Linke drängt auf Enteignung: Angriff und Verteidigung zugleich
Die Linke startet eine Kampagne für ein Enteignungsgesetz. Sie braucht das für ihre Glaubwürdigkeit, aber das Risiko sollte sie nicht unterschätzen.
A n diesem Montag ist es genau ein Jahr her, dass fast 60 Prozent der Berliner*innen beim Volksentscheid für die Enteignung großer Wohnungsbestände gestimmt haben. Die Linke hatte die Initiative voll und ganz unterstützt, als einzige der drei Senatsparteien. Auf ihrem Parteitag am Samstag hat sie nun eine Kampagne gestartet für die baldige Umsetzung des Entscheids, denn, so die Argumentation, „Wohnen gehört in die öffentliche Hand“. Die Kampagne ist Angriff und Verteidigung zugleich.
Denn natürlich muss sich auch die Linke fragen lassen, warum bisher nichts aus dem Entscheid gefolgt ist – obwohl die Angebotsmieten seitdem noch mal gestiegen sind und massive Renditen der Wohnungsunternehmen die Aktionäre jubeln lassen, während Mieter*innen kaum Geld fürs Heizen haben. Seit Sommer tagt eine Kommission aus von Senat und Initative benannten Expert*innen, doch kaum jemand erwartet, dass die Gruppe sich für ein entsprechendes Enteignungsgesetz ausspricht.
Die Sorge, der Senat unter SPD-Führung verschleppe den Willen der Bevölkerung, ist weit verbreitet. Davon muss sich die Linke absetzen; daher die Unterstützung von Parteiführung, Abgeordneten, sogar Justizsenatorin Lena Kreck für die Kampagne. Man will zudem mindestens „Eckpunkte“ eines Enteignungsgesetzes erarbeiten, hieß es am Samstag, um im April, wenn die Expert*innenkommission ihre Empfehlung ausspricht, nicht mit leeren Händen dazustehen.
Koalition unter Druck
Die massive Kampagne stärkt indes die Fliehkräfte in der rot-grün-roten Koalition. Zwar haben auch Teile der Grünen erklärt, es gehe nicht mehr darum, ob es ein Gesetz gebe, sondern nur noch, wie dieses aussehe. Auch die SPD-Basis hat sich dieser Position angeschlossen – zum Entsetzen weiter Teile der Parteiführung und Bausenator Andreas Geisel. So harsch die Linke auf Enteignung drängt, so deutlich lehnen die SPD-Oberen sie ab.
Dabei stehen Franziska Giffey, Raed Saleh und Co. durch die jüngsten Umfragezahlen unter Druck. Die SPD ist danach nur noch drittstärkste Partei, hinter den Grünen und der CDU. Noch schlimmer: Die Zustimmung für die Arbeit der Regierungschefin ist von 40 Prozent im März auf gut 30 Prozent gesunken. Giffey kommt auch bei den Berliner*innen immer weniger an, nachdem schon die Genossen sie bei ihrer Wiederwahl mit einem miserablen Ergebnis brüskierten. Das sorgt für Nervosität.
Dabei können es sich beide Seiten nicht leisten, die Koalition platzen zu lassen. Nach dem Niedergang im Bund und der wieder aufgeflammten Debatte über die Positionen von Sahra Wagenknecht braucht die Linke jede Regierungsbeteiligung, die sie hat, um zu zeigen, dass sie Politik für die Menschen machen kann. Die SPD würde wohl bei einer Neuwahl – nach derzeitigem Stand und ohne den Scholz-Boom des letzten Jahres – das Rote Rathaus verlieren, es wäre das Ende der politischen Karriere der beiden Parteichefs in Berlin. Doch ein Ausweg aus diesem Patt ist nicht in Sicht.
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