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Licht sichtbar machenSonnenbrände auf Papier

Nicolai Howalt hat mit alten lichttherapeutischen Apparaturen Fotos erstellt. Die zeigt das Braunschweiger Museum für Photographie.

Kinder bei der Lichttherapie im Finsens Institut in den 20er-Jahren. Foto: Finsen Medical Light Institute

Braunschweig taz | Die ultravioletten Strahlen des natürlichen Sonnenlichtes genießen ja schon lange keine gute Reputation mehr. Sie gelten, nicht erst in Zeiten des Klimawandels, als Auslöser gefährlichen Hautkrebses, zumindest bei intensivem Konsum. Der vormals als gesund bezeichneten knackigen Körperbräune haftet seitdem etwas bildungsfern Prolliges an, Solarienbesuche werden ohnehin nur noch als Unterschichtenspaß toleriert.

Im 19. Jahrhundert sah die Situation ganz anders aus. In den viel zu engen, dunklen und unhygienischen Wohnverhältnissen der verdichteten Industriestädte wüteten Volkskrankheiten wie die bakterielle Lungentuberkulose, die Knochenweiche Rachitis oder die Skrofulose, neutral als Haut-Tuberkulose bezeichnet. Sie waren Symptomkomplexe chronischen Vitamin-D-Mangels, der durch die viel zu geringe Sonnenexposition der Körperhaut befördert wurde.

Mediziner erkannten damals die sowohl physisch als auch psychisch heilsame Wirkung des natürlichen Lichtes. In den Alpen sowie an Nord- und Ostsee entstanden Sanatorien für therapeutische Sonnenbäder. Und die Stadtplanungsdoktrin des frühen 20. Jahrhunderts proklamierte wenig später gesunde Wohnverhältnisse für jeden - dank Licht, Luft und Sonne.

Der 1903 mit dem Nobelpreis ausgezeichnete dänische Arzt Niels Ryberg Finsen (1860-1904) war ein Pionier in der Erforschung der UV-Strahlung und ihrer medizinischen Anwendung. Da er die Strahlungsintensität in Nordeuropa für nicht ausreichend hielt, entwickelt er optische Apparaturen zur Bündelung des von ihm so bezeichneten aktivischen chemischen Lichtes. Mit der kleinflächig konzentrierten Bestrahlung betroffener Partien im Gesicht konnte er die Haut-Tuberkulose wirkungsvoll eindämmen.

Aber auch allgemein schätzte er eine stimulierende Wirkung. Ganzkörperbehandlungen galten beispielweise bei chronisch schwächelnden Kindern als therapeutisch indiziert, ihr Augenlicht wurde dann mit bizarren Kopfmasken vor der starken Helligkeit geschützt. Auf historischem Bildmaterial erinnern diese Behandlungen eher an spiritistische Séancen denn an klinische Anwendungen, sie zelebrieren geradezu eine mystische Wirkkraft des Lichtes.

Durch die Eigenentwicklung einer Kohlenbogenlampe standen Finsen leistungsfähige therapeutische Kunstlichtquellen zur Verfügung, die apparative Phototherapie wurde so zum Gegenstück der natürlichen Heliotherapie der Sanatorien. Finsens 1896 in Kopenhagen gegründetes Institut ist über die Dermatologie hinaus Wegbereiter der Strahlentherapie geworden und heute Krebsforschungszentrum.

Der dänische Fotograf Nicolai Howalt, 1970 in Kopenhagen geboren, erhielt 2013 im Medicinsk Museion Kopenhagen Zutritt zu den historischen Apparaturen von Niels Ryberg Finsen. Howalt wiederholte die Versuchsanordnungen seiner wissenschaftlichen Experimente, jetzt aber mit anderem Ziel.

Denn ihm ging es darum, das Licht respektive dessen ultraviolette bis infrarote, für das menschliche Auge unsichtbare Spektralanteile nun sichtbar werden zu lassen. Nicht die therapeutische, sondern eine ästhetische Wirkung dieser Strahlen interessierte Howalt.

Dafür spannte er in seine Großformat-Plattenkamera Positivbögen mit lichtempfindlicher Emulsion und belichtete sie über Finsens Spiegel, Linsen oder Filter. Er fabrizierte so Sonnenbrände auf dem Papier - Abbilder ganz spezieller Lichtsituationen von atemberaubender Farbintensität und grafischer Struktur.

Alle sind Unikate, da ohne Negativ produziert, und widersprechen damit dem Wesen der Fotografie als dem Medium unendlich reproduzierbarer Bildergebnisse. Und da sie somit keine klassischen Fotografien sind, präsentiert Howalt sie in kleinen Plexiglaskästen, ähnlich naturkundlichen Objekten.

Das Museum für Photographie Braunschweig widmet Nicolai Howalt derzeit seine erste institutionelle Einzelausstellung in Deutschland und zeigt gut 50 seiner experimentellen Belichtungen. Dazwischen setzt Howalt die Geschichte der Phototherapie Finsens mit Archivmaterial und großflächig inszenierten einzelnen Apparaten, ergänzt um Fotografien aus der dynamischen Sonnenbeobachtung der Nasa.

Leider bleibt das Zusammentreffen dieser Exponate erklärungsbedürftig. Erst der Katalog gibt inhaltlichen Aufschluss und verdeutlicht zudem die Arbeitsweise Howalts, seine akkumulative Methode.

Schon in früheren Fotoprojekten ging er voneinander isolierten Phänomenen nach, die normalerweise unsichtbar bleiben oder sich nur bei äußerst einfühlender Beobachtung erschließen. Da ist seine 2012 erschienene Serie Car Crash: sie zeigt zerknautschte Innenräume verunglückter Autos, die ansonsten wohl unbesehen auf dem Schrott landen.

Ein Jahr davor begleitete er 78 jugendliche Boxer, die er jeweils kurz vor und nach ihrem ersten Fight porträtierte. Die physische wie emotionale Erfahrung dieser Männlichkeitsrituale schlägt sich tief in den Gesichtern nieder, lässt die jungen Protagonisten mitunter wie zwei vollkommen verschiedene Personen erscheinen.

Howalts wundersame Reise zu den Wurzeln der Fotografie führt in Braunschweig, wie er es selbst bezeichnet, zu ihrem Wesen, ihren Mythen und ihren Verfahrensweisen. Dass er dabei ihr technisches Grundphänomen vorführt, die fotochemische Transformation von Sonnenstrahlen zu Bildergebnissen, beschert den Besuchern der Ausstellung elementare Erlebnisse fast übersinnlichen Charakters.

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