Linker Franz Pfemfert: Zum Glück zufällig Fotograf
Bekannt ist Franz Pfemfert als linker Aktivist und Publizist der Weimarer Republik. Ein neues Buch zeigt: Als Fotograf porträtierte er sein Umfeld.
Meret Oppenheim war 24 Jahre alt. Die Rückseite ihres wunderschönen schwarz-weißen Porträts informierte über Ort und Jahr der Aufnahme: Paris, „Photo Dorit“, 1937. Sowie über den Fotografen: Franz Pfemfert. Zu ihm notierte die später berühmte Schweizer Künstlerin: „Er kam mit Frau als Emigrant aus Berlin. War Redakteur von Die Aktion. Sie waren sehr lieb zu mir. Ich arbeitete dort 2–3 Monate als ‚Empfangsfräulein‘, um etwas zu verdienen. Ging dann endgültig nach Basel.“
Mit großem Erstaunen und Interesse werden selbst ausgewiesene Kenner der literarisch-politischen Szene vor dem Ersten Weltkrieg und der Weimarer Republik nicht nur dieses Foto betrachten. Wahrgenommen wurde Franz Pfemfert (1879–1954) bislang nämlich hauptsächlich als politischer Aktivist, als Herausgeber und Verleger der Zeitschrift Die Aktion. Obwohl er, wie der Frankfurter Literaturwissenschaftler Eckhardt Köhn feststellt, „von 1927 bis 1954, also über die Hälfte seines produktiven Lebens, als professioneller Porträtfotograf gearbeitet hat“.
Auch wenn kein Nachlass existiert – einzelne seiner Porträts wurden für Buchumschläge von Werken des Dichters Gottfried Benn, des Schriftstellers und Weggefährten Oskar Kanehl, des Philosophen Karl Korsch oder der Architektin Margarete Schütte-Lihotzky genutzt –, hat sich Köhn mit diesen wenigen fotografischen Belegen nicht begnügt.
Spurensuche bis ins Exil
Köhn hat sich im fünften Band seiner Reihe „Fotofalle“ zu ungeklärten Fällen in der deutschen Fotogeschichte des 20. Jahrhunderts Pfemfert gewidmet. Der Marginalisierung von Pfemferts Arbeit als Fotograf hat Köhn eine akribische Spurensuche entgegengesetzt, die, von Berlin ausgehend, auch die verschiedenen Stationen von Pfemferts erzwungenem Exil berücksichtigt.
Um dem „Phänomen Pfemfert“ auf die Spur zu kommen, stellt Köhn seinen Recherchen eine Selbstaussage Pfemferts voran; in einem Brief an den Anarchisten Rudolf Rocker hatte er im Juli 1948 geschrieben: „Was aus mir, aus uns geworden wäre, wenn ich nicht zum Glück zufällig ‚Photograph‘ geworden wäre, ist rätselhaft.“
Eckhardt Köhn: „Franz Pfemfert als Fotograf“. Aus: „Fotofalle 5“. Edition Luchs, Engelrod/Vogelsberg 2023, 164 Seiten. 32 Euro.
Köhn zeigt, wie die Fotografie Eingang in die von Pfemfert herausgegebene Berliner Zeitschrift Die Aktion fand. Als „Zeitschrift für freiheitliche Politik und Literatur“, so ihr erster Untertitel, wandte sie sich gegen Nationalismus, Militarismus und Spießertum. Zahlreiche expressionistische Künstler wie Conrad Felixmüller, Egon Schiele, Karl Schmidt-Rottluff und Autoren wie Carl Einstein, Franz Jung oder Else Lasker-Schüler wurden hier – wenngleich honorarfrei – gedruckt. Köhn liefert mehrere Beispiele für Pfemferts Bild-Text-Montagen, die dieser gerne dazu benutzte, Vertreter der Sozialdemokratie zu attackieren, vor allem Philipp Scheidemann, aber auch den Reichspräsidenten Friedrich Ebert.
