Lobbyarbeit gegen Enteignungen: Desinformation und Gutachterei
CDU und Immobilienlobby bieten im Kampf gegen Enteignung Tricks und ein neues Gutachten auf. Das Volksbegehren hält dagegen.
Die CDU treibt ihre Desinformationskampagne auf die Spitze: Nachdem sie lange faktenresistent und wahrheitswidrig behauptet hatte, auch Genossenschaften seien von Enteignungen betroffen, greift sie jetzt sogar zur Wähler-Verwirrungstaktik: Die CDU-Fraktion verschickte Infomaterial, das vom Aussehen erstaunlich an amtliche Wahlunterlagen erinnerte – die Schriftarten ähneln sich, ebenso prangt das Berliner Stadtwappen auf dem Umschlag, in dem das vermeintliche Infomaterial verschickt wurden. Erst auf dem zweiten Blick wird deutlich, dass es sich um eine Kommentierung der CDU-Fraktion handelt.
Der Verein Mehr Demokratie e. V. kritisiert die Aktion: „Wenn die Information der amtlichen Mitteilung zum Verwechseln ähnlich sieht, ist das eine bewusste Täuschung der Abstimmenden!“ Michael Efler, direktdemokratischer Sprecher der Linken im Abgeordnetenhaus meldete sogar Zweifel an, ob die Aktion rechtskonform ist. Er sagte der taz: „Das Abstimmungsgesetz lässt den Einsatz öffentlicher Mittel vor Volksentscheiden nur begrenzt zu.“ Explizit sei es nur dem Abgeordnetenhaus und dem Senat erlaubt, angemessene öffentliche Mittel einzusetzen. Die Fraktionen seien nicht erwähnt, so Efler: „Von daher sind erhebliche Zweifel angebracht, ob das Vorgehen der CDU-Fraktion gesetzeskonform ist“.
Die Unionsfraktion sagte auf taz-Anfrage, die Sendungen seien an über 100.000 Haushalte gegangen. Man habe vorab ein Gutachten dazu mit dem Rechnungshof abgestimmt, alles sei rechtmäßig abgelaufen. Der Rechnungshof wiederum teilte ergänzend mit, man könne die Aktion nicht abschließend bewerten, weil das Informationsangebot nicht vorgelegen hätte.
Schwere Geschütze auch von der Immo-Lobby
Auch die Immobilienlobby greift kurz vor Torschluss zu schweren Geschützen: Der immobilienwirtschaftsnahe Verein Neue Wege für Berlin veröffentlichte ein Gutachten, das die Verfassungswidrigkeit eines möglichen Vergesellschaftungsgesetzes belegen soll und medial ohne zu viel störende kritische Einordnung aufgegriffen wurde. Erstaunlich dabei: Der Gutachter, der emeritierte Staastrechtler Ulrich Battis, hatte noch vor gut einem Jahr nicht nur in der taz die Auffassung vertreten, dass die Sozialisierung nach Art. 15 GG zulässig sei.
Auf taz-Anfrage sagte Battis zu seinem Meinungsschwenk: „Es ist eine Position, die ich im Laufe der Zeit entwickelt habe.“ Wie viel das Gutachten gekostet habe, wisse er nicht. Das habe eine beteiligte Anwaltskanzlei ausgehandelt. Im Übrigen halte Battis das Volksbegehren für sinnvoll, um politischen Druck aufzubauen. Der Volksentscheid sei rechtlich zulässig, ein Vergesellschaftungsgesetz aus seiner Sicht allerdings verfassungswidrig, so Battis.
Moheb Shafaqyar, ein Sprecher vom Volksbegehren, sagte dazu: „Das Gutachten vom Immobilienanwalt Battis ist kurios“, weil dieser selbst vor zwei Jahren Vergesellschaftung für unumstritten rechtmäßig gehalten habe. Shafaqyar verwies deswegen auf „unabhängige Gutachten“, etwa der wissenschaftlichen Dienste des Abgeordnetenhauses, des Bundestages und drei vom Senat beauftragte Gutachten, die eindeutig anderer Meinung seien. Shafaqyar sagte: „Da kann sich nun jede Person selbst ein Bild davon machen, wie ernst zu nehmend die Gefälligkeitsgutachten von Battis sind.“
Zuvor hatten CDU und Immobilien-Verbände ausdauernd und wahrheitswidrig behauptet, dass auch Genossenschaften enteignet werden sollen, obwohl dies niemals geplant war und rechtlich ausgeschlossen werden kann, wie auch ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Abgeordnetenhauses bestätigt. Dennoch raunte die Immo-Lobby bis zuletzt von Gefahren für Genossenschaften. Blöd nur, wenn ein selbst vom Immo-Verband BBU in Auftrag gegebenes Gutachten zum Schluss kam, dass Genossenschaften nicht von Enteignungen betroffen wären. Der Verband hat dann einfach vor der Abstimmung noch ein Gutachten nachgeschoben, dass erstaunlicherweise zum gegenteiligen Schluss kam.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen