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Linke Sammelbewegung trifft sichJetzt aber wirklich „Aufstehen“

Aus dem Netz in die Realität: Sahra Wagenknechts linke Sammlungsbewegung plant Aktionsgruppen vor Ort. Die Erwartungen sind vielfältig.

Steht jetzt wirklich auf: Sahra Wagenknecht Foto: dpa

Berlin taz | Bisher ist die linke Sammlungsbewegung nur ein virtueller Erfolg. 150.000 Menschen haben sich auf der Internetseite aufstehen.de eingetragen – und lassen sich regelmäßig über die Bewegung informieren, die Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht mitinitiiert hat. Doch jetzt soll der Schritt in die Wirklichkeit folgen: Am 3. Oktober sollen im ganzen Land Treffen stattfinden.

„Die Zeit der Aktionen ist jetzt gekommen“, heißt es in einer Infomail an Interessierte. „Wir müssen uns treffen, kennenlernen und gemeinsam Druck aufbauen.“ Das Ziel: Aktionsgruppen vor Ort und „flächendeckende Netzwerke von Aufständischen“. Gelänge dies, wäre es in der Tat ein wichtiger Fortschritt. Eine Bewegung per Mausklick vom Sofa aus zu unterstützen ist etwas anderes als Aktivismus auf der Straße oder in der Ortsgruppe.

Welche Erwartungen die UnterstützerInnen haben, ließ sich am Sonntag in Berlin beobachten. Dort fand am Platz der Luftbrücke im Bezirk Tempelhof die erste Open-Air-Veranstaltung von Aufstehen statt. Gut 200 Leute stehen auf dem Bürgersteig. Der ergraute Gewerkschafter neben der Studentin mit buntem Halstuch, viele haben sich einen Button mit dem Aufstehen-Logo angeheftet, den man gegen eine Spende erstehen kann. Sevim Dağdelen, Linken-Fraktionsvize und Wagenknecht-Vertraute, hält ein Transparent der Sammlungsbewegung.

Der große Zuspruch zeige: „Es gibt ein großes Bedürfnis nach tiefgreifender Veränderung in diesem Land“, ruft Dağdelen dann ins Mikrofon. Dann übt sie scharfe Kritik an der Großen Koalition. Jene kümmere sich um Reiche oder Großkonzerne wie RWE, während die Mehrheit der Menschen auf der Strecke bleibe. Die Groko verteile allenfalls kleine bunte Pflaster, indem sie die Rente einfriere und ein paar Pflegekräfte mehr einstelle. „Aber die Menschen spüren, dass sich ihre realen Verhältnisse nicht verbessern.“

Dağdelen betont, dass es um eine überparteiliche Bewegung gehe. Sie stehe dafür ein, die Spaltung im Mitte-links-Spektrum zu überwinden. Dieses Anliegen war bei ihr in der Vergangenheit nicht wirklich zu erkennen. Dağdelen gehört wie Wagenknecht zu denen in der Linkspartei, die Rot-Rot-Grün im Bund schlechtredeten. Vor der Wahl 2017 bezeichnete sie die Option in einem Gastbeitrag als „totes Pferd“.

Eine Viertelstunde lang dürfen ZuhörerInnen ans Mikrofon kommen. Sie schildern, warum sie hier sind, und der Moderator achtet auf eine quotierte Rednerliste. Ein Mann schimpft auf die Rentenreform der Großen Koalition, ein anderer fordert, „gegen den Rüstungswahnsinn“ aufzustehen.

Eine Frau erinnert daran, dass auch fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung viele Ostdeutsche eine Beschämung verspürten – durch niedrigere Löhne und Renten. Eine junge Frau sagt nicht ihren Vornamen. „Ich bin ich.“ Sie sei für Solidarität, für Gerechtigkeit und für den Hambacher Forst. „Kein Konzern der Welt darf einen Urwald besitzen.“ Sie bekommt lauten Applaus.

Ab und zu fühlt man sich dann doch wie bei der Linkspartei. Die Sympathien für Russland sind nicht zu überhören. So singt die Sängerin Gina Pietsch den DDR-Klassiker: „Meinst du, die Russen wollen Krieg?“ Eine Aktivistin der Friedenskoordination Berlin liefert einen Überblick über die Kriege des vergangenen Jahrhunderts. Die Rollen sind klar verteilt: Die Bösen sind die USA. Beim Kalten Krieg, sagt sie, sei die Sowjetunion gezwungen gewesen, ebenfalls hochzurüsten. Nur ein Zuhörer stellt am Mikro klar, er hätte erwähnt, dass Russland bei der Krim angefangen habe.

