Lkw-Krise in Großbritannien: Auslaufmodell Billigarbeit
Nicht nur Großbritannien, sondern ganz Europa hat ein Problem mit schlecht bezahlten Knochenjobs. Was es jetzt braucht: ein neues Wirtschaftsmodell.
F ür die einen ist es eine Brexitkrise, die sich Großbritannien durch seinen Austritt aus der EU selbst eingebrockt habe. Für die anderen ist es eine Folge der Coronakrise, die die britische Regierung wie so vieles verspätet angehe. Auf jeden Fall werfen Hamsterkäufe an britischen Tankstellen und leere Regale in Supermärkten kein gutes Licht auf das Krisenmanagement von Premierminister Boris Johnson. Befristete Arbeitsvisa für 5.000 ausländische Lkw-Fahrer und 5.500 Arbeiter in der Geflügelindustrie sind da höchstens Notlösungen.
Das Problem liegt viel tiefer. Mehr als jedes andere Land in Europa verließ sich Großbritannien für seine ökonomische Transformation auf Osteuropa. Als die alten Industrien abstarben, konnten britische Unternehmen eine ganze Arbeitergeneration in Sozialhilfe und Rente abschieben und Millionen junge Billigkräfte aus dem Osten ins Land holen, um die neuen Dienstleistungsjobs zu übernehmen. Die Abgehängten rächten sich per Brexit-Volksabstimmung. In der Coronapandemie fielen dann viele dieser Arbeitsplätze weg, viele europäische Arbeitsmigranten gingen. Nun brummt die Wirtschaft wieder, und in Großbritannien gibt es fast zwei Millionen offene Stellen.
Bei den Lkw-Fahrern ist der Brexit nur ein kleiner Teil des Problems: 15.000 Lkw-Fahrer aus dem Ausland haben Großbritannien verlassen, aber 100.000 fehlen. Auch in Deutschland gehen doppelt so viele Lkw-Fahrer jedes Jahr in Rente wie neue dazukommen. Ganz Europa verlässt sich auf unsichtbare Billigarbeiter, die alles am Laufen halten. Doch das ist ein Auslaufmodell. Immer weniger Menschen sind zu schlecht bezahlter Knochenarbeit bereit, während zugleich der Bedarf steigt. Europas Bevölkerung schrumpft, und die Arbeitsmobilität nimmt zugleich ab.
Nicht nur Großbritannien, sondern Europa braucht ein neues Wirtschaftsmodell. Die Langzeitvision einer neuen, ökologischen Transformation löst die aktuellen Probleme nicht. Und auf die hat nicht nur Johnson keine Antwort.
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