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Literaturmensch über seine Arbeit„Man muss Literatur verpacken“

Der Hamburger Verleger Lou Probsthayn hofft, dass der Autor in ihm zurückkommt. Ein Gespräch über Wellblechhütten, zahme Ratten und kleine Formate.

Hat seine Berufe autodidaktisch erlernt: Der Hamburger Verleger und Autor Lou A. Probsthayn Foto: Miguel Ferraz
Interview von Frank Keil

taz: Herr Probsthayn, ich habe gesehen, Sie haben einen Wikipedia-Eintrag …

Lou Probsthayn: … für den ich nicht verantwortlich bin und ich weiß auch nicht, wer den für mich eingestellt hat. Ich pflege ihn jedenfalls nicht.

Darin steht: Sie sind 1960 in Ost-Berlin geboren.

Das ist richtig, und schon als ich die ersten Publikationen veröffentlichte, habe ich in meine Vita geschrieben: „Flüchtete im Alter von drei Monaten von Ost-Berlin in den Westen.“ Ich habe das geschrieben, weil ich Mitte der 1980er-Jahre in Ost-Berlin Lesungen hatte. Im Untergrund, sprich: um die Gruppe von Sascha Anderson herum, dem damaligen Vorzeige-Lyriker und späteren Verräter der Autoren, weil er Stasi-Mitarbeiter gewesen war. Ich war immer ein bisschen verärgert, dass alle Autoren, die aus dem Osten kamen, schnell Stipendien bekommen haben und mit Preisen bedacht wurden, also dachte ich: Du musst dringend in deine Vita diese Ost-Vergangenheit setzen.

Wo ging es nach den drei Monaten hin?

Ich bin sofort Hamburger geworden. Wobei meine Mutter nicht aus politischen Gründen ausgewandert ist, sondern eher aus wirtschaftlichen Gründen. Wir haben zuerst in einem dieser halb aufgeschnittenen Häuser gewohnt, die wie halbe Tonnen aussahen …

In einer Wellblechhütte?

Ja, genau. Meine Mutter war die ersten Monate als Schallplattenverkäuferin tätig, das war nur ein Brotjob, weil sie in der damaligen DDR tatsächlich Balletttänzerin war, im „Schwanensee“ aufgetreten ist und Klavier gespielt hat. In Hamburg musste sie dann bei null starten, wobei ich daran keine eigenen Erinnerungen habe.

Wann setzen Ihre Erinnerungen ein?

Als wir nach Hamburg-Bramfeld zogen, wo ich groß geworden bin. Im Hannenstieg, da gab es so Minimal-Reihenhäuser, oben wohnte eine Familie und unten wohnte eine, je anderthalb Zimmer, aber die Häuser waren wie ein Reihenhaus aufgemacht. Ich weiß noch, dass ich damals kein eigenes Zimmer hatte, sondern mir mit meiner Mutter das Schlafzimmer geteilt habe. Man muss wissen: Mein eigentlicher Vater hat die Flucht ergriffen, nachdem er merkte: „Oh, die Frau ist schwanger.“ Ich habe ihn nicht wirklich kennengelernt.

Wie war das Aufwachsen in Hamburg-Bramfeld?

Bramfeld ist einer dieser No-Name-Stadtteile wie Berne oder Farmsen, die alle irgendwie keinen Charakter haben. Ich bin jedenfalls froh, dass ich Bramfeld entfliehen konnte. Wobei: Es gab in Bramfeld den ersten Croque-Laden Hamburgs! Er existierte bis Kurzem, und da gab es die „Croque-Monsieur“, die wirklich hervorragend waren.

Im Interview: Lou A. Probsthayn

61, wuchs in Hamburg auf. Er gründete die Autoren-Aktionsgruppe PENG. Ihre Aktion „Dichter lesen in der Peepshow“ schaffte es bis in die „Tages­themen“. Seit 2009 verantwortet er den „Literatur-Quickie“-Verlag, der Kurz­geschichten im Kleinformat von zwölf mal zwölf Zentimetern verlegt.