Pfemfert lernt Photographieren
Pfemfert, der sich nach dem Ersten Weltkrieg vom Expressionismus abgewandt hatte, zählte zu den Gründungsmitgliedern der Kommunistischen Arbeiter-Partei Deutschlands (KAPD). Von dieser trennte er sich im Oktober 1921, um die antiparlamentarische Organisation Allgemeine Arbeiter-Union – Einheitsorganisation (AAUE) mitzugründen.
Während seine Zeitschrift sich immer stärker in eine Plattform politischer Texte revolutionär-sozialistischen Inhalts wandelte und zunehmend an Bedeutung verlor, hatte sich Pfemfert bei seiner Freundin Thea Sternheim (1883–1971), die er als „Meisterin der Lichtbildnerei“ bezeichnete, autodidaktisch fortgebildet. So dass er in der eigenen Zeitschrift behauptete, er könne „auf die Platte bannen, was da kreucht und fleucht“. Als illustrierenden Beleg wartet Köhn mit einem herrlichen Foto auf, das die Bildunterschrift „Pfemfert lernt Photographieren“ trägt. Es zeigt die freundschaftlich-lächelnde Sternheim und den schmallippigen Anlernling mit seiner „Ango“-Klappkamera.
„Arbeiter haben Vorzugspreise“
In der Nassauischen Straße 17 in Berlin-Wilmersdorf, dort wo heute in Erinnerung an Franz Pfemfert eine Gedenktafel angebracht ist, eröffnete er 1927 seine „Werkstatt für Porträt-Photographie“. In Die Aktion warb er dafür mit Anzeigen. Zu den dort Porträtierten zählten Schriftsteller wie Arthur Holitscher und Carl Sternheim, der Journalist Maximilian Harden, der Schauspieler Alexander Granach, aber auch politische Weggefährte, vornehmlich aus dem anarchistischen und linkskommunistischen Umfeld.
Pfemfert porträtierte Alexander Berkman, Emma Goldman und Karl Korsch. Ausdrücklich vermerkten die Anzeigen: „Arbeiter haben Vorzugspreise.“ Pfemfert pries die „Herstellung sachlicher, lebenswahrer Bildnisse an“, zu ihnen gehören auf jeden Fall die Porträts des belgischen Künstlers Frans Masereel und des Schriftstellers Karl Kraus.
Mehr schlecht als recht überleben
Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten mussten Franz Pfemfert und seine Frau Alexandra aus Deutschland fliehen. Seine Bibliothek, sein gesamtes Archiv, Manuskripte, Korrespondenzen und Grafiken wurden von den Nationalsozialisten geraubt. Köhn folgt seinem Protagonisten zuerst ins tschechische Exil. Nach Karlsbad, wo das Ehepaar erneut ein Studio mit dem Namen „Photo Dorit“ eröffnete.
Aus den dort entstandenen Porträts ragen die Aufnahmen der Schriftsteller André Gide und Balder Olden sowie der jungen Architektin Margarete Schütte-Lihotzky heraus. Am 8. Juni 1935 wurde den Pfemferts die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen, ihre weiteren Exilstationen waren seit Oktober 1935 Paris, seit 1941 Mexiko-Stadt. Auch dort führten sie kleine Fotostudios, mit denen sie mehr schlecht als recht überleben konnten.
Rückblickend resümierte Pfemfert wenige Jahre vor seinem Tod: „Nur eines und das Wichtigste ist uns geblieben: die Unabhängigkeit! Wir haben sie uns bewahrt.“
Eckhardt Köhn bewahrt mit seiner reich illustrierten Monografie zu Franz Pfemfert die Erinnerungen an einen Mann, der nicht nur ein streitbarer Publizist, sondern ein zu Unrecht kaum beachteter Porträtfotograf war. Neugierige Fotoenthusiasten werden Köhn allzu gern in die nächste „Fotofalle“ tappen.
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