Linke Demo in Paris: Die Stimme der Straße
Ein Bündnis linker Organisationen ruft Frankreichs Hauptstadt zum Protest auf. Es geht um soziale Teilhabe und die Präsidentschaftswahl.
Paris taz | Bei der Kellnerin in dem kleinen Restarurant „Frucht-Paradies“ am Platz der Bastille in Paris liegen an diesem Samstag Nachmittag die Nerven blank. „Sie dürfen hier jetzt nicht mehr Platz nehmen, gehen Sie hinein“, herrscht die Bedienung Besucher an, die sich vor dem Lokal an den Tischen niederlassen wollen. Hier finde gleich eine Kundgebung statt, der extremen Linken, sagt sie. Die Präfektur habe angeordnet, dass alle Tische und Stühle weggeräumt werden müssten. Als ein Mann im Vorbeigehen ruft „Jetzt kommen sie!“ beginnt sie hastig, die letzten Sonnenhungrigen vor dem Etablissement abzukassieren.
Derweil hat um den gesamten Platz herum ein stattliches Polizeiaufgebot Stellung bezogen. Genauso wie einige Fernsehteams, die außer ihren Kameras auch Helme tragen.
Schon kommt der Demonstrationszug in Sichtweite, der teilweise in Rauchschwaden gehüllt ist und sich zweieinhalb Stunden zuvor vom Platz der Republik aus in Bewegung gesetzt hat. „Solidarität, Solidarität“, brüllt ein Mann, der auf der Ladefläche eines Kleintransporters steht. An einem Gestänge des Fahrzeuges ist ein Transparent befestigt. „Sie haben das Geld, aber wir haben die Leute“, ist darauf zu lesen.
Immer mehr Menschen schieben sich auf den Platz. Einige trommeln. Andere schwenken Fahnen der den Kommunisten nahe stehenden Gewerkschaft CGT (Confédération Générale du Travail) und der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) des linken Präsidentschaftskandidaten Philippe Poutou. Auch die Bewegung „Picardie debout“ von Francois Ruffin ist mit dabei. Der Journalist und Filmemacher, der im vergangenen Jahr die soziale Bewegung „Nuit debout“ mit auf die Beine brachte, will im kommenden Juni bei den Parlamentswahlen antreten. Es sind dies nur einige der rund 70 Organisationen, die zu dem Marsch aufgerufen haben.
Protest gegen das Wahlsystem
Am Rande des Platzes steht eine junge Frau. Um den Hals trägt sie ein orangenes Plakat aus Pappe mit der Aufschrift: „1. Sozialrunde. Auf dass Du morgen die Stimme der Straße hörst. 22. April 2017.“
Youlie ist 32 jahre alt, arbeitet im öffentlichen Dienst und ist bei Attac aktiv. „Wir lassen uns von den Präsidentenwahlen nicht unseren Kalender diktieren. Heute geht es darum zu zeigen, dass wir sichtbar sind, unseren sozialen Kampf fortsetzen und den Druck der Zivilgesellschaft aufrecht erhalten“, sagt sie. Sie sei gegen das Wahlsystem. Die Franzosen wählten einen Repräsentanten, der dann aber das Volk nicht repräsentiere. „Das alles ist doch nur Theater. Wir leben in der Illusion, eine Rolle zu spielen, die wir gar nicht haben. Laut Verfassung ist das Volk der Souverän, in Wahrheit sind es die Oligarchen, die an der Macht sind“, sagt Youlie. Am Sonntag will sie ihre Stimme dem Linken Jean-Luc Mélenchon geben. Zumindest er sei seinen Prinzipen immer treu geblieben.
Ihr Telefon klingelt ununterbrochen. Auf der Rückseite des Smartphones klebt ein Sticker mit der Zeichnung einer Unterhose und dem Spruch: „Un slibard, c`est pas du caviar“, was soviel bedeutet wie: Ein Slip ist kein Kaviar.
„Operation Slip“
Youlie lacht. Diese Aktion namens „Operation Slip“ habe sie Ende Dezember vergangenen Jahres mit Gleichgesinnten vor einem großen Pariser Kaufhaus durchgezogen. Dort hätten sie die Passanten um eine Ein-Euro-Spende gebeten, um für Flüchtlinge Unterwäsche kaufen zu können. Denn die gebe es ja nun mal nicht gebraucht. „Ich bin eigentlich reich, muss nicht hungern, habe ein Dach über dem Kopf und kann mir auch mal einen Urlaub leisten“, sagt Youlie. „Da kann ich doch auch einen Teil meiner freien Zeit anderen Menschen widmen.“
Sie lässt ihren Blick über den etwas spärlich gefüllten Platz schweifen. Doch mehr Teilnehmer werden es an diesem Tag nicht. Die Zahl 2000 macht die Runde, was wie Youlie sagt, so schlecht nun auch wieder nicht sei.
Faintrenie beunruhigen vor allem die Arbeitslosigkeit, eine wachsende soziale Ungleichheit und Bestrebungen, öffentliche Einrichtungen, wie beispielsweise die Post, zu privatisieren.
Gegen 17.30 Uhr beginnt die Menge sich zu zerstreuen. Aus Lautsprechern ertönt die Internationale. Auch Eliane Faintrenie verabschiedet sich von ein paar Bekannten. Die 67-Jährige hat als Sozialarbeiterin psychisch Kranke betreut, ist seit drei Jahren in Rente, bei Attac und in der Flüchtlingshilfe aktiv.
In ihrer Jugend, erzählt Elian Faintrenie, sei sie Anhängerin der Trotzkisten gewesen und habe in der ersten Runde immer extrem links gewählt. Dieses Mal will sie dem „Arbeiterkandidaten“ Philippe Poutou ihre Stimme geben, in der Stichwahl jedoch keinen Kandidaten ankreuzen. „Mélenchon, das ist ein Volkstribun mit autoritären Tendenzen. Wenn er die Wahlen gewinnt, dann muss man ihn einhegen. Wer wie er derart die Massen manipulieren kann, da muss man höllisch aufpassen“, sagt sie. Faintrenie beunruhigen vor allem die Arbeitslosigkeit, eine wachsende soziale Ungleichheit und Bestrebungen, öffentliche Einrichtungen, wie beispielsweise die Post, zu privatisieren.
Auf die überschaubare Anzahl von Teilnehmern an diesem Nachmittag angesprochen sagt sie, es sei schwierig, die Menschen zu mobilisieren. Auch deshalb sei sie heute hier. „Um zu zeigen, dass wir da sind, dass es eine Dynamik gibt.“ Sie fixiert ihr Gegenüber mit einem angriffslustigen Blick. „Keine Sorge, wir lassen nicht locker.“