Linke Mehrheit in Hessen?: Ein Machtfaktor ohne Charme
Für die Westausdehnung der Linken ist die Hessenwahl enorm wichtig. Eine Regierungsbeteiligung ist jedoch unwahrscheinlich.
BERLIN, taz Gregor Gysi feierte am Mittwochabend seinen 60. Geburtstag. Das Ambiente: bürgerlich, gediegen, in feinster Berliner Lage. Die Gäste: viel Parteivolk, ein bisschen Ostschickeria, aber auch ein paar Westpolitiker, die normalerweise Beklemmungen kriegen, wenn sie mit mehr als drei Kommunisten zusammen stehen. Doch selbst Guido Westerwelle, der FDP-Chef, und Peter Gauweiler, der CSU-Hardliner, amüsierten sich.
Dieser Umstand offenbarte einmal mehr, worin die historische Leistung Gysis besteht: Er hat seine Partei, allen Anfeindungen zum Trotz, salonfähig gemacht. Er verkörpert selbst in den Augen seiner Gegner eine Art linksbürgerliche Vernunft. Aber eben nur er, Gysi, verkörpert sie, nicht seine Partei selbst. Hugo Müller-Vogg, der Überraschungsredner des Abends, brachte das in seiner Laudatio auf den Punkt. Der frühere Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen und heutige Bild-Kolumnist pries erst Gysis politische Qualitäten, um dann hinzuzufügen: "Nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich möchte von Ihnen nicht regiert werden. Ich scheue mich aber auch nicht zuzugeben: Menschlich sind Sie mir sympathischer als manche, von denen ich heute regiert werde."
Hinter diesem Lob für Gysi versteckt sich das ganze Problem der Linkspartei: Kulturell schreckt sie die Bürger im Westen eher ab. Übertragen auf die aktuellen politischen Verhältnisse lässt sich das so ausdrücken: Weder in Hessen noch in Niedersachsen und schon gar nicht in Hamburg will die weitaus große Mehrheit der Wähler von der Linkspartei regiert werden.
In der Politik geht es jedoch selten um Sympathie - entscheidend ist die Macht. Und wo es um die Macht geht, stehen andere Sachen zurück. So ist die Linke - Sympathie hin oder her - in Hessen plötzlich ein Machtfaktor. Die Gleichung ist einfach: Scheitert die Linkspartei an der Fünfprozenthürde, stehen die Chancen für Roland Koch gut, Ministerpräsident einer schwarz-gelben Koalition zu werden. Schafft die Linkspartei den Sprung in den Landtag, wird die Regierungsbildung kompliziert. Große Koalition? Rot-Grün? Eine Ampel mit SPD, Grünen und FDP? Oder gar Rot-Rot-Grün? Vieles scheint möglich.
Daniel Cohn-Bendit, der Fraktionsvorsitzende der europäischen Grünen, hat am Donnerstag in der taz folgenden Schluss daraus gezogen: Wer Koch weghaben wolle, müsse im Zweifelsfall auch mit der Linkspartei koalieren. Ohne eigene Mehrheit müsse Rot-Grün ein Regierungsprogramm formulieren und es der FDP, aber auch der Linken anbieten.
Ist ein linkes Bündnis nicht nahe liegend, gerade jetzt, wo der Zeitgeist in Deutschland nach links dreht? Klare Antwort: Nein. Denn mal abgesehen vom Widerstand bei SPD und Grünen gegen eine solche Koalition - die Spielerei mit Prozenten übersieht den wesentlichsten Punkt: Die Linkspartei in Hessen, wie auch in Niedersachsen und Hamburg, ist kaum willig und erst recht nicht fähig zu regieren.
Die Parteibildung der Linken im Westen ist lange nicht abgeschlossen, und noch immer ist nicht sicher, ob sie gelingen wird. In keinem einzigen westdeutschen Flächenland sitzt die Linkspartei bislang im Parlament. Nur in Bremen, einem traditionell linken Stadtstaat, ist ihr im Mai 2007 mit 8,4 Prozent der Sprung in die Bürgerschaft geglückt. Seit diesem spektakulären Erfolg ist die Fraktion damit beschäftigt, sich selbst zu zerfleischen.
Ein Erfolg in einem westdeutschen Kernland wie Hessen wäre für die Linkspartei ein Durchbruch. Gelingt ihr das nicht und scheitert sie auch in Niedersachsen, könnte sie nur auf einen wahrscheinlichen Erfolg im kleinen Hamburg verweisen - zu wenig, um sich bis zur Bundestagswahl 2009 als gesamtdeutsche Partei zu etablieren. So haben die Genossen in Hessen nur ein einziges Ziel: den Sprung in den Landtag.
Alles andere ist zweitrangig, um nicht zu sagen egal. Regieren mit SPD und Grünen? Bloß nicht, sagen die Führungsleute in Berlin, wenn die Fernsehkameras aus sind. Keine Regierungserfahrung, keine Parlamentserfahrung, keine profilierten Genossen. Nichts fürchtet die Partei daher mehr als ein Gesprächsangebot der SPD noch vor der Wahl - allein das würde ihr Image als Oppositionspartei zerstören.
Alles andere ist Rhetorik. "Die Linke will die Politik verändern", sagte der Partei- und Fraktionsvorsitzende Oskar Lafontaine gestern zur taz, angesprochen auf Cohn-Bendits rot-rot-grünes Angebot. "Unsere Ziele sind: längeres gemeinsames Lernen, gebührenfreies Studium, die Energieversorgung in den Händen von Städten und Gemeinden sowie ein Land Hessen, das im Bundesrat nicht für Hartz IV und die Agenda 2010 stimmt. Auf dieser Grundlage sind wir zur Zusammenarbeit mit anderen Parteien bereit." Übersetzt heißt das in etwa so viel: Die hessische Linkspartei in der Regierung - das wäre Selbstmord.
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