Literaturmarkt und Kapitalismus: Ein Buch ist keine Wurst
Die Leipziger Buchmesse wurde wieder abgesagt. Ist nur die Pandemie schuld oder ist sie für die Verlagskonzerne einfach nicht mehr attraktiv?
Für den sonst so behäbigen Literaturbetrieb war die Absage der Leipziger Buchmesse schon beinahe ein Thriller. Am Montag war, selbst hinter den Kulissen, noch nicht sicher, ob eine Leipziger Buchmesse im März stattfinden könnte.
In den beiden Wochen davor hatten das Land Sachsen und die Stadt Leipzig Hoffnung vermittelt, der Messedirektor, Oliver Zille, sagte, er sei „fest entschlossen, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die es unter diesen schwierigen Rahmenbedingungen gibt“, und gab an, dass rund 75 Prozent der sonst ausstellenden Verlage ihre Beteiligung an der Messe zugesagt hätten.
Doch dann änderte sich die Lage, die mächtige Münchener Verlagsgruppe Penguin Random House, die dem Bertelsmann-Konzern aus Gütersloh gehört, sagte ihre Messebeteiligung angesichts der Pandemie ab.
Und Torsten Casimir, Chefredakteur des Börsenblatts, schrieb am Montag auf der Website des wichtigsten deutschen Branchenmagazins: „Als Sachsens Staatsregierung versprach, die Buchmesse dürfe stattfinden, wurde rasch klar, dass sie eher nicht stattfinden wird.“ Er höre von vielen großen wie kleinen Verlagen, dass sie ebenfalls eine Absage planten, raunte er, nannte allerdings lediglich wenige größere Verlagsgruppen beim Namen.
Die Kurt Wolff Stiftung, die sich für unabhängige Verlage einsetzt, wehrte sich dagegen und verkündete, dass sie zur Leipziger Messe stünde. Aber es war zu spät. Der Holtzbrinck-Konzern stornierte am Dienstag die Stände seiner Verlage, dann ging es ratzfatz, und am Mittwoch war die Buchmesse abgesagt.
Hätte Holtzbrinck dies nicht getan, schrieb Tilman Spreckelsen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, „dann müsste man sich keine Sorgen um die Leipziger Buchmesse machen und könnte die Fahrkarte nach Leipzig buchen“. Spreckelsen sah einen Widerstreit von „Klein gegen Groß“. Andere Kommentator*innen befürchteten Ähnliches, sogar das Ende der Leipziger Buchmesse wurde vorhergesagt.
Der Geschäftsführer der Oetinger Verlagsgruppe, Thilo Schmid, wurde noch deutlicher: „Ein reines, sentimentales ‚Messe-Fahne-Hochhalten‘, das uns hohe fünf- bis sechsstellige Beträge kostet, wollen und werden wir uns nicht mehr leisten. Das Geld können wir besser investieren.“ Die Leipziger Messe sei „für unser Zielpublikum nicht länger interessant und relevant. Dafür gibt es effektivere, effizientere Möglichkeiten“.
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Aus diesen Worten spricht kein Ost-West-Vorurteil, über das auch gemutmaßt wurde, nein, es spricht daraus der Glaube, dass man es allein schaffen könne. Wer die Menge der Schulklassen gesehen hat, die gerade in Leipzig über die Messe geführt werden, den irritiert diese Aussage eines Kinder- und Jugendbuchverlegers.
Der Buchhändler und Branchenfunktionär Michael Lemling schrieb dagegen in einem Kommentar zu Casimirs Börsenblatt-Beitrag: „Zur ganzen Wahrheit gehört – und dieser Punkt fehlt fast gänzlich in der Diskussion über die Leipziger Messe – dass die Fliehkräfte in unserer Branche größer werden […]. Die großen Verlagsgruppen verlieren ihr Interesse an der Schaffung einer gemeinsamen großen Branchenöffentlichkeit.“
Tatsächlich wird der Buchmarkt immer stärker durchkapitalisiert. Bürgerliche Clubs wie der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der von seinen Mitgliedern Traditionsbewusstsein und Einhaltung ungeschriebener Regeln, ja, sogar Fairness erwartet, merken dies etwa daran, dass Großverlage und Buchhandelsketten die Buchpreisbindung hinterfragen, die zwar die Vielfalt in der Branche stärkt, aber eben nicht den schnellen Cent einbringt. In den Sonntagsreden der Branchenprominenz sieht dies noch anders aus, in den Gremien gärt es jedoch.
Wer auf große Margen achtet, dem ist die Leipziger Buchmesse, die als „Publikumsmesse“ gilt, egal. Jedoch sind von der Absage dieser Großveranstaltung alle Verlage, die sich intellektuell bemühen, gleichermaßen betroffen, unabhängig von ihrer Größe. Auch große Wissenschaftsverlage bräuchten Austausch, auch das literarische Verlagsimprint eines Konzerns sollte auf Diskussionen aus sein.
Warum der Konjunktiv? Die führenden Wissenschaftsverlage, auch sie Verlagsgruppen, setzen mehr auf Masse denn auf Qualität. Nicht wenige Wissenschaftler*innen berichten, dass manche Lektor*innen nicht einmal mehr in das Manuskript hineinschauten. Wie schlampig einige Peer Reviews ablaufen, ist weithin bekannt, erst jüngst beschwerte sich Thomas Steinfeld in der Süddeutschen Zeitung darüber, dass einige Publikumsverlage der Vermarktung ihrer Waren deutlich mehr Zeit widmen als dem Lektorat der Texte.
Insofern ist rührend, dass die Leipziger Messe in ihrer Presseerklärung meinte, dass aufgrund der Absagen „die erwartete Qualität und inhaltliche Breite einer solchen großen Publikumsmesse nicht mehr gewährleistet ist“. Es ist ja höflich, die Dinge nicht beim Namen zu nennen.
Doch tatsächlich geht es hier kaum mehr um Rücksicht auf die Pandemie (und klar ist jede einzelne Absage verständlich und richtig). Michael Lemling wies darauf hin, dass die Verlage – große wie kleine – erwarteten, dass die Buchhändler*innen auch in der Pandemie ihren Job erledigen – von Lagerarbeiter*innen, Lieferant*innen, Drucker*innen oder Putzkräften selbstverständlich auch.
Das Hygienekonzept der Leipziger Messe war lange bekannt, die Pandemieentwicklung kommt nicht überraschend, im Börsenverein – oder in anderen Foren – hätte debattiert werden können. Dass das nicht geschah, ist nur überraschend, wenn man die Einzelkämpfer (groß wie klein) nicht kennt. Zu befürchten ist also, dass die Leipziger Messe, dass der Austausch auf Bühnen, in Lesungen, im Kreis der Kolleg*innen, selbst denen nicht mehr wichtig ist, die eigentlich darauf angewiesen wären.
Hier geht es nicht um klein oder groß, nicht um schlechte oder gute Verlage, nicht um individuelle Entscheidungen. Es ist eine politische Frage: Was will die Buchbranche eigentlich? Wenn es nur noch um Kapitalinteressen und Zielgruppenmarketing geht, geht es nicht mehr um faire Wissenschaft, feine Literatur, die Menschen. Dann ist die „heilige Ware Buch“, wie Brecht sie nannte, nur noch ein Produkt. Wie Wurst. Wurstmessen braucht wirklich niemand.
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