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Linksfraktion im BundestagSie sind neu, wollen viel und sind furchtbar nett

Die neuen Abgeordneten der Linken kommen aus den sozialen Bewegungen. Ist ihr freundlicher Stil nur eine Phase oder die Zukunft linker Politik?

Luke Hoß und Lea Reisner auf der Fraktionsebene im Reichstag Foto: Stefanie Loos

Berlin taz | Die Abgeordnete Lea Reisner, 36 Jahre alt, kommt am Montagmittag leicht abgekämpft in ihr Bundestagsbüro. Kein optimaler Wochenstart. Die Sommerpause ist vorbei. Die Haushaltswoche beginnt, das Hochamt des Parlamentsbetriebs. Sie habe nur drei Stunden geschlafen, sagt sie. Allerdings aus erfreulichen Gründen.

Ihre Partei, die Linke, hat bei den Kommunalwahlen in Köln am Sonntag 10,8 Prozent geholt – ihr bestes Ergebnis in NRW. Reisner wohnt in Köln-Kalk, einem Stadtteil mit vielen Migranten und hoher Arbeitslosigkeit. In Kalk ist die Linkspartei, wenn auch bei niedriger Wahlbeteiligung, mit 30 Prozent stärkste Kraft geworden. Eigentlich wollte Reisner am Sonntag um 20 Uhr nach Hause gehen. Daraus wurde dann nichts.

Wertschätzend ist offenbar das Zauberwort der neuen Harmoniekultur der Linken

Reisner ist eine von vielen Neuen der Linke-Fraktion im Bundestag. Die Aktivistin hat bei Sea-Watch und Reporter ohne Grenzen gearbeitet. Mit Parteipolitik hatte sie eher wenig am Hut, kannte den Betrieb aber ein wenig. Sie war mal ein Jahr Mitarbeiterin einer Linke-Bundestagsabgeordneten.

„Ich habe mich am Anfang nicht ganz so oft in den Gängen des Bundestags verlaufen“, sagt Reisner. Und sie kannte schon den Unterschied zwischen einem Entschließungsantrag und einem Änderungsantrag. Auf ihrem schwarzen, ausgewaschenen T-Shirt steht: „No one is free until everybody is free“ – ein Slogan der US-Bürgerrechtsbewegung.

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Lea Reisner, was war Ihre wichtigste Erfahrung in den letzten sechs Monaten im Parlament?

„Die Debatten in der Fraktion finden respektvoll und wertschätzend statt“, sagt sie. So klingen viele linke Neuparlamentarier. Es gebe zwar Stress­themen. Aber Flügel, Peergroups, die sich gegenseitig die Pest an den Hals wünschten – früher nicht ganz unbekannt in der Linksfraktion –, die gebe es nicht. Meinungen und Mehrheiten wechselten eher flüssig.

Fest vertäut mit dem Wahlkreis

Manches befindet sich noch in der Kategorie Zwischenlösung. Das Gespräch mit Luke Hoß, 24 Jahre alt, findet in einem schmucklosen Konferenzraum statt. Sein Büro ist etwas überfüllt, gerade sind eine neue Praktikantin und eine FSJlerin angekommen. Hoß, Jurastudent aus dem bayerischen Passau, war bis vor Kurzem der jüngste Abgeordnete im Bundestag und daher medial äußerst gefragt. Die linke Nachrückerin Lizzy Schubert ist jetzt die Jüngste.

Hoß, mit Britpop-Pony und in Lederschuhen, trägt es mit Fassung. Es sei doch gut, wenn mehr Jüngere im Parlament sind, sagt er. Hoß ist rasant die Karrerieleiter hochgepurzelt. Chef der Grünen Jugend in Passau, Eintritt in die Linke, Kreisvorsitzender, MdB. Es ging alles schnell. Vielleicht betont er deshalb, so wie viele neue linke Bundestagsabgeordnete, wie wichtig der Wahlkreis sei. Die solidarische Küche, die die Linke in Passau an jedem letzten Sonntag im Monat organisiert, hat er seit März 2025 kein einziges Mal verpasst. Bloß nicht abheben.

