Linkes Hausprojekt in Berlin: Prozess um Liebig34 vertagt
Der Richter verwende keine geschlechtergerechte Sprache, deshalb lehnt ihn der Vereins-Anwahlt als befangen ab. Ein Urteil könnte am 30. April fallen.
Ein Großaufgebot der Polizei hatte die Turmstraße vor dem Gericht abgesperrt. Gerechnet wurde mit viel Randale, nachdem es im November zu Störungen beim Prozess gekommen war: Zwei Frauen mit nacktem Oberkörper waren damals auf den Eigentümervertreter zugesprungen. Sie wurden unter „Liebig bleibt“-Rufen anderer AktivistInnen über Stühle hinaus aus dem Saal gezerrt, alle ZuhörerInnen mussten den Saal verlassen.
Diesmal gab es im Vorfeld der aktuellen Verhandlung bereits Eskalationen, wie Gerichtssprecherin Lisa Jani sagte. Es habe einen Anschlag auf das Auto von Padovicz’ Anwalt in der Nacht zum Donnerstag gegeben. Die Scheiben seien eingeschlagen worden, auf dem Kindersitz befand sich Buttersäure, und die Motorhaube sei in pinkfarbenen Buchstaben mit „Liebig 34 stays“ besprüht worden.
Einige Tage zuvor waren die Geschäftsräume des Anwalts angegriffen worden. Auch die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg wurde am Mittwochabend unter Ausschuss der Öffentlichkeit nach einer Stunde abgebrochen – aus Angst vor Randale einer angekündigten Pro-Liebig34-Demonstration. Bekennerschreiben zu beiden Angriffen wurden auf dem linken Szeneportal Indymedia veröffentlicht.
Im Hochsicherheitssaal sitzen an diesem Donnerstag nur rund zehn Personen im Publikum, was auch damit zusammenhängt, dass umfangreiche Kontrollen beim Einlass gemacht werden. „Ich geh doch da nicht rein“, sagte eine Teilnehmerin der Liebig34-Kundgebung vor dem Gericht zur taz; bei den Kontrollen würden Personalien kopiert. „Wir sind hier draußen laut“, sagte sie. Ein Transporter mit Musikboxen und „Ihr habt die Stadt verkauft“-Banner stehen hinter ihr.
Der Richter begrüßt zum Prozessbeginn zuerst die ZuschauerInnen. Er würde niemandem misstrauen, müsse aber darauf hinweisen, dass bei einer Störung das Publikum erneut den Saal verlassen müsse. Von außen dröhnt laute Musik der Demonstration. Der Anwalt des Liebig34-Vereins, Moritz Heusinger, reicht einen Befangenheitsantrag ein.
Der Grund für das Misstrauen in den Richter: Er habe in den Schriftsätzen nur das generische Maskulin benutzt. Es handele sich bei den Beklagten aber um einen Verein, an dem cis-Männer erkennbar nicht teilnehmen dürften. „Diese altmodische Sprache und das Verwenden der maskulinen Formen verletzen Gleichberechtigungsrechte“, so Heusinger. Und greife damit auch den Kern des Vereins an, der für feministische und queere Menschen stehe.
Sprecherin der Liebig
Heusinger nimmt daraufhin im Publikum Platz. Die Güteverhandlung ist gescheitert, die Gegenseite reicht einen Versäumnisantrag ein. Obwohl die insgesamt drei zuständigen Richter die Verhandlung fortführen wollen, kommt es nach kurzer Beratung doch zu einer Vertagung des Prozesses. Ob der Richter befangen sei, muss nun die Kammer entscheiden.
Am 30. April geht es weiter, dann könnte auch ein Urteil fallen – einen Tag vor dem 1. Mai, an dem jedes Jahr linke Großdemos inklusive der sogenannten Revolutionären 1. Mai-Demo stattfinden.
Draußen verkündet eine Demo-Teilnehmerin per Mikro die Vertagung. Die Menge jubelt, einige fallen sich in die Arme. Aus den Boxen dröhnt „Gangster’s Paradise“. Kurz darauf verlesen zwei Sprecherinnen der Liebig34 eine Erklärung: Berlin werde ausverkauft unter dem rot-rot-grünen Senat. Die Liebig34 werde permanent bedroht und sei kein „safe space“ mehr. „Wir als Liebig34 haben nichts mehr zu verlieren und werden unser Haus bis zuletzt verteidigen.“
Ob es im April zu einer Räumung kommen könnte, ist unklar. „Auf Zeit spielen wir nicht“, sagte Anwalt Heusinger. Gegen ein Versäumnisurteil würde Einspruch eingelegt werden.
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