Life-Sleep-Balance: Zu müde zum Schlafen
Eine aktuelle Studie zeigt: Ein gesundes Immunsystem braucht ausreichend Schlaf. Doch woher soll die Zeit dafür kommen?
Zum Glück gibt es ein paar Gewissheiten im Leben, an denen sich nicht so einfach rütteln lässt: Der Tag hat 24 Stunden, irgendwann scheint wieder die Sonne, und bei schlechter Laune hilft ein Blick auf Markus Söders Instagram-Account. Um das zu wissen, braucht es keine Studien, es ist eben einfach, wie es ist.
Über andere Dinge weiß die Menschheit noch nicht so gut Bescheid. Manchmal, weil es noch so viel zu erforschen gibt (Beispiel: Ozeane), manchmal aber auch nur deswegen, weil Menschen entscheiden, sich nicht weiter mit einem Thema auseinandersetzen zu müssen (Beispiel: Rassismus). Und dann sind da noch diese alltäglichen Dinge, über die wir alles Mögliche zu wissen glauben und für die sich für fast jede Überzeugung eine Studie heranziehen lässt, um die eigene Glaubhaftigkeit zu steigern. Eines dieser Themen ist der Schlaf.
Für gesunden Schlaf gibt es viele Gebote, und viele davon widersprechen sich. Das liegt vor allem an der Leistungsgesellschaft: Du sollst jede Nacht acht Stunden schlafen, aber Arbeit wird halt auch nicht weniger. Du sollst dein Smartphone nicht mit ins Schlafzimmer nehmen, aber teste doch mal diese tolle MeditationsApp, die deiner gestressten Seele beim Einschlafen hilft. Du sollst vor Mitternacht ins Bett gehen, aber vielleicht hast du den Biorhythmus einer Eule und kannst nachts viel produktiver arbeiten. Nur in einem Punkt scheinen sich alle einig: Nichts ist so gesund wie schlafen. Schlaf ist die beste Medizin. Das ist jetzt erneut wissenschaftlich erwiesen.
Wissenschaftler*innen der Universitäten Tübingen und Lübeck konnten in einer Studie, die jetzt im Journal of Experimental Medicine veröffentlicht wurde, nachweisen, dass Schlaf das menschliche Immunsystem stärkt, weil er die Arbeit sogenannter T-Zellen unterstützt. T-Zellen wandern durch den menschlichen Körper, um nach krankhaften Veränderungen wie zum Beispiel Virusinfektionen zu suchen. Ist eine kranke Zelle gefunden, zerstören bestimmte T-Zellen diese direkt, indem sie sogenannte Integrine aktivieren.
Freizeit ist nicht drin
Für die Studie verglichen Forscher*innen Blutproben von insgesamt 15 Männern und Frauen – tagsüber, nachts und während einer Nacht mit Schlafentzug. Dabei fanden sie in den Proben, die in einer normalen Nacht um 2 Uhr morgens entnommen wurden, deutlich mehr Integrine als in der Blutprobe, die sie zur gleichen Zeit während des Schlafentzugs nahmen. Laut Studie genügen zudem schon wenige Stunden Schlafverlust um die Kräfte der T-Zellen zu mindern. Kurzum also: Ein gesundes Immunsystem braucht ausreichend Schlaf. Aha. Viel schlafen, viel trinken – das sagen Hausärzt*innen und die eigenen Eltern ja schon ewig.
Selbstverständlich spricht das der Studie nicht ihre Aussagekraft ab. Die Frage ist aber: Was machen wir damit? Wenn wir die heilende Wirkung von Schlaf jetzt auch wissenschaftlich bestätigt wissen, schlafen wir dann auch mehr? Praktisch gesehen bedeuten acht Stunden Schlaf, dass der Tag nur noch 16 Stunden hat. Davon geht ein wesentlicher Teil für Lohnarbeit drauf und – laut Studien – etwa ein Drittel mehr Zeit für unbezahlte Care-Arbeit als für den bezahlten Job.
Ab hier geht die Rechnung kaum noch auf, besonders für Alleinerziehende und Frauen. Freizeit ist nicht drin, deswegen lernen wir eben unseren Job so zu lieben, wie einst unsere Hobbys. Und wer dann doch mehr will vom Tag, muss eben am Schlaf sparen. Oder streiken, um das Recht auf Schlaf im Arbeitsrecht zu verankern. Aber dafür sind wir doch eigentlich auch viel zu müde.
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