Linken-Politiker über Coronapolitik: „Das gehört ins Parlament“
In der Pandemiepolitik komme der Bundestag zu kurz, kritisiert der Linken-Abgeordnete Jan Korte – und bringt eine neue Föderalismusreform ins Spiel.
taz: Herr Korte, seit Beginn der Pandemie sind es vor allem die Kanzlerin und die MinisterpräsidentInnen, also die Exekutive, die das Land durch diese Krise manövrieren. Was auch schlicht damit zu tun hat, dass bei vielen Maßnahmen die Länder zuständig sind. Wo sehen Sie also das Problem?
Jan Korte: Das Problem ist, dass man eine gewisse Verselbständigung der Exekutive beobachten kann. Und das ist sinnbildlich in der Runde von der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten. All das, was dort die Kanzlerin und damit die Bundesregierung vertritt − egal wie man dazu steht −, gehört ins Parlament. Darüber muss doch mal diskutiert werden! Welche Kompetenzen sind vom Parlament an die Regierung gegeben worden? Inwieweit ist das stets abzuwägen mit den demokratischen Grund- und Freiheitsrechten? Bislang kam der Bundestag da zu kurz. Das muss sich jetzt ändern.
Können Sie das an einem Beispiel festmachen?
Nehmen wir nur die ganze Frage, was Versammlungsrechte angeht. Das sind natürlich Eingriffe, die dort in den letzten Monaten stattgefunden haben, die sind ja erheblich, das gab es so noch nie. Meine persönliche Auffassung ist, dass ein Großteil davon auch berechtigt gewesen ist. Nur: Wenn man in die Grund- und Freiheitsrechte in dieser Art und Weise eingreift, dann muss das befristet sein, und es muss Woche für Woche wieder geguckt werden, was das eigentlich bedeutet.
Was schlagen Sie vor? Einen „Pandemierat“ aus Experten, wie ihn die Grünen fordern?
Darüber kann man nachdenken, ist gerade aber nicht entscheidend. Jetzt geht es darum, das Parlament in Schwung zu bringen. Gerade in diesen Zeiten, gerade beim Anschwellen der wirklich besorgniserregenden Zahlen muss man all diese Fragen öffentlich diskutieren. Akzeptanz entsteht vor allem durch die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen.
Das heißt?
43, sitzt seit 2005 für die Linke im Bundestag. Der Innenpolitiker ist seit 2017 zudem Erster Parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion.
Ein ganz praktischer Vorschlag ist: Vor der nächsten Runde der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten muss es eine Regierungserklärung geben − so wie es das sonst auch vor Treffen mit den EU-Staats- und Regierungschefs gibt. Sie muss ihre Linie, die sie gedenkt, dort zu vertreten, dem Bundestag darlegen. Damit sich das Parlament eine Meinung bilden kann.
Fakt ist aber auch, dass Ihre Partei an einigen Landesregierungen selbst beteiligt ist, in Thüringen sogar den Ministerpräsidenten stellt. Zeigen Sie da mit dem Finger nicht auch auf sich selbst?
Das ist auch alles selbstkritisch zu hinterfragen, auch wenn eben die Bundesregierung derzeit von CDU/CSU und SPD gestellt wird. Die Situation ist jetzt völlig anders als im März. Damals wussten wir vieles nicht, da wusste auch die Wissenschaft noch nicht so viel. Jetzt sind wir im Oktober, und zum Glück weiß man jetzt, welche Maßnahmen nachweislich effektiv sind − also bis auf ein paar Nazis und Coronaleugner wissen das alle. Die völlig andere Sachlage muss im Bundestag reflektiert werden.
Gerade in der Debatte um Beherbergungsverbote ist deutlich geworden, dass zu viel Föderalismus Verwirrung schaffen, ja kontraproduktiv sein kann. Gehört die föderale Struktur der Bundesrepublik grundlegend auf den Prüfstand?
Ich bin ein überzeugter Anhänger des Föderalismus. Es ist gut, dass es ihn gibt. Dass wir ihn haben, ist auch eine Lehre aus der Geschichte. Wer den Föderalismus erhalten will, muss auch bereit sein, ihn hier und da zu verändern. Wir werden deshalb in unserer Partei und mit unseren Leuten in den Landesregierungen darüber diskutieren, ob es nicht vielleicht an der Zeit ist, eine neue Föderalismusreform zu machen. Um zu gucken, gerade in solchen Fällen wie in der aktuellen Pandemie: Was ist eigentlich sinnvoll vom Bund zu regeln? Was sollte bei den Ländern bleiben?
Dabei ist die Frage, welche staatliche Ebene entscheidet, ja nur ein Aspekt. Eine andere, viel lebensweltlicher: Welche gesellschaftlichen Probleme haben bestimmte Coronamaßnahmen unbewusst verschärft?
Deshalb müssen der Bundestag wie die Landesparlamente eine Analyse machen zu der Frage, welche unbeabsichtigten gesellschaftlichen Nebenwirkungen einzelne Maßnahmen haben. Also auf Kinder, auf Familien − vor allem die sozial Schwachen. Da kann man noch so toll von digitalem Unterricht schwafeln: Wenn sieben Leute in einer Zweizimmerwohnung wohnen, ist das schwierig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich