Linksradikaler 1. Mai in Berlin: Revolution, wie immer

Revolutionäre 18-Uhr-Demo und Grundewald-Parade – die Protestklassiker gibt es auch in diesem Jahr. Doch wie groß ist ihre Mobiliserungskraft?

Demoteilnehmer mit Mund-Nasen-Schutz

Teilnehmer der Revolutionären 1. Mai-Demo 2021 Foto: imago/Müller-Stauffenberg

Berlin taz | „Es wäre das vollkommen falsche Zeichen, nicht auf die Straße zu gehen“, so der Anmelder der letztjährigen Revolutionären 1.-Mai-Demonstration. Der Altrevolutionär Martin mit österreichischem Akzent zeigt sich in einer Videodokumentation des Vorbereitungsbündnisses, die am Montag online ging, so kämpferisch, wie es seiner Rolle entspricht. Von der „Repression“ – die Polizei hatte den Aufzug gewaltsam aufgelöst – dürfe man sich nicht abschrecken lassen, die Probleme, die sie zuletzt auf die Straße getrieben hätten, bestünden alle fort. Also brauche es „mehr Widerstand, mehr Demonstrationen, mehr Aktionen“.

Schaut man auf das sich abzeichnende Protestgeschehen für den diesjährigen Tag der Arbeit, wird deutlich: Mehr wird es nicht geben, weniger aber auch nicht: Antikapitalistische Demo in Wedding und feministische FLINTA*-Demo am Vorabend; hedonistische Intervention samt Fahrradkorso in den Grunewald und 18-Uhr-Demo. Alle Klassiker der Linksradikalen sind wieder da.

Während der DGB nach der Pandemiepause ebenfalls zurück auf die Straße will und sich auch über einen linken, klassenkämpferischen Block freuen darf, wurde das bezirklich organisierte MyFest in Kreuzberg mit Blick auf das unsichere Infektionsgeschehen bereits im Januar abgesagt.

Die Revolutionäre Demo, die noch angemeldet werden soll, wird erneut versuchen, von Neukölln – Startpunkt soll um 18 Uhr der Hertzbergplatz sein – nach Kreuzberg zum Oranienplatz zu ziehen. Das Motto „Yallah Klassenkampf – No war but classwar“ verdeutlicht dabei, dass wie im vergangenen Jahr wieder ein Bündnis um die Migrantifa federführend ist und den ersten Block stellen wird, sowie die thematische Notwendigkeit, sich zum Krieg in der Ukraine zu positionieren und die sozialen Verhältnisse anzuprangern.

Polizei schweißt zusammen

Demo-Sprecherin und Migrantifa-Aktivistin Aicha Jamal betont im Gespräch mit der taz, dass man sich über die Strategie der Polizei nun „viel bewusster“ sei. 2021 war der Frontblock schon enteilt, während die Polizei hinten den autonomen Block abtrennte und auflöste. Die Polizei unternehme „Spaltungsversuche“, sagt Jamal. So sei den vielfach jungen migrantischen Ak­ti­vis­t:in­nen von Po­li­zis­t:in­nen gesagt worden, dass sie „die Guten seien“, während hinten der „böse schwarze Block“ laufe.

All das habe das Bündnis „enger zusammenwachsen“ lassen. Gespannt zeigt sich Jamal, ob die Polizei wieder mit Verweis auf den Infektionsschutz interveniere. „Für uns ist die Pandemie nicht vorbei. Wir werden dazu aufrufen, FFP2-Masken zu tragen.“

„Relativ schnell einig“ sei man sich in der Positionierung zum Ukrainekrieg gewesen. Im Aufruf heißt es: „Als revolutionäre Linke verurteilen wir den Angriffskrieg Russlands, dessen Ziel die Aufrechterhaltung von Russlands Stellung als imperialistische Großmacht ist.“ Gleichzeitig wird der Krieg als „Resultat der jahrzehntelangen Eskalationsspirale durch die Nato“ beschrieben. Der „antimilitaristische Ausdruck“ der Demo ziele darauf, sich „weder mit Russland noch mit der Nato zu solidarisieren“, sagt Jamal.

Bleibt die Frage, ob die Demo an ihren Mobilisierungserfolg des Vorjahres, als mit 20.000 Teil­neh­me­r:in­nen fast so viele wie im Rekordjahr 2014 kamen, anschließen kann. Von einer „Glaubwürdigkeitskrise“ der Linken angesichts eines gesellschaftlich bröckelnden antimilitaristischen Konsenses schreibt die Berliner Morgenpost. Auch habe die radikale Linke an Bedeutung verloren, weil Themen wie Mieten- und Klimakrise im Mainstream verhandelt würden. Dagegen spricht: Keines dieser Probleme ist gelöst, und die soziale Frage kommt mit Wucht zurück. „Angesichts steigender Lebensmittel- und Energiepreise werden wir immer ärmer“, sagt Jamal.

Noch wichtiger aber: Die Größe der Demo hängt kaum an konkreten Inhalten oder den Orgagruppen, sondern dem Level an Krisen und der Unzufriedenheit mit den Antworten des kapitalistischen Systems. Sie bleibt, das zeigen bereits die Aufrufe für verschiedene Blöcke von klassenkämpferisch bis anarchistisch, ein zentraler Anlaufpunkt für die linksradikale Szene, für marginalisierte Jugendliche und Schaulustige.

Ausflug ins Grüne

Etabliert mit zuletzt über 15.000 Teil­neh­me­r:in­nen hat sich auch die Demo in den als „Problembezirk“ ausgemachten Grunewald. Das Quartiersmanagement Grunewald der Hedonistischen Internationale plant wieder eine Fahrradsternfahrt. Drei Finger von Wedding, Ostkreuz und Neukölln sollen sich am Roten Rathaus vereinen und von dort bis zum Johannaplatz fahren, wo es auch eine stationäre Kundgebung gibt. Allein die Rückfahrt über die A100, deren weitere Verlängerung zu einem Großthema der sozialen Bewegungen der Stadt werden könnte, dürfte die Teilnehmerzahl hoch halten.

Laut Quartiersmanagement-Sprecherin Frauke Geldher geht es aber um mehr: „Klimakatastrophe, Krieg, Mietenwahnsinn – In Zeiten der existenziellen Krisen müssen selbst die davon profitierenden Vermögenden erkennen: Wir stehen an der Wegkreuzung – Umverteilung oder Barbarei!“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.