Filmfestspiele mit historischen Sujets: Das Scheitern eines Künstlers

Geschichte spricht: mal brav, mal vielschichtig. Eine Zeitreise durchs 20. Jahrhundert mit Pietro Marcellos Verfilmung von „Martin Eden“.

Zwei Männer und eine Frau präsentieren sich den Pressefotografen

Regisseur Pietro Marcello (r.) mit zwei seiner SchauspielerInnen, Luca Marinelli und Jessica Cressy Foto: ap

VENEDIG taz | Geschichte. Dass man sie auf vielerlei Arten erzählen kann, muss immer mal wieder in Erinnerung gerufen werden. Denn im Film wird sie oft nach Schema F erzählt: viele Kostüme, ein wenig persönliches Drama der Beteiligten und nach Möglichkeit, was bei Geschichtsthemen oft der Fall ist, heftiges Schlachtengetümmel dazu.

Der australische Regisseur David Michôd hat sich für seine außer Konkurrenz gezeigte Verfilmung des Werdegangs von König Heinrich V. bei Shakespeares „Lancaster-Tetralogie“ und bei der oben genannten Checkliste bedient. Er lässt den jungen Hal, der keine Ambitionen auf die Thronfolge hat, gegen seinen Vater, Heinrich IV., aufmucken, stattdessen lieber mit Falstaff abhängen und schließlich doch die Krone akzeptieren. Mit allem, was das mit sich bringt.

Das guckt sich weitgehend brav, aber dank starker Darsteller wie Joel Edgerton als Sir John Falstaff – mit leicht abgerundeten Ecken und Kanten – oder einem einnehmend knorrig undurchsichtigen Sean Harris als Heinrichs Berater Michael Williams vermeidet Michôd das Aufkommen von Muffigkeit. Als kleinen Scherz am Rande darf man Robert Pattinson dabei zusehen und -hören, wie er in der Rolle des Dauphin mit französischem Akzent gegen Heinrich V. im Besonderen und das Englische als Sprache im Allgemeinen polemisiert.

Eine völlig andere Vorgehensweise im Umgang mit historischen Sujets hat der italienische Regisseur Pietro Marcello für seinen Wettbewerbsbeitrag „Martin Eden“ gewählt. Marcello, der zuletzt mit „Bella e perduta“ von 2015 ein märchenhaft-schwermütiges Porträt des heutigen Italiens geliefert hatte, erkundet in „Martin Eden“ das Scheitern eines Künstlers nicht an der Kunst, sondern an den Verhältnissen.

Vor 110 Jahren ist die Vorlage erschienen: Jack Londons Buch „Martin Eden“, ein zum Teil autobiographischer Künstlerroman über einen Arbeiter ohne Bildung, der sich aus Liebe zu einer Studentin aus der Oberschicht entschließt, Schriftsteller zu werden und diesen Weg gegen alle Widerstände weitergeht. 1914 machte Hobart Bosworth daraus einen Stummfilm, 1979 drehte der Italiener Giacomo Battiato für das ZDF einen vierteiligen Fernsehfilm nach Londons Roman. All diese Schichten des Stoffs und seiner Adaptionen scheint Marcello in seiner Fassung berücksichtigt zu haben.

Im Soundtrack italienische „Schlager“

So sieht man bei ihm scheinbar ohne Zusammenhang mit dem Rest des Films zwischen die eigentliche Handlung hineingeschnittene vereinzelte sepiafarbene Stummfilmbilder, etwa das eines sinkenden Segelschiffs, dann verblichene Aufnahmen Neapels in den sechziger oder siebziger Jahren. In diese Zeit hat Marcello auch die Ausstattung des Films verlegt, obwohl die Handlung zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielt. Dazu hört man im Soundtrack diverse italienische „Schlager“, die seltsam anrühren.

Überhaupt rührt diese Erzählung stark an. Wie ein einfacher, zugleich hellwacher und begeisterungsfähiger Mann zunächst durch seine Klasse daran scheitert, seinen Wunsch zu erfüllen, Schriftsteller zu werden. Und später, als sich der Erfolg wider Erwarten doch eingestellt hat, mit seinem Leben als bewunderter und wohlhabender Dichter nicht fertig wird.

Dass diese Erzählung bei Marcello so gut gelingt, liegt nicht allein an der vielschichtigen Inszenierung, in der gegen Ende des Films auch das Aufkommen des italienischen Faschismus angedeutet wird. Vor allem liegt es am überragenden Spiel von Luca Marinelli, dessen Martin Eden so freundlich staunend lächeln kann wie ein Junge, der gerade die Welt entdeckt, der im nächsten Augenblick jedoch ebenso fest zuschlagen kann und, wenn er sich abgelehnt oder missverstanden fühlt, auch verbal auszuteilen versteht. Joaquin Phoenix hat einen ernsthaften Konkurrenten für den besten Darsteller bekommen.

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Jahrgang 1971, arbeitet in der Kulturredaktion der taz. Boehme studierte Philosophie in Hamburg, New York, Frankfurt und Düsseldorf. Sein Buch „Ethik und Genießen. Kant und Lacan“ erschien 2005.

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