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Linker Zwist über Euro-Rettung„An die Wand gefahren“

Die Frage, ob der Euro zu retten ist, spaltet die Linke. Nun werfen sich der Grüne Giegold, die Linke Wagenknecht und der Ökonom Flassbeck Ahnungslosigkeit vor.

Einigkeit besteht nur in der Frage, dass das Schlimmste erst noch kommt. Bild: dpa

BERLIN taz | Wie weiter mit dem Euro? Diese Frage entzweit linke Politiker und Wissenschaftler. Der Streit schwelt schon länger, aber seit etwa einer Woche ist er offen ausgebrochen.

Den Anfang machte der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold, der auf Zeit.de eine Frontalattacke gegen die linke Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht platzierte: Sie würde „den Knecht der AfD“ spielen und „rechtspopulistischen Euro-Totengräbern“ hinterherlaufen.

Die Retourkutsche ließ nicht lange auf sich warten – kam aber nicht von Wagenknecht, sondern von Heiner Flassbeck, einst Chefökonom der UN-Organisation Unctad und jetzt Betreiber eines Blogs, der in linken Kreisen breit rezipiert wird. Am Montag ließ Flassbeck dort wissen, Giegold habe ein „schlimmes Stück“ geschrieben und würde die „erhebliche Mitschuld“ leugnen, die die Grünen an der Eurokrise hätten.

taz-Lab

Auf dem taz-Lab am 12. April werden Sven Giegold und Sahra Wagenknecht miteinander diskutieren. Dritter Gast auf dem Podium ist Finanzexperte Martin Hellwig.

Um Flassbeck kurz zusammenzufassen: Seit der Euroeinführung betreibt Deutschland Lohndumping, indem es seine Reallöhne senkt – was nun dazu führt, dass die anderen Euroländer nicht mehr mit Deutschland konkurrieren können. Dieses fatale Lohndumping begann aber genau unter Rot-Grün, etwa mit der Agenda 2010 und den Hartz-Reformen. Flassbeck über Giegold: „Er hat all das nicht verstanden oder will es einfach nicht verstehen.“

„Popanz aufgebaut“

Giegold findet diese Kritik ungerecht: „Flassbeck baut einen Popanz auf.“ Er habe das deutsche Lohndumping angesprochen, „aber das war nicht das Hauptthema meines Textes“. Giegold wollte den „linken Fehler der Renationalisierung“ anprangern. Denn Wagenknecht und Flassbeck plädieren dafür, dass die Krisenländer den Euro verlassen, wenn sich die Politik in Brüssel und in Deutschland nicht bald radikal ändert.

Dieses „unbedachte Gerede“ von einem Euroausstieg hält Giegold für verheerend: „Wer investiert denn noch in Griechenland, wenn er mit den unkalkulierbaren Risiken einer Währungsumstellung von Euro auf Drachme rechnen muss?“

Auch bezweifelt Giegold, dass es den Krisenländern ohne Euro besser ginge, denn die eigene Währung würde stark abgewertet, so dass sich Importe, etwa von Öl, extrem verteuerten: „Nur noch Besserverdienende und Vermögende könnten ihr Haus heizen.“ Wagenknecht und Flassbeck leugnen gar nicht, dass es für die Krisenländer eine extreme Härte bedeuten würde, den Euro zu verlassen. Aber sie sehen keine Alternative, wenn Deutschland bei seinem Lohndumping bleibt. Die Krisenländer würden „an die Wand gefahren“.

Das Kapital haut ab

Wagenknecht und Flassbeck glauben, dass der Euroaustritt einzelner Krisenländer beherrschbar wäre – wenn man Kapitalverkehrskontrollen einführte. Giegold hält diese Hoffnung für abwegig: Es würde eine „Kapitalflucht unvorstellbaren Ausmaßes“ einsetzen. „Da würden auch die Kapitalverkehrskontrollen von Frau Wagenknecht nicht helfen. Denn bis diese greifen würden, gäbe es längst kein Kapital in den Krisenländern mehr, das sich kontrollieren ließe.“

Giegold plädiert dafür, die Krisenländer zu entschulden, indem man die Steuerflucht bekämpft. „Allein in Europa gehen jährlich 1.000 Milliarden Euro verloren, weil Steuern hinterzogen werden.“ Auch Flassbeck ist für höhere Steuern. Nur bleibt er dabei: Deutschlands Lohndumping ist das größte Problem, weil es nicht nur die Krisenländer aus dem Euro drängt – sondern auch Frankreich.