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9 Kommentare

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  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    War die liebe Sahra jetzt eigentlich schon mal in Chemnitz und/oder habe ich ihren flammenden Protest gegen die Nazipest allüberall und speziell in Sachsen verpasst ? Ach, es gibt da gar kein Aufstehen. Naja, wenigstens gibts Buttons ...

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    „Meinst du, die Russen wollen Krieg?"

    Viellleicht nicht die Russen, aber der Ober-Russe schon.



    Ach, schöne alte Welt und wie heimelig lebts sich im KGB-Staat, von außen betrachtet ...

  • Leider geschieht das auf der Plattform Facebook von Uncle fucking Zuckerberg.



    Da ich mich hier widersetze, bin ich bei #aufstehen schon außen vor.Wer wirklich was verändern will muss sich nicht von von so was abhängig machen. Das ist ja wie Spenden für die Waffenlobby oder die FDP.

  • Ein "totes Pferd" ist vor allem die Sammlungsbewegung selbst und das ist auch gut so. Einen zusätzlichen populistischen Zirkus, um Verschwörungstheorien zu verbreiten und noch mehr Frustpotential in die Gesellschaft zu tragen, können wir auch gerade überhaupt nicht gebrauchen.

    • @Tom Berger:

      Nein, Unruhe können wir wirklich nicht gebrauchen. Wo doch alles so rund läuft. Keine Kinder- oder Altersarmut, keinen Pflegenotstand, keine Niedriglöhne, keine Hartz IV Sanktionen, keine Probleme mit bezahlbarem Wohnraum und auch sonst keine Probleme. Zumindest nicht für die radikale Mitte, diese neoliberalen Populisten, die sich einen Dreck um den Zustand der Gesellschaft kümmern.

      • 6G
        60440 (Profil gelöscht)
        @Rolf B.:

        Sahra wird scho richten, Hauptsach es geht gegen die Fremden ...

  • "Die Bösen sind die USA" und die Erdogan-Türkei. Und die Guten sind der Iran, Israel und Russland.



    Es war für mich beschämend, wie beim Erdogan-Bashing der letzten Tage, vor allem die Linke mit den rechtsradikalen von der AfD eine regelrechte Hetze gegen die Türkei und Erdogan betrieben haben. Die Quittung liegt auf der Hand.

    So ergeben Umfragen unter Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund, dass Sie die LINKE heute um 35% und die SPD sogar um 55% weniger wählten, wie noch vor einigen Jahren.



    Klar kann die LINKE mit ihren konstanten 8% sagen, auf diese Wähler können wir verzichten. Das tut die SPD ja schon seit gut 15 Jahren. Das Ergebnis kann jeder beobachten, der Niedergang der SPD.

    • 6G
      60440 (Profil gelöscht)
      @Nico Frank:

      Alllet in einen Pott, schön umrühren und fertig ist die Billiggsuppe mit Allerleiressentiment.



      Wahlberechtgte mit Migrations- hintergund wählen weniger SPD wegen Erdogan-Bashing ? Fast ALLE wählen SPD weniger, und zwar weil die grottenschlecht sind. Übrigens dürfte der typische Wähler mit schweizer, mit iranischem oder mit russischem Migrationshintergrund Parteien eher wegen Erdogan-Bashing bevorzugen, wenn sie nicht eh schon mehr der CDU oder AfD zuneigten.



      Warum in Ihrem Holzschnittspiel die USA böse sind, Israel aber zu den Guten gehört, erschliesst sich nicht. Beide betreiben das gleiche Spiel mit dem Feuer im nahen und mittleren Osten - vor allem gegen den Iran, gehören also unbedingt in einen Topf und zwar ohne Iran, egal wie Sie ihn bezeichnen.



      Vielleicht sollte man festhalten, wer unbedingt in einen Topf, den bösen natürich, gehört: Bibi, Donald, Victor, Reccep, Hotte und der kleine Waldi natürlich ...

  • Das ist ganz sicher richtig, nur ohne Sachthemen läuft es auf einen Obama hinaus. Das wissen die Leute ja auch und daher gerät es dann nie in Schwung.