Auch Lea Reisner betont, dass sie ja nur hier sei, weil die Linkspartei in Köln „mich auf die Liste gesetzt hat“. Und: „Abgekoppelt in Berlin herumzuschwirren, ist nicht ideal für linke Politik.“ Sich fest mit Basis und Wahlkreis zu vertäuen, erscheint als Gegengift zu den Verlockungen der Hauptstadtblase. Luke Hoß hat seine üppige MdB-Diät von 12.000 Euro auf 2.500 begrenzt, exklusive Ausgaben, die er als Abgeordneter braucht, etwa eine Wohnung in Berlin.

Er fährt stoisch mit der S-Bahn nach Hause, statt den kostenlosen Fahrdienst des Bundestags zu ­nutzen. Die Tunnel im Regierungsviertel, die Bundestag und Jakob-Kaiser-Haus verbinden, erscheinen ihm als Sinnbild eines abgedichteten Systems, das den Kontakt mit dem Leben draußen meidet. Man müsse „nicht mal mehr vor die Tür gehen, um von Gebäude zu Gebäude zu laufen“. Berufspolitiker will er nicht werden, sondern Gewerkschaftsanwalt.

Lea Reisner fremdelt auch ein wenig mit den Gewohnheiten des Bundestags. Sie wohnt weit draußen und nutzt den Fahrdienst nur, wenn sie bis spätabends arbeitet und morgens wieder früh im Büro sein muss, „ganz selten“. Von Sea-Watch zum Fahrdienst. Das „fühlt sich sehr, sehr schräg an“, sagt sie, verwundert über sich selbst.

Die neuen Linken klingen selten laut. Auch wenn sie radikal für eine ganz andere Migrationspolitik, gegen Aufrüstung, für „Tax the Rich“ plädieren, bleiben sie eher sanft.

Auch bei Gaza und Israel, dem linken Triggerthema?

Das Meinungsspektrum in der Fraktion ist ziemlich weit – von Bodo ­Ramelow bis Ferat Koçak. Ramelow bezichtigte kürzlich in einem Interview eine ungenannte junge Genossin der Hamas-Sympathien, hat sich dafür aber in der Fraktion entschuldigt. Bei Koçaks Neuköllner Kreisverband tauchte zu einem Sommerfest eine Miniorganisation mit Hamas-Verbindung auf.

Das empörte jene Linken, die bei radikaler Israelkritik Antisemitismus wittern. Für den 27. September ruft die Linksfraktion zu einer Gaza­solidaritätsdemonstration auf. Schafft die neue Fraktion das, ohne sich zu zerlegen?

„Wertschätzend“ als Zauberwort

Cansu Özdemir, 37, ist neu im Bundestag, aber schon lange im Geschäft. 14 Jahre lang saß sie in der Hamburgischen Bürgerschaft, zehn Jahre als linke Fraktionschefin. Özdemir lobt den Gaza-Antrag der Linksfraktion im Bundestag und sieht eigentlich „keine Kontroverse“. Die Linkspartei plädiere für das „Existenzrecht Israels und dafür, endlich Konsequenzen aus Netanjahus schweren Menschenrechtsverletzungen zu ziehen“.

Die Fraktion stehe zu Völkerrecht und Menschenrechten, auch in Nahost. Die Debatten in der Fraktion seien auch zu Gaza wertschätzend, sagt Özdemir. Wertschätzend ist offenbar das Zauberwort der neuen Harmoniekultur der Linken.

Als im Sommer bei der „United4 Gaza“-Demo in Berlin am Rand ein paar IS-Fahnen wehten, kritisierte Özdemir, die kurdische Wurzeln hat, das in einem Face­book-Post scharf. Von der Demonstration der Linkspartei am 27. September will man Iranfans oder IS-Anhänger ausschließen. Distanz zu Islamisten – das ist, versichern alle, Konsens in der Linksfraktion.

Cansu Özdemir am Re­dne­r*in­nen­pult des Bundestags Foto: dts Nachrichtenagentur/imago

Es klopft. Die Tür schwingt auf. Der Kühlschrank für das Büro von Cansu Özdemir wird geliefert.

Lea Reisner, die wie Cansu Özdemir im Auswärtigen Ausschuss sitzt, versichert, dass der Krieg in Gaza linke Jü­d*in­nen aus ihrem Umfeld „in eine schwere Identitätskrise gestürzt hat, weil Israel als Hoffnung verschwindet“. Zugleich sei die Linke manchen, die solidarisch mit Palästina sind, „nicht laut und schnell genug“. Die Ansichten der Neuen zu Nahost klingen eher abwägend als auftrumpfend. Die Neigung anderer Linker, sich eine Israel- oder Palästinafahne auf den Schreibtisch zu stellen, haben sie eher nicht.

Als Arbeiter ins Parlament

In Cem Inces Büro wird gerade ein Plakat eingerahmt, „Nein zum Krieg“ steht darauf. Ince kommt aus dem niedersächsischen Salzgitter, wo Fahrzeug- und Stahlwerke dem Strukturwandel entgegenbangen. Abrüstung ist eines von Inces Herzensthemen. Dass die kriselnde Autoindustrie demnächst Panzer baut, hält Ince, 31 Jahre alt, für eine Sackgasse.

Seit Langem fließe in Deutschland zu viel Geld in die Rüstungsindustrie: „Diese Militarisierung muss man stoppen.“ Bis Anfang Mai hat Ince noch bei VW gearbeitet. In den Gremien der IG Metall in Salzgitter ist der gelernte Elektroniker weiter aktiv, inklusive Sitzungen. „In Salzgitter fühle ich mich noch immer wohler als in Berlin“, sagt er.

Mehr als 80 Prozent der Abgeordneten haben studiert, oft Jura. Die meisten stammen aus gut situierten Elternhäusern, Ince nicht. Sein Großvater kam als Gastarbeiter, sein Vater ist Betriebsrat bei VW. Ince, Kurzhaarschnitt, T-Shirt, Kettchen am Handgelenk, glaubt, dass seine Stimme und die seiner Kol­le­g*in­nen im Parlament gehört werden muss. Und dass – kühne These – nur die Linkspartei von der Transformation verunsicherte Arbeiter in Salzgitter davon abhalten könne, zur AfD zu kippen.

Cem Ince im Pleanarsaal des Bundestags Foto: dts Nachrichtenagentur/imago

„Wir reden von Klassenkampf und ungerechter Verteilung, und wir hören zu. Das macht uns bei arbeitenden Menschen glaubwürdig“, sagt Ince. Eine Koalition mit SPD und Grünen wagen? Das brauche zu viele Kompromisse, sagt Ince. „Dann lieber gerade bleiben.“ Sogar das klingt softer als früher.

Die Neuen achten auf Distanz zum Betrieb. Für Leute, die aus den sozialen Bewegungen kommen, ist Parteipolitik nicht unbedingt was Gutes. Das Wort Berufspolitiker klingt aus manchem Mund wie Kopfschmerzen, das Wort Fahrdienst wie Verrat. Aber sie wollen Konkretes erreichen.

Özdemir vermisst den in Hamburg selbstverständlichen Austausch mit Kol­le­g*in­nen von SPD, Grünen, CDU, der nicht nur hilfreich ist, um Abschiebungen zu verhindern. Reisner will das Leben der Leute vor Ort konkret verbessern, Hoß arbeitet im Rechtsausschuss an der Abschaffung von Freiheitsstrafen für das Fahren ohne Fahrschein.

Warum sind Neu-Linke eigentlich so nett? Ist die demonstrative Entspanntheit ein Phänomen des Anfangs, etwas, das verdampfen wird, wenn die Routinen etabliert sind? Auch Machtgruppen brauchen ja Zeit, um sich zu formieren und auszuhärten.

Den Zwang, harte Entscheidungen zu treffen, Si­tua­tionen, in denen sich nicht alles rückstandsfrei in wertschätzenden Debatten auflösen ließ, gab es in der Linksfraktion noch nicht. Und: Die jungen Abgeordneten sind nur in den Bundestag gekommen, weil Tausende Neumitglieder für die Linke Wahlkampf gemacht haben. Machtkämpfe in der Fraktion finden die eher abturnend.

Vielleicht spiegelt sich im freundlichen linken Mikroklima auch eine Verschiebung der Großwetterlage. Der Stimmenanteil der AfD steigt, in Sachsen-Anhalt kam sie in einer Umfrage auf 39 Prozent. Auch manche Linke-Abgeordnete zweifeln daran, dass Mietwucher-App, Heizkostenrechner und Anträge im Bundestag als Antwort auf den AfD-Höhenflug ausreichen. Vielleicht ist die Betonung des Netten der neue linke Ton in Zeiten, in denen sich draußen ein Orkan zusammen braut.

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