Wie kam es zu Ihrem literarisch-künstlerischen Weg? Erste Schneisen in der Kindheit und Jugend?

Nur bedingt. Wobei: Ich habe ja mehrere Väter, und mein erster Stiefvater, der hat mich tatsächlich ein bisschen politisch geprägt und motiviert. Ich habe sehr früh Marx gelesen und die Biografie von Che Guevara. Er war jedenfalls derjenige, der mit Büchern umgegangen ist, und ich denke mal, er hat da was freigetreten.

Um was ging es in Ihren ersten Texten?

In erster Linie ging es um das Thema „Einsamkeit“, um das Alleinsein. Mein allererster Text, das weiß ich noch, ist in einer Zeitschrift erschienen, die Herman van Veen herausgebracht hat. ­Pierrot hieß die. Der Text heißt „Das Auge“ und es geht um einen Mann, der in seiner Wohnung durch den Türspion hindurch permanent beobachtet, was im Treppenhaus passiert. Ich bin danach über den Hamburger Schriftsteller Gunter Gerlach in die Werbung gekommen, aber die Werbung hat mich damals fast psychisch angegriffen, so dass es mir nicht so gut ging.

Was ist passiert?

Ich war Texter in einer sehr guten Agentur, sprich: damals eine der fünf Größten. Das Prinzip war – und wahrscheinlich ist das heute noch so: Du gehörst dieser Agentur, sie ist deine Family, und du bist nicht fünf Tage, sondern sieben Tage da, und du wunderst dich, dass du noch ein eigenes Zuhause hast, wenn du da mal hinkommst. Ich bin dann bald eingeknickt, habe Panik­attacken bekommen. Es ging überhaupt nichts mehr. Aber das hatte auch sein Gutes, denn ich fing an, Geschichten über Menschen mit Angst zu schreiben, habe dann 1990 meinen ersten Literaturpreis bekommen, für eine Geschichte, die im damaligen Klinikum Ochsenzoll spielt: „Kreuzgang ohne Glühbirnen“. Sie erzählt von zwei jungen Männern – damals war ich jung –, die beobachten, was in der Aufnahmestation 32 C geschieht, und sie merken: Hier gehören wir gar nicht hin! Aus dieser Beobachtung schöpfen sie Kraft und gehen weg in ein normales, glückliches Leben. Das war schon ein einschneidendes Erlebnis.

Haben Sie Literatur studiert?

Literatur und Kunstgeschichte. Wobei ich mir damals gewünscht habe, dass es ähnlich wie heute in Leipzig und in Hildesheim die Möglichkeit geben würde, Literatur praktisch zu studieren. So war es eher eine Art Sekundärstudium. Ich war schon eifersüchtig, als ich endlich ein – in Anführungsstrichen – etablierter Autor geworden war, einiges vorweisen konnte und alle durften ganz handfest Schreiben studieren. Da dachte ich: Du bist zehn, fünfzehn Jahre zu früh auf diese Welt gekommen. Andererseits kann ich sagen: Ich bin Autodidakt und habe sowohl große wie kleine Verlage für meine Art der Literatur gewinnen können.

Man kennt Sie in der Literaturszene auch als Veranstalter. Wie kam es dazu?

Es gab damals im Karolinenviertel die „Galerie Geheim“. Das war ein Hotspot, wo sowohl Maler und Musiker, aber auch Autoren zusammenkamen. Ich war da drei-, viermal die Woche. Es gab schon damals den Gedanken, dass Literatur ein Problem damit hat, seine Inhalte zu transportieren. Und es gab den einfachen Gedanken: Man muss über die Unterhaltung zu den Inhalten kommen. Man muss Literatur also interessant machen, man muss sie verpacken, um dann die Verpackung wegzuschmeißen, um auf die eigentlichen Inhalte zu kommen. Gestartet sind wir mit der Lesung „Rats“ – in Anlehnung an das Musical „Cats“, das damals so berühmt war. Es gab Texte über Ratten, und die Ratten liefen auf der Lesung überall herum.

