb der Europäischen Union untersucht.
Inwiefern?
Weil die EU-Kommission signalisiert: Wir sind bereit zur Diskussion. An ihrer Agenda wird sie aber nichts ändern.
Hat Sie der Vorstoß von De Gucht eigentlich überrascht?
Nein. Der Investorenschutz wird mittlerweile auch EU-intern kritisiert, zum Beispiel von Frankreich. Hinzu kommt, dass gar nicht klar ist, wer bei verlorenen Klagen in Zukunft Schadenersatzzahlungen an die Konzerne leisten müsste – die Mitgliedsländer oder die EU? De Gucht hat sich also auch intern Luft verschafft, um Details zu regeln. Und das auch noch geschickt als Transparenz-Offensive verkauft.
Welche Kritik gibt es noch?
Die geplante regulatorische Kooperation beispielsweise ist brandgefährlich. Im Freihandelsabkommen sollen Verfahren vereinbart werden, wie Regulierungen künftig zwischen EU und den USA abgestimmt werden können. Das würde Konzernen Tür und Tor öffnen, Regulierungen zu verwässern, zu verzögern oder ganz zu verhindern, vor allem in Bereichen, bei denen man sich uneins ist, also etwa gentechnisch manipulierten Lebensmitteln oder Umweltstandards.
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