Literatur: Und hinter der Scheibe die Schlei
Sie schreibt über Wirrungen und über Ausbrüche und ist selbst vor ein paar Jahren aus Hamburg in ein Dorf ohne Kaufmann und Bäcker gezogen. Die Autorin Mareike Krügel über unproduktive Phasen als Folge der Mutterschaft und den Neid in einer Autorenehe
„Bestimmt“, sagt Mareike Krügel. Bestimmt gebe es ein Lieblingsgedicht in ihrem Leben – „mir fällt jetzt nur keins ein“. Dieser Satz ist typisch für Mareike Krügel, die so schreibt wie sie spricht. Zwei Romane hat die gebürtige Kielerin veröffentlicht, „Die Tochter meines Vaters“ und „Bleib wo du bist“. Beide handeln von Außenseitern, von Ge- und Bezwungenen: Der eine von einem Psychiater mit Zwangsneurose, in dessen innere Achterbahn Krügel den Leser mit hinein nimmt – und wieder hinaus ins Reale. Im anderen Buch geht es um ein Mädchen, das, wie der Vater, Bestatterin werden soll, irgendwann ausbricht und Tarotkarten-Deuterin wird.
Grenzen und Ausbrüche
Mit dieser absurden Vita ist man beim Thema der Mareike Krügel: Begrenzungen und Ausbrüche treiben die 34-Jährige um. Was überrascht, wenn sie fröhlich schwätzend ins Zimmer kommt und behauptet, Autoren seien schweigsame Leute. „Mein Mann sagt immer, ich rede mich um Kopf und Kragen“, sagt sie und fängt an zu erzählen: davon, dass sie ein sehr häuslicher Mensch ist – abgesehen von den Ausbrüchen. Die ganze Kindheit hindurch habe sie im selben Haus gewohnt, sei an immer dieselben Urlaubsorte gefahren. Und habe, kaum zu Hause ausgezogen, ein Nomadenleben begonnen: acht Wohnungen in fünf Jahren, ehe sie in Hamburg blieb, vier Jahre am Stück. Inzwischen hat sie einen neuen Kokon: Ulsnis.
Ein 800-Einwohner-Dorf im Kreis Schleswig-Flensburg, kein Kaufmann und kein Bäcker. Dafür sieht man vom Fenster aus die Schlei. „Als vor sechs Jahren unser Sohn Ole geboren wurde, haben wir überlegt, wo wir es schon immer schön fanden“, sagt Krügel. „Wir“, das sind sie und ihr Mann Jan Christophersen, der 2009 mit dem preisgekrönten Roman „Schneetage“ über das deutsch-dänische Grenzgebiet debütierte. Groß und günstig sollte die Wohnung sein und nicht zu weit weg von den Großeltern. Deshalb Ulsnis.
Es ist schön dort auf dem Dorf, idyllisch jedenfalls, man hat Zeit und Ruhe und lernt außerdem andere Menschen kennen: „Bis dato hatte ich noch nie Kontakt zu Menschen, die kein Abitur haben“, sagt Krügel. „Ich bin sehr behütet aufgewachsen.“ Dann habe sie „bemerkt, dass es keinen Unterschied gibt“, sagt sie. Und lacht wieder. Allerdings seien die Leute anfangs recht scheu: „Wenn ich sage, ich schreibe, heißt es: Das ist ja schön – und dann stockt das Gespräch. Da wissen sie nicht, was sie mit mir reden sollen. Dabei finde ich deren Berufe mindestens so spannend wie meinen.“
Einen Beruf, von dem sie lange selbst nicht wusste, dass sie ihn wollte. „Eigentlich wollte ich Kinderbücher illustrieren.“ Später hat sie gesagt, sie wolle Pastorin werden. „In der Gemeinde, wo ich aufwuchs, hat der Pastor über Literatur und Philosophie gepredigt. Ich dachte, so könnte ich es auch machen: jede Woche einen Text herstellen und vortragen.“ Noch später hat sie bemerkt, dass sie dafür nicht gläubig genug war. Dass sie die Welt viel faszinierender findet, seit sie nicht mehr an einen Schöpfer glaubt, sondern an ein großes Zufallsgebilde, in dem sie ihren Platz finden kann.
Dass das der der Autorin sein würde, konnte sie aber lange nicht zugeben. „Es war gut, dass ich beim Literaturstudium in Leipzig noch mal vier Jahre lang testen konnte, ob das wirklich etwas für mich ist: Am Schreibtisch sitzen, einsam etwas schreiben und es später den Leuten zeigen.“
„Brauche Stabilität“
Das mit dem Zeigen ist bis heute schwierig. „Während ich an etwas arbeite, zeige es nicht mal meinem Mann“, sagt Krügel. Zwar habe sie im Studium gelernt, Feedback anzunehmen, „aber ich brauche eine gewisse innere Stabilität, um Kritik produktiv zu verarbeiten“. Und in so einer Autoren-Ehe, läuft da nicht stets der Konkurrenzgedanke mit? „Ja“, sagt Krügel, „mein Mann erzählt oft von seinen Plänen, und ich beneide ihn oft um seine Ideen. Wenn ich den Text dann lese, bin ich sehr überrascht: Er geht die Dinge aus einem Winkel an, den ich nicht wählen würde. Später merke ich, dass sich seine Themen gerade deshalb festkrallen: Weil er sie nicht plakativ angeht.“
Den Schluss zuerst
Mareike Krügel hält mit nichts hinterm Berg, tut auch nicht so, als hätte sie immer schon den ganzen Roman im Kopf. Zu Anfang kenne sie davon höchstens die grobe Linie, sagt sie – und den Schluss: „Den schreibe ich zuerst. Dann fange ich irgendwo in der Mitte an und schreibe mich langsam an das Thema heran.“
Aber der „flow“, das Fließen des Textes kommt nicht auf Befehl, und der regelmäßige Tagesablauf inklusive Schreibtisch-Zeiten hilft da auch nicht. Deshalb gibt es immer wieder drei, vier unproduktive Wochen. „Früher hat mich das nicht beunruhigt. Da war das Schreiben ein Abenteuer, und wann der Text fertig wurde, war egal.“ Seit sie Mutter ist, fühlt sie sich „stärker beobachtet. Ich sehe andere Leute mit ihren geregelten Arbeitszeiten und denke: Ich kann nicht drei Wochen lang nichts tun.“
Ein nicht vorhergesehenes Erwachsenwerden beobachte sie da an sich. „Der Schritt zum Muttersein war ein sehr großer“, sagt sie. Beängstigend, auch in Sachen Kreativität: Nach einem Tag mit Kind kam am Schreibtisch – nichts. „Die Kreativität war in das Erfinden von Kinderreimen geflossen.“
Und so wunderbar es sei, Familie zu haben – im Oktober wurde Tochter Tove geboren: Im Herbst 2011 bekam Krügel ein Stipendium des Prager Literaturhauses. Und siehe da: „Sobald ich allein war, ist alles wieder gesprudelt“, erzählt sie. „Seitdem weiß ich, dass ich das alles noch kann.“
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