Waren es zahme Ratten?

Natürlich.

Und wie wurden Sie dann Verleger des „Literatur-Quickie“-Verlags?

Das war mehr Zufall, nachdem Gunter Gerlach und ich 2007 den Literatur-Quickie gegründet haben, die kürzeste Literaturveranstaltung der Welt in der Bar „439“ in Eimsbüttel. Es wurde um 22.30 Uhr gelesen, das mitten in der Woche, jeder und jede hatte nur 15 Minuten Zeit zu lesen. Das „439“ war auch noch verkehrstechnisch schlecht angebunden – also alles keine guten Voraussetzungen, um Lesungen durchzuführen, doch der Laden war jedes Mal voll. Wir haben kein Honorar gezahlt, sondern ein Hut ging rum und man warf rein, was man zahlen wollte. Den Rekord hielt Jasmin Ramadan, die für ihre Viertelstunde 268 Euro einsammelte. Aber so 40, 50 Euro haben auch die bekommen, denen man nicht ganz so gerne zugehört hat.

Sie verlegen Bücher in einem Format, dass an Pixie-Bücher erinnert. Wie kam’ s?

Ein befreundeter Illustrator hat Bücher in einem ähnlichen Format illustriert und hat sie mal als Geschenk für meine Kinder mitgebracht. Und daraus entstand die Idee, Kurzgeschichten für Erwachsene anzubieten. Es war mir ohnehin ein Anliegen, die Kurzgeschichte neu zu etablieren: Hemingway kennen wir alle, und in den 70ern und 80ern fand man eigentlich in jedem Magazin Kurzgeschichten, aber ab den 90ern starb die Kurzgeschichte aus. Das kleine Format war eine Einladung, Kurzgeschichten zu erproben, es war ein Experiment.

Wie waren die Reaktionen der Autoren?

Die waren und sind hervorragend! Ich habe gleich am Anfang Juli Zeh dabeigehabt, Ulrike Draesner oder Friedrich Ani. Katrin Seddig ist jetzt das vierte Mal dabei – und alle erwähnen diese Veröffentlichung auch in ihren Vitas, sehen sie also nicht als Nebenbei-Produkt an, und das macht mich natürlich stolz.

Lehnen Sie oft unaufgefordert eingesandte Kurzgeschichten ab?

Permanent! Weil: Alle haben irgendwann mal eine Kurzgeschichte geschrieben und fühlen sich berufen zu denken, die könne man publizieren. Ich bekomme Kurzgeschichten auch von Leuten zugeschickt, die zugeben, dass sie eigentlich nur diese eine Kurzgeschichte geschrieben haben. Und es ist tatsächlich so, dass ich nach drei, vier Sätzen weiß, ob mich das interessieren könnte oder nicht.

Und?

Meist interessiert es mich überhaupt nicht. Es gab in all der Zeit nur einen einzigen Treffer: eine Kurzgeschichte von einer ukrainischen Autorin namens Irina Kilimnik, die eigentlich Ärztin ist.

Wo bleibt bei all dem Ihr eigenes Schreiben?

Das frage ich mich auch! Gerade habe ich eine Schreibgruppe gegründet, um endlich wieder eine Art Input zu bekommen. Ich hoffe, dass da der Autor in mir zurückkommen kann und wird. Mein Schreiben hat sich reduziert, seitdem wir Kinder bekommen haben. Bei meinem letzten Roman hatte ich noch die Gabe, Zehn-Minuten-Räume auszunutzen, und habe es am Anfang noch punktuell geschafft zu schreiben, aber das ist mir über die Jahre abhandengekommen. Also habe ich einen großen Respekt vor Autoren und Autorinnen, die trotz Kinder, die trotz Familie Romane schreiben. Ich frage mich immer: Wie macht ihr das? Könnt ihr mir das Rezept verraten?

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