Bei allem Streit gibt es aber eine Gemeinsamkeit zwischen Giegold, Flassbeck und Wagenknecht: Sie sind alarmiert oder gar verzweifelt. Die meisten Deutschen glauben, die Eurokrise sei unter Kontrolle, doch diese drei fürchten, dass das Schlimmste noch kommt.

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19 Kommentare

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  • Wenn a l l e mit ihren Argumenten gegen alle anderen recht haben , ist das ein sicheres Zeichen dafür , dass der Karren tief im Dreck steckt .

    Der Karren aber ist das Kapitalverwertungssystem selbst . Wäre das für sein Funktionieren notwendige Wachstum noch möglich bzw. vorhanden , gäbe es die hohe Arbeitslosigkeit nicht und damit keine Euro- und Schuldenkrise .

  • S
    Serkan

    Sie sind ja optimistisch!

  • EM
    Emil Müller

    Eigentlich erstaunlich, dass von allen Seiten bei der Frage, ob der Euro gerettet werden kann und/oder soll, man fast nie den Vorschlag hört, dass eine ziemlich sofort wirkende Maßnahme die Einführung von Eurobonds ist, weil damit festgeschrieben wird, dass ein Euro in Italien gleich einem Euro in Deutschland ist. Damit entzieht man jeder Spekulation gegen einzelne Euroländer (auch die Firmen in den jeweiligen Ländern sind ja betroffen)die Grundlage. Sicher, für Deutschland ist das vielleicht etwas teurer, aber erheblich billiger als ein Scheitern des Euro. Erstaunlich ist diese nicht stattfindende Diskussion über Eurobonds u.a. auch deshalb, weil ja alle Parteien ernsthaft gegen Spekulation zu kämpfen behaupten. Und wenn Gesetze und vertragliche Regelungen das bislang nicht zulassen, dann kann man diesen Zustand ja sicher einstimmig, mit Zustimmung aller Parteien und Beteiligten ändern. Oder sollte es tatsächlich festgefügte Bindungen an Spekulanten geben, deren gehorsame Diener die Politiker sind?

    • AD
      Aus der Sackgasse
      @Emil Müller:

      Ja, Eurobonds sind eine gute, simple Maßnahme, um schnell eine bessere Situation zu erreichen.

  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    "Die meisten Deutschen glauben, die Eurokrise sei unter Kontrolle, doch diese drei fürchten, dass das Schlimmste noch kommt." - Ich würde sagen, die drei sind alles andere als Ahnungslos.

  • Der Grund für einen Euroaustritt einzelner Staaten exsistiert nicht mehr. Die Länder sind von Ihren Preisniveaus konkurrenzfähig. Alle PIIGS-Staaten haben ein Leistungsbilanzüberschuss.

     

    Alle Ökonomen und Politiker die das nicht realisieren - egal ob eher im "Linkspartei-Dunstkreis" oder "AfD-Dunstkreis" - haben vor 2 Jahren aufgehört Statistiken zu lesen, oder wollen aus Rechthaberei ihre Analyse nicht der Realität anpassen.

     

    Und auch der Einwurf das die interne Abwertung dieser Länder mit hohen sozialen Kosten erfolgte trägt nicht - denn genau die gleichen Effekte hätte bei einem Euro-Austritt gehabt.

    • G
      Guest
      @Tim Leuther:

      Man kann auf zwei Arten die Leistungsbilanz verbessern. Importe runter oder Exporte rauf. Die Importe wurden massiv gesenkt, durch die brutale Austeritätspolitik (die Bürger haben schlicht kein Geld für Importgüter). Die Exporte sind ebenfalls gestiegen (im Rahmen der sich verbessernden Weltkonjunktur, nicht weil die Preise real gesunken sind). ABER, die Exporte sind deutlich langsamer gestiegen als in vergleichbaren nicht EURO-Staaten wie in der Türkei, Litauen, Lettland, Polen ... und erst recht in Deutschland oder den Niederlanden. Der Abstand wird weiterhin größer. Im übrigen, auch die Arbeislosenquoten steigen weiterhin.

