Linken-Abgeordneter über Bundestagswahl: „Das ist schon ein wenig absurd“
Der Linke-Abgeordnete Pascal Meiser über den Verlust seines Mandats durch die niedrige Beteiligung bei der Wiederholungswahl und wie es jetzt weitergeht.
taz: Herr Meiser, sechs Jahre waren Sie für die Linke und für Friedrichshain-Kreuzberg im Bundestag. Haben Sie schon realisiert, nun raus zu sein?
Pascal Meiser: Es ist schon ein surreales Gefühl. Jeder weiß, dass man Abgeordneter nur auf Zeit ist, aber unter diesen Umständen das Mandat zu verlieren ist schon ein wenig absurd.
Das Mandat ist weg, weil zu wenige Menschen wählen gegangen sind.
Pascal Meiser
48, war Direktkandidat der Linken in Friedrichshain-Kreuzberg. Seit 2017 war er Abgeordneter im Bundestag und dort Sprecher seiner Fraktion für Gewerkschaftspolitik.
Es war uns vorher klar, dass es eine sportliche Herausforderung ist, wieder so viele Menschen zur Wahl zu bewegen. Leider ist vorher öffentlich zu wenig darüber geredet worden, was Berlin bei einer zu geringen Beteiligung droht. Nun guckt die Stadt in die Röhre, hat weniger Einfluss und vier Abgeordnete weniger, die sich um die Sorgen und Nöte der Menschen vor Ort kümmern könnten.
Wieso konnten nicht mehr Wähler:innen motiviert werden?
Alle wussten, die Koalition bleibt die gleiche, der Kanzler bleibt. Das ganz große Entscheidungsmoment hat also gefehlt. Aber es ist verpasst worden, die Bedeutung, die die Wahl dennoch hatte, ausreichend klarzumachen. Dass der RBB etwa entschieden hat, keine Wahlwerbespots der Parteien auszustrahlen, weil diese Wahl für nicht so relevant gehalten wurde, halte ich für einen großen Fehler. Berlin hätte da insgesamt mehr reinhauen müssen.
Sie selbst konnten Ihr Ergebnis um etwas mehr als 1 Prozentpunkt verbessern. Stimmt Sie das zufrieden?
Ich persönlich, aber auch meine Partei konnten auch in meinem Wahlkreis zulegen – darüber freue ich mich. Schon im Wahlkampf hatte ich ein gutes Gefühl; auch weil ich viel Unterstützung von Aktiven aus der Mieterszene und aus den Gewerkschaften erhalten habe, die in mir offenkundig einen solidarischen Partner gesehen haben. Aber diese 18, 19 Prozent bedeuten auch: Da geht mehr. Wir müssen noch viel mehr Menschen für die Linke gewinnen.
In allen Wiederholungswahlkreisen zusammen hat die Linke 0,7 Prozentpunkte zugelegt. Ein Plus hat die Partei schon lange nirgends mehr gesehen. Eine Trendwende?
Als Folge der Teilwiederholung der Bundestagswahl verlieren vier Abgeordnete ihr Mandat. Neben Pascal Meiser müssen auch Ana-Maria Trăsnea (SPD), Grünen-Landeschefin Nina Stahr und Lars Lindemann (FDP) raus. Alle kamen über die Landeslisten ihrer Partei ins Parlament.
Der Grund für ihr Aus: Über die Mandatsverteilung jenseits der Direktmandate entscheiden die absoluten Zweitstimmenresultate in den Bundesländern – und die geringere Wahlbeteiligung sorgte am Sonntag in Berlin für deutlich weniger tatsächliche Stimmen als 2021. Insgesamt ändert sich bei Linken, SPD und Grünen durch ihr Ausscheiden nichts an der Zahl ihrer Bundestagssitze. Für Meiser, Trăsnea und Stahr ziehen Kandidat:innen der entsprechenden Partei aus anderen Bundesländern ein. Nur der FDP-Sitz entfällt ersatzlos.
Das ist ein positives Signal, das uns Mut macht. Wir haben versucht, uns darauf zu konzentrieren, möglichst bürgernah den Menschen vor Ort zuzuhören und deutlich zu machen: Wir sind die erste Adresse, wenn es um den sozialen Zusammenhalt geht. Trotzdem wird es für unsere Partei die nächsten Monate kein Selbstläufer.
Es war wohl die letzte Wahl ohne Konkurrenz durch das Bündnis Sahra Wagenknecht.
Welche Bedeutung ein Antritt dieser Partei haben wird, ist sehr spekulativ. Gesagt haben sie, dass sie keine zweite linke Partei sein wollen, sondern etwas ganz anderes. Und das macht mir schon Sorgen. Für mich steht in den Sternen, wo sich diese Wagenknecht-Partei hinbewegt.
Haben Sie schon Pläne für die Zukunft gemacht?
Vor der Wahl wollte ich nicht zweigleisig fahren, jetzt muss ich in Ruhe sortieren. Wichtig ist mir, wie es mit meinen Mitarbeitern weitergeht, die unverschuldet in eine sehr schwierige Situation geraten sind. Ich will schauen: Was gibt es für sie für Möglichkeiten. Ich persönlich werde mich weiter dafür engagieren, dass es eine starke linke Alternative in diesem Land gibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag