Linksextremismus in Niedersachsen: Ab wann ist links extrem?

Niedersachsens Justizministerium hat eine Fachtagung zum Linksextremismus gemacht. Schon bei der Definition des Phänomens haperte es.

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Antifa: Im Blick des niedersächsischen Verfassungsschutzes Foto: Jannis Große/Imago

HANNOVER taz | Für die niedersächsische CDU ist es ein lang gehegtes Herzensthema: Endlich nicht immer nur über Rechtsextremismus und radikale Islamisten zu reden, sondern auch einmal über gefährliche Linksextreme. Das CDU-geführte Justizministerium hat mit dem Landespräventionsrat Niedersachsen zum Fachtag „Praxiskonzepte zur Prävention des Linksextremismus“ eingeladen. Es kamen: Polizisten, Juristen und pädagogische Fachberater, die an ganz verschieden Stellen mit dem Thema befasst sind.

Auf so eine groß angelegte Befassung mit dem Thema haben die Konservativen in der Regierungskoalition immer wieder gedrängt. Über den Landespräventionsrat und das Landesprogramm für Demokratie und Menschenrechte wurden deshalb Fördergelder ausgelobt: für eine wissenschaftliche Analyse und die Entwicklung von Präventionsprojekten.

Schon an der Ausschreibung gab es Kritik, viele zweifelten am akuten Bedarf – immerhin zeigen selbst die offiziellen Zahlen der Polizeistatistik, genauso wie die Berichte des Verfassungsschutzes, dass die Gefahr von links eher rückläufig ist oder zumindest auf niedrigem Niveau verharrt, während die Coronakrise den Sicherheitsbehörden reichlich neue Kundschaft aus ganz anderen Richtungen beschert hat.

Folgerichtig bewarben sich kaum Institutionen und Personen auf die Ausschreibung, wie Andreas Schwegel vom niedersächsischen Justizministerium auf der Fachtagung noch einmal beklagte. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) erbarmte sich schließlich und setzte eine Mitarbeiterin auf das Thema an.

Begriffliche Schwierigkeiten

Laura Treskow erarbeitete die Analyse zusammen mit Dirk Baier, einem Professor der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Außerdem fanden sich zwei Stellen, die Präventionsprojekte entwickelten. Sie wurden von Carolin Ullrich von der Beratungsstelle Phäno in Berlin und Monika Oberle von der Uni Göttingen vorgestellt.

Die Schwierigkeiten, das betonten die drei Expertinnen unisono, beginnen allerdings schon damit, dass man nicht einmal so richtig definieren kann, was das denn nun eigentlich ist: „linksextrem“. Es gibt in der Wissenschaft eine lange Debatte darüber, Polizei und Verfassungsschutz verstehen darunter noch einmal etwas anderes. Wo hört die berechtigte Kritik auf und wo fängt der Extremismus an?

Udo Baron vom Verfassungsschutz wirkt fast frustriert. Das Problem werde geleugnet

Und, so stellt die Studie von Treskow und Baier fest, es hapert nicht nur an den Grundlagen, sondern auch beim Bedarf. Sie haben sowohl bei Experten als auch bei bestehenden Präventionsprojekten aus dem Bereich nachgefragt: Ein dringendes Bedürfnis von Multiplikatoren wie Lehrern oder Sozialarbeitern, sich im Bereich Linksextremismus fortbilden zu lassen, sei nicht feststellbar.

Auch die Projekte, die nun auf diesem Fachtag dem Publikum vorgestellt werden, haben sich also andere Stoßrichtungen gesucht. Wenn man das Thema Linksextremismus nicht direkt bearbeiten kann – auch weil man schlicht nicht genug über die Szene weiß, die sich dem Dialog mit Institutionen in der Regel verweigert – dann muss man eben bei der Demokratiebildung ansetzen. Wer verstanden hat, wie toll Demokratie ist, so die Logik, geht nachher nicht zur Antifa.

Kinder resilient gegen die Verlockungen machen

Die Bildungs- und Beratungsstelle Phäno, die zur SPI-Stiftung in Berlin gehört, hat sich dabei der Nachfrage angepasst: Mit Pädagogen bearbeitet sie in Workshops vor allem Themen wie Radikalisierungsprozesse bei Jugendlichen, Fake News und Propaganda in sozialen Medien sowie Funktionsweisen von Verschwörungserzählungen – das sind Dinge, die „phänomenübergreifend“ bei Extremisten aller politischen Richtungen und Religionen ähnlich funktionieren.

Die Engführung auf das Thema Linksradikalismus leistet sich die Beratungsstelle nur noch bei Workshops für niedersächsische Polizeibeamte. Mit denen sollen linksextreme Werdegänge, Verhaltensweisen und Strategien aus zivilgesellschaftlicher Perspektive analysiert werden, um dann polizeilich damit besser umgehen zu können, sagt Ullrich.

Die Göttinger Professorin Oberle legt den Fokus dagegen auf Politiklehrer. Die müssten zur Radikalisierungsprävention befähigt werden, Kinder resilient machen gegen die Verlockungen des Extremismus.

Bei so viel Aufweichungen des Themas mit wissenschaftlich fundiertem Wenn und Aber wirkt Udo Baron vom niedersächsischen Verfassungsschutz auf dem Diskussionspodium am Schluss fast frustriert. „Der Linksextremismus wird als Problem geleugnet und die Beschäftigung damit ist auch nicht gerade karrierefördernd“, wettert er.

Dabei sei doch erkennbar, dass es einen Strategiewandel innerhalb der linksextremen Szene gebe, hin zu konspirativ agierenden Kleingruppen, die sich radikalisierten und gezielte Gewalttaten verübten. Das betreffe nicht nur die medial groß aufbereiteten Fälle wie die Gruppe um Lina E. in Leipzig oder den Übergriff auf Coronaleugner bei den Cannstatter Wasen in Stuttgart. Auch in Hannover habe es kürzlich einen Fall gegeben, in dem ein mutmaßlicher Rechtsextremist von Vermummten verprügelt wurde.

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