    • HB
      Harald B.
      @Tim Leuther:

      Absoluter Unsinn: die Verschuldungen sind gestiegen, weil Draghi über die EZB rechtswidrig Länderanleihen kauft.

      Ich denke, wer ehrlich und klug ist, weiß, dass der Euro ein Fehler war und in der jetzigen Form nicht zu retten ist. Da halte ich es mit Frau Wagenkencht, sicher eine der klügsten Personen, die wir in der Politik haben.

  • G
    General

    Was interessiert der Euro? Millionen Tonnen Senfgasbomben liegen weltweit auf dem Meeresgrund. Nach 70ig Jahren beginnen die ersten davon sich langsam aufzulösen. Was glauben Sie werden die Konsequenzen für den Euro sein?

  • RW
    Rainer Winters

    Der Euro hat keine Zukunft. Ein Zeitplan als Erklärung:

     

    Mai 2014: EU Wahlen finden statt wie immer. UKIP und AFD gewinnen je >15%.

     

    Juni 2014: Geheime Gespräche für Freihandelsabkommen mit USA starten - strategisch klug nach den Wahlen. Würden jetzt Details bekannt, würde niemand FÜR Europa stimmen.

     

    August 2014: Jetzt wird klar, wie die EU-Kommission die Menschen hinters Licht geführt hat. Das Freihandelsabkommen stellt sich als Ausverkauf europäischer Werte dar.

     

    Die Anti-Europa-Stimmung wächst.

     

    September 2014: Die Schotten separieren sich vom Vereinigten Königreich.

     

    Oktober 2014: Nach einem schwarzen Freitag geht Griechenland und noch ein weiteres Land pleite. Sie werden zum Austritt gezwungen.

     

    November 2014: Großbritannien kündigt Austritt an. Andere Länder folgen.

     

    Dezember 2014: Es wird das letzte Weihnachten mit einem Euro.

    • K
      Kaboom
      @Rainer Winters:

      Ich führe das mal fort:

      Dezember 2015: Deutschland hat nach der Wiedereinführung der DM und ihrer Aufwertung um 50% gegenüber dem Euro 10 Millionen Arbeitslose. Die Neuverschuldung beträgt wegen der erhöhten Kosten für die Arbeitslosen + der erhöhten Zinsen + der direkten Kosten der Wiedereinführung der DM 400 Mrd. DM

    • @Rainer Winters:

      Das der Euro keine Zukunft hat, sagt man seit 5 Jahren. Alles Quatsch. Der Euro ist die einzige große frei handelbare Währung mit einem Leistungsbilanzüberschuss im Rücken. Die nächstkleinere wäre in der Größenordnung der schwedischen Krone oder ähnliches.

    • N
      Nahab
      @Rainer Winters:

      ...das nenne ich doch mal eine interessante Prognose! Es gibt doch noch sinnvolle Leserkommentare bei der TAZ :-)

    • AD
      Aus der Sackgasse
      @Rainer Winters:

      Und dann wird wieder alles gut? Ich denke nicht, denn nicht der Euro ist das Hauptproblem. Er verschlimmert die Situation sehr. Aber nach Euro-Aus ginge es weiter mit der Krise ohne eine andere Politik.

       

      Dagegen müsste gegen Lohndumping, gegen Massenarbeitslosigkeit, gegen fehlende Investitionen, gegen "Steuerflucht" und zu niedrige Steuern vorgegangen werden! Eine Abschaffung der "Schuldenbremse"/des Fiskalpaktes und ein Schuldenschnitt sowie ein Wirtschaftswiederaufbauprogramm für die süd- und osteuropäischen Länder, besonders Griechenland, sind notwendig!

  • G
    Gast

    Bislang hat sich die "Rettungspolitik" ja lediglich darum gekümmert, die Interessen der Gläubiger zu bedienen, die sich in den Krisenländern verzockt haben. Den Schuldnern hat man Austerität verordnet, aber nicht erklärt, wie sie ihre Wirtschaft wieder flott kriegen sollen, wenn sie gegen das deutsche Lohndumping gar nicht ankommen kann. Die gemachten Vorschläge wären immerhin ein Ende mit Schrecken und nicht der Schrecken ohne Ende, der zur Zeit totgeschwiegen wird, um das Stimmvieh vor den anstehenden Wahlen in trügerischer Sicherheit zu wiegen.

  • H
    hhntz

    Kapitalverkehrskontrollen und Interventionen der Zentralbanken. Denn die Währungen dürfen nicht zu stark abwerten. Was man übrigens hier in der deutschen Presse ÜBERHAUPT nicht rezipiert hat: Es gibt eine Studie, die anhand verschiedener Modellrechnungen Szenarien der Euro-Auflösung durchgerechnet hat http://russeurope.hypotheses.org/2016. Wirklich schlimmm wird es nur für Deutschland. Denn zwar werten die Länder des Südens ab, doch sie werten vor allem gegenüber dem europ. Norden, insb Dland ab, erheblich weniger gegenüber dem Dollar, in dem Energie u Rohstoffe nun mal bezahlt werden. Deutschland müsste durch Interventionen der Zentralbank die Binnenwirtschaft stabilisieren.

  • Die zentralen Probleme haben sie alle drei nicht verstanden:

    - Erstens die Giralgeldschöpfung durch die Geschäftsbanken, die immer an betriebswirtschaftlichen Kriterien orientiert, also prozyklisch und zugunsten der starken Player geschieht. Und dabei erstens das Erpressungspotenzial der großen Banken und zweitens die Verschuldung der öffentlichen Hand und/oder der Nichtbanken (Unternehmen oder/und Privatpersonen) erzeugt und verstärkt.

    - Zweitens die dadurch sowie durch die allgemeine Entwicklung in auf Konkurrenz beruhenden Systemen - sog. "Marktwirtschaft" - sowie auch durch Korruption vorhandene und weiter zunehmende Vermögenskonzentration. Gleichzeitig Prekarisierung weiter Teile der (europäischen) Bevölkerung, was diese wiederum als eigenständige Wirtschaftsteilnehmer aus dem Spiel wirft - sowohl als Konsumenten (Nachfrageeinbruch) als auch als Anbieter von Arbeitskraft (Lohndumping).

    (- Drittens noch die fehlgeleiteten Investitionen in Großprojekte und technologisch überkommene und ökologisch abwegige Verkehrs- und Energie-Infrastruktur. Das prangern die Leute aber immerhin gelegentlich noch an und bringen in Einzelfällen sogar Verbesserungsvorschläge.)

     

    Die Lösung ist leider so einfach, dass die Mitglieder unserer politischen Klasse sie für unter ihrer Würde erachten:

    - Geldschöpfung in Bürgerhand (ungefähr so www.monetative.de - am besten allerdings gleich per Volksentscheid).

    - Bedingungsloses Grundeinkommen europaweit (http://politik-werkstatt.de/EU2009-deutsch.htm)

    • L
      Lösung
      @Eric Manneschmidt:

      Oder man lässt sich nicht von Banken, Vermögenden erpressen, denn diese sind in Wirklichkeit abhängig vom Staat (Bankenrettung) und natürlich von der arbeitenden Klasse (Lohnverzicht, Kurzarbeit, Arbeitszeitverkürzung/Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich in Krisenzeiten).

       

      Daher politischer und sozialer Kampf für bessere, menschenwürdige Lebensbedingungen und für die Verwirklichung einer signifikanten, deutschland- oder europaweiten Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohn- und Personalausgleich!

    • Z
      zeitungsleser
      @Eric Manneschmidt:

      Genau diese von dir bezeichneten

      "zentralen Probleme" werden von jedem der Dreien schon megalange thematisiert. Was soll also deine so pompöse Nonsenskritik ausgerechnet an dieser